Im Bann der Anden (I):Mücken bei Machu Picchu

In den kleinen Ort Santa Maria bei Machu Picchu verirren sich eigentlich selten Touristen. Außer sie sitzen unfreiwillig dort fest, wenn in ganz Peru wieder einmal gestreikt wird.

Antje Weber

Im Herzen Südamerikas: Auf ihrer zweimonatigen Reise durch Peru, Bolivien und Chile erkundet unsere Autorin bekannte und weniger bekannte Orte und Landschaften. Und versucht vor allem, das andine Lebensgefühl in diesen Ländern voller Gegensätze zu verstehen - jenseits der Klischees von lächelnden Lamas und säuselnden Panflöten - immer montags.

Im Bann der Anden (I): Blick auf Machu Picchu vom Berg Putucusi

Blick auf Machu Picchu vom Berg Putucusi

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

In Machu Picchu hat es angefangen mit den Mücken. Es sind besonders widerliche Tiere, sie hinterlassen eine Blutspur auf der Haut, und jeder ihrer Stiche schwillt sofort an und entzündet sich. Das sei immer so in dieser Jahreszeit, sagen die Einheimischen in Santa Maria, aber dieses Jahr seien die Mücken besonders früh dran.

Santa Maria, das ist der Ort, in dem ich seit ein paar Stunden festsitze. Außer Mücken und jeder Menge Staub, den der Wind durch die Straßen wirbelt, gibt es hier keine besonderen Attraktionen.

Streik im ganzen Land

Keine berühmten Ruinen wie im Heiligen Tal der Inkas, das bei Cusco anfängt und wenige Täler von Santa Maria entfernt aufhört. Hier gibt es nur ein paar Coca-Pflanzungen. Aber deswegen bin ich nicht hier. Ich bin hier, weil Streik ist, im ganzen Land und besonders in Santa Maria.

"Paro" ist in Peru ein Zauberwort, das alle paar Monate einen Teil der Bevölkerung mobilisiert - und den anderen Teil lahmlegt. Die Menschen streiken aus den unterschiedlichsten Gründen, doch letztlich sind es immer dieselben: Sie sind unzufrieden mit ihrer Regierung, mit jeder Regierung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Touristen in Santa Maria auf den Streik reagieren.

Mücken bei Machu Picchu

Sie streiken, "weil wir Hunger haben", wie ein erschöpft wirkender Bauer sagt, der zusammen mit anderen Bauern und Gewerkschaftern am Straßenrand hockt, neben Autoreifen und Steinblöcken und Fahnen, mit denen sie in Santa Maria die einzige wichtige Straße blockieren: die nach Machu Picchu.

Im Bann der Anden (I): In Santa Maria wird gestreikt - so wie im ganzen Land.

In Santa Maria wird gestreikt - so wie im ganzen Land.

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Denn Santa Maria hat zumindest strategisch eine bedeutende Funktion. Über diesen Ort gelangt man sozusagen zum Hintereingang der berühmten Inka-Stadt, seit einem Jahr eines der sieben Weltwunder und der touristische Hotspot Südamerikas.

Einige trinken gelassen Bier, andere werden laut

Hier wollen alle hin, aus aller Welt, und ungefähr 4000 Menschen pro Tag machen ihren Traum wahr. Deshalb trifft man mit einer Blockade den Staat hier besonders wirkungsvoll. Und die Touristen. Die winden sich in Santa Maria aus den Kleinbussen und sind erstmal ein bisschen verunsichert.

Manche schlucken gelassen ein Bier vor einem Imbissladen und geben sich solidarisch: "Was sind unsere Probleme schon gegenüber ihren?" fragt eine rucksackreisende Holländerin. Ein paar Israelis dagegen klagen lautstark ihr Recht auf freie Fahrt ein, fast werden sie handgreiflich.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, warum man als Tourist morgens am Bahnhof von Aguas Calientes schon mal in Tränen ausbrechen kann.

Mücken bei Machu Picchu

Im Bann der Anden (I): Der Zug bringt Touristen von Cusco nach Aguas Calientes bei Machu Picchu.

Der Zug bringt Touristen von Cusco nach Aguas Calientes bei Machu Picchu.

