Im Bann der Anden (III):Der Sprengstoff der Armut

Staub, Enge, Gefahr: im Cerro Rico im bolivianischen Potosì wird seit Jahrhunderten unter unmenschlichen Bedingungen Silber abgebaut und vom großen Geld geträumt - meist vergeblich.

Antje Weber

Wer die Hölle auf Erden sucht, ist hier genau richtig. Mit jedem Schritt wird es heißer, mit jedem Schritt stickiger, mit jedem Schritt enger, niedriger, beklemmender.

Hier, tief drinnen im Gewirr der dunklen Schächte des Cerro Rico von Potosí, ist das Leben draußen nur eine ferne Erinnerung. Hier drinnen bedeutet Leben nur langsames Sterben.

"Achtung", ruft Oscar, zum Führer ausgebildeter Ex-Minenarbeiter, unserer Gruppe Besucher zu, "alle eng an die Wand drücken, da kommt ein Wagen mit Steinen!" Die Grubenlampen an unseren Köpfen leuchten zitternd in die Dunkelheit. Immer lauteres Zischen kündigt den Wagen an, ein staubbedeckter Arbeiter lenkt ihn auf Schienen vorbei; eine flüchtige Erscheinung aus der Unterwelt.

Der spitze Cerro Rico ist legendär in Bolivien, in ganz Lateinamerika. Der "reiche Berg", voll mit Mineralien wie Silber, Zink und Zinn, hat bis heute manche reich gemacht und viele andere das Leben gekostet.

Millionen von Indígenas und schwarzen Sklaven wurden zu Kolonialzeiten auf einer Höhe von 4300 Metern in die Mitte des Berges getrieben; sie arbeiteten unter primitivsten Bedingungen in Zwölfstundenschichten, sahen monatelang kein Tageslicht.

Keiner hielt das lange aus. Egal, ein Menschenleben wog nicht viel. Nicht so viel wie eine Unze Silber, eiligst nach Spanien geschafft. Acht Millionen Menschen fanden zwischen 1545 und 1825 im Cerro Rico den Tod.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Bergarbeiter dem Minengott Tío de la mina opfern, in der Hoffnung auf ihr großes Glück.

Der Sprengstoff der Armut

Das schier unerschöpfliche Silber von Potosí, so fasst es der uruguayische Autor Eduardo Galeano in seinem Klassiker "Die offenen Adern Lateinamerikas" ätzend zusammen, hat Europa reich gemacht - und Bolivien verelendet zurückgelassen.

Im Bann der Anden (III): Der Cerro Rico steht für viele Bolivianer für die Verheißung vom großen Geld.

Der Cerro Rico steht für viele Bolivianer für die Verheißung vom großen Geld.

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Dem Bergarbeiter Martín geht es nicht viel besser als seinen Vorgängern. Er macht das zwar freiwillig, doch was heißt schon freiwillig in einer Region, in der es sonst keine Arbeit gibt?

Bohren für ein Stück vom Glück

Wir treffen Martín, als er gerade schweißgebadet vor einem engen Gang kauert und auf die Detonation des Sprengstoffes wartet, den er soeben gezündet hat. Tok, tok, zwei dumpfe Schläge hallen schwach aus dem Gang. Ein Stück vom Glück, für Martín jetzt endlich zum Greifen nah?

Er hofft es, er glaubt daran, wie alle Bergarbeiter opfert er dafür immer wieder dem Minengott Tío de la mina, der mit erigiertem Penis am Eingang in die Unterwelt wacht. Nur die Hoffnung hält Martín bei der Dynamitstange und in diesem Loch am Ende eines engen Ganges, in dem er hämmert und klopft, seit zehn Jahren schon, fünf Tage in der Woche, jeden Tag acht Stunden.

Es läuft nicht gut für ihn, obwohl er im vergangenen Monat 20 Kilos Silbergestein aus dem Stollen getragen hat: Die Qualität des Silbers ist schlecht, der Preis noch schlechter. 100 Bolivianos hat Martín dafür bekommen, das ist ein Monatslohn von zehn Euro.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, wie Besucher in dem Stollen nach zwei Stunden Staub und Enge die Erschöpfung überkommt.

Der Sprengstoff der Armut

Im Bann der Anden (III): Der Bergarbeiter Martìn arbeitet seit zehn Jahren in der Mine.

Der Bergarbeiter Martìn arbeitet seit zehn Jahren in der Mine.

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Martín sitzt auf dem Boden und hustet und spuckt. Und hustet. Und spuckt. Er ist 37 Jahre alt, und er ist fix und fertig. Doch auf die Frage, ob er zufrieden sei, antwortet er stolz: "Sí!" Dann nimmt er mit einem Nicken ein paar Geschenke der Besucher entgegen - Getränke, Coca-Blätter und Dynamit - und verschwindet hustend wieder in der Dunkelheit.

14.000 Bergleute arbeiten derzeit im Cerro Rico, darunter angeblich 3500 Kinder. Die meisten von ihnen sind in Kooperativen zusammengeschlossen, anders als Martín, der alleine in einem Minenabschnitt hackt, der seinem Bruder gehört.

Wieder andere schuften für private Unternehmer, wie die Arbeiter, die wir ein paar Meter weiter unten treffen: 40 Tonnen Gestein müssen sie pro Tag aus dem Berg herausschaffen, egal wie. Sie schaufeln wie Besessene, ziehen wie Ochsen eigenhändig die schweren Karren an Stricken durch die Gänge und kauen unablässig Coca-Blätter. Die lassen sie Hunger, Durst und Müdigkeit vergessen.

Panikgefühle verdrängen

Selbst unsere Gruppe ist bereits erschöpft, dabei haben wir uns nur zwei Stunden lang durch enge Gänge getastet und sind ein paar Meter auf allen Vieren gekrabbelt. Aufkommende Panikgefühle haben wir dabei tunlichst verdrängt: nur auf die nächste Bewegung konzentrieren, nur nicht nachdenken...

Und trotzdem: Der Hals ist rau, der Atem rasselt, die Temperaturen schwanken zwischen Eiseskälte und Ofenhitze. Raus hier, und zwar möglichst schnell!

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Minenarbeiter versuchen, außerhalb des Berges möglichst intensiv zu leben.

Der Sprengstoff der Armut

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(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Die Lebenserwartung eines Minenarbeiters liege zwischen 45 und 50 Jahren, erzählt unser Führer Oscar, als wir endlich die Stollen verlassen und frierend ins fahle Tageslicht blicken.

Die Arbeiter sterben nicht nur früh an Krankheiten wie der Staublunge, sondern auch bei zahlreichen Unfällen. Vor zehn Tagen seien drei bei einer Grubengasexplosion umgekommen, sagt Oscar, im vergangenen Jahr insgesamt 49 Männer für immer im Berg geblieben.

Reste von Leben in der Hölle

Wer so risikoreich arbeitet, will umso intensiver leben: Die Minenarbeiter hätten oft vier bis fünf Frauen, sagt Oscar, und zum Teil 14 bis 15 Kinder. "Es soll auch welche geben, die treu sind", fügt er mit schiefem Lächeln hinzu. Doch die meisten hielten es mit dem Motto: "buen perforista de día y noche" - ein guter Bohrer bei Tag und Nacht. Reste von Leben scheint es selbst in der Hölle zu geben.

Ein Bus bringt uns zurück ins nahe Potosí, durch die Fenster sehen wir den Cerro Rico golden im letzten Sonnenlicht schimmern, eine trügerische Verheißung von Geld, viel Geld.

In der Innenstadt werden an diesem Abend Hunderte von Minenarbeitern für bessere Lebensbedingungen demonstrieren. Im Fackelschein lassen sie zwischen den prächtigen Kolonialgebäuden drohend Dynamit detonieren: den Sprengstoff der Armut.

Reisehinweise Die Geschichten dieser Serie wurden im Juli und August recherchiert. Damals war die politische Lage in Bolivien bereits angespannt, jetzt hat sie sich jedoch sehr verschärft. Vor einer Reise empfiehlt es sich daher, die aktuellen Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu lesen (www.auswaertiges-amt.de).

Wer in Potosí eine Mine besuchen möchte, schließt sich am besten einer Tour an, die von einem ehemaligen Bergarbeiter geführt wird. Empfehlenswert ist zum Beispiel der Veranstalter Koala Tours in Potosí, www.koalatoursbolivia.com, Ayacucho 5. Klaustrophobiker sollten sich gut überlegen, ob sie sich eine solche Tour zumuten wollen.

Antje Weber, 40, war zehn Jahre lang Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Seit 2006 lebt sie in Quito in Ecuador und berichtet als freie Autorin aus Südamerika.

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