Im Bann der Anden (VIII):Die Koch-Avantgarde von Lima

Während die meisten Peruaner sich kulinarisch auf das Nötigste beschränken müssen, haben internationale Gourmets die Feinschmeckerküche Limas entdeckt.

Antje Weber

Der Nebel hängt grau und schwer über der Stadt, doch der Wind reicht aus: Etliche Gleitschirmflieger drehen an der Steilküste in Lima wilde Pirouetten. Daneben, im "Parque del Amor", küssen sich pflichtbewusst junge Paare vor einer Skulptur eng umschlungener Riesen, die ihnen über die Schultern schauen. Im nahen Einkaufszentrum Larcomar kaufen derweil Touristen Alpaca-Pullis und CDs ein oder lauschen bei einem Kaffee den Wellen, die unter ihnen auf die Steine am Strand klatschen.

Ja, im gutbürgerlichen Stadtteil Miraflores lässt sich selbst eine Acht-Millionen-Stadt wie Lima unbeschwert genießen. Und das vielleicht Beste am Ende unserer zweimonatigen Reise wartet hier erst noch auf uns: die Spitzenküche von Lima.

Nicht dass sie nur in Lima sehr gut kochen würden: Ganz Peru scheint von einer Welle kulinarischer Experimentierlust erfasst zu sein. Alpaca-Fleisch, Quinua-Risotto ("Quinotto" genannt), das scharfe Gewürz Aji, eine Vielfalt von Kartoffeln und vor allem Meeresfrüchte, die im rohen Fischgericht "Ceviche" aufs Edelste zusammengebracht werden, sind die wichtigsten Zutaten.

Traditionelle Rezepte, versehen mit einer Prise französischer "Nouvelle cuisine" sowie süß-saurer asiatischer Küche und abgeschmeckt mit einer guten Portion peruanischen Talents: fertig ist die "novoandine" Küche, die auch bei internationalen Gastro-Kritikern immer mehr Beachtung findet.

"Innovando lo nuestro", das Unsere erneuern - das war auch das Motto des ambitionierten Restaurants "El mesón del Virrey", das wir einige Tage zuvor im frühlingshaft sonnigen Arequipa besuchten. Die Innovation sah dort allerdings so aus, dass neugierige Touristen sich im ersten Stock des Restaurants an "Ente in Maracuja-Sauce" wagten, während im Erdgeschoss die Einheimischen durchdringend nach oben duftende Pizza bestellten - auch in Peru sind Pizza, Hamburger und Grillhähnchen längst die stärkste Konkurrenz von Quinuasuppe und Ceviche.

Es ist eben leicht, in Lima lautstark eine "gastronomische Revolution" auszurufen, doch nicht ganz so leicht, sie anschließend überall im Land umzusetzen.

Lima als Hauptstadt der Koch-Avantgarde allerdings hat seit einigen Jahren einen so stabil guten Ruf, dass Gourmets aus Chile oder den Vereinigten Staaten bereits eigens zu Schlemmer-Wochenenden einfliegen. Hier sitzen junge, international geschulte Köche wie Gastón Acurio, der unermüdlich daran arbeitet, die peruanische Küche zu einer so angesagten Marke zu machen wie die italienische, mexikanische oder japanische.

Die Koch-Avantgarde von Lima

Acurio hat bereits peruanische Edel-Restaurants von Bogotá bis Madrid eröffnet, zuletzt sogar in San Francisco; gerade hat er mit anderen Gourmetköchen die "Erste Internationale Gastronomie-Messe" in Lima organisiert. Sein Traum: "Stellen wir uns ein Szenario in zwanzig Jahren vor, bei dem es, so wie heute Mexikaner, 200 000 peruanische Restaurants gibt - und zwar überall!"

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(Foto: Foto: Joachim Jacobs)

Ein Traum, der, wenn er Wirklichkeit würde, vielen Peruanern Arbeit sichern würde - in der Landwirtschaft, im Handel, in den Küchen der ganzen Welt. In einem Land, das politisch chronisch instabil ist, in dem der derzeitige Präsident Alan García in manchen Umfragen nur noch eine Zustimmungsquote von 20 Prozent hat und viele Menschen sich angesichts steigender Preise kaum mehr das tägliche Brot leisten können: In diesem Land wäre, so abwegig es zunächst klingen mag, ein Exportschlager "Peruanische Küche" die Lösung nicht aller, aber mancher Probleme.

Doch wie gut schmeckt die beste peruanische Küche tatsächlich? Also endlich auf zum Praxistest, in zwei der absoluten Top-Restaurants Limas. Als erstes steuern wir die "Rosa Náutica" an, direkt an den Strand über das wogende Meer gebaut, mit romantisch englisch angehauchtem Holz-Ambiente.

Hier ist sogar an einem Montagabend alles ausgebucht, wir müssen anderthalb Stunden auf einen Tisch warten - kein Wunder angesichts von auf der Zunge zergehenden Pulpo-Carpaccios oder "Garnelen im Krokanthemd mit Sesamsauce".

Am nächsten Tag ergattern wir dank Reservierung einen Tisch im ebenfalls voll besetzten Nobel-Restaurant "Huaca Pucllana", direkt neben einer stimmungsvoll beleuchteten Pyramide aus der Prä-Inkazeit gelegen. Auch hier ist das Essen - vom Thun-fisch-Tartar bis zur Muschel-Ceviche - einfach sensationell gut. Ganz zu schweigen von einem Nachtisch wie "Sublime de chiri-moya con mousse de manjar y naranjitas confitadas" - ein einziger, bittersüßer, dekadenter Traum. Gäbe es nicht schon so viele andere Gründe, Südamerika zu besuchen: Alleine dieses Essen wäre eine Reise wert.

Reisetipps: In Lima speist man - nicht nur - in den Top-Restaurants exzellent und für vergleichsweise sehr viel weniger Geld als in Deutschland. Einige Spitzen-Restaurants im Stadtteil Miraflores: "Astrid y Gastón", Cantuarias 175; "La Rosa Náutica", Pier am Strand; "Huaca Pucllana", General Borgoña cuadra 8.

Antje Weber, 40, war zehn Jahre lang Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Seit 2006 lebt sie in Quito in Ecuador und berichtet als freie Autorin aus Südamerika.

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