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Zugegeben, heute war für alle, die hier gestrandet sind, kein einfacher Tag. Auch mein Begleiter Joachim und ich haben uns nur mit Mühen hierher durchgeschlagen. Eigentlich wollten wir mit dem Zug vom Touristendorf Aguas Calientes bei Machu Picchu wieder zurück nach Cusco fahren, denn der landesweite Streik war erst für einen Tag später angekündigt worden.

Doch um fünf Uhr morgens hatte unsere Zimmerwirtin an die Tür gehämmert: Der Streik gehe in dieser Gegend heute schon los, die letzten Zugtickets würden jetzt sofort am Bahnhof verkauft.

Wer jetzt noch kein Ticket hat, hat Pech gehabt

Schlaftrunken hetzten wir zum Bahnhof, wo bereits eine aufgebrachte Touristenmenge von Bahnangestellten durch einen Gitterzaun hindurch abgefertigt wurde. Die Botschaft: Wer jetzt kein Ticket hat, der bekommt auch keines mehr.

Blöd nur, dass man ausschließlich per Zug von Aguas Calientes wegkommt: Eine Straße durch die engen Schluchten, die Machu Picchu einschließen, gibt es nicht. Wutausbrüche, Betteln, Tränen mancher Reisender angesichts der Aussicht auf verpasste Rückflüge - nichts half: Die Gittertür blieb zu.

Lesen Sie weiter, welche Lösung ein findiger Reiseführer parat hat, und wie zwei Bäckergehilfen von dem Streik profitieren.

Mücken bei Machu Picchu

Im Bann der Anden (I): Touristen wetteifern um das beste Bild von Machu Picchu.

Touristen wetteifern um das beste Bild von Machu Picchu.

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Was tun? Zurück im Hotel, lernten wir den Reiseführer Nico kennen, der sich gerade hinter der Rezeption auf einer Pritsche ausruhte: "Für alles gibt es eine Lösung", verkündete er strahlend, nachdem er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte.

Die Lösung war, drei Stunden die Eisenbahnschienen entlang der Schlucht um Machu Picchu herum zu wandern, in Begleitung zweier junger Bäckergehilfen, die unser Gepäck trugen, schwer schnaufend, aber froh über die zusätzliche Einnahmequelle.

Kein Entkommen aus Santa Maria

Bis an einer Elektrizitätsstation wieder die Zivilisation und damit eine Straße begann. Auf der rasten wir mit unserem neuen Freund Nico und seiner Gruppe brasilianischer Touristen im Kleinbus durch das Hinterland gen Cusco - bis wir in Santa Maria jäh gestoppt wurden. Nach all diesen Mühen jetzt hier festsitzen?

Es hilft nichts, wir müssen die Nacht und den nächsten Tag in Santa Maria verbringen; Unterkünfte gibt es selbst in diesem unscheinbaren Durchgangsort reichlich, Kakerlaken auch.

Auf der nächsten Seite erfahren Sie, warum sich ein deutscher Student über den Streik freut.

Mücken bei Machu Picchu

Im Bann der Anden (I): Bei der Inka-Stadt Ollantaytambo betreiben die Menschen einfachsten Ackerbau.

Bei der Inka-Stadt Ollantaytambo betreiben die Menschen einfachsten Ackerbau.

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Zeit für einen Plausch mit Doña Elena, die auf einer Holzbank vor ihrem Krämerladen die Geschehnisse auf der Hauptstraße beobachtet und den Streik grundsätzlich gut findet: "Die Preise sind viel zu sehr gestiegen!"

Zeit, ein paar hundert Meter weiter unten am Fluss ein Geisterdorf anzuschauen, in dem El Niño 1998 die Hälfte der Hauser weggespült hat. Auch das von Doña Elena, deshalb wohnt sie jetzt oben in Santa Maria, allein. Die Söhne hat sie zum Studieren weggeschickt: "Hier ist kein Ort zum Leben."

Endlich Kontakt mit den Leuten

Zeit, den anderen Einheimischen zuzusehen, die solidarisch eine dünne Suppe teilen und ansonsten geduldig im Schatten der Häuserwände als Streikposten ausharren.

Ein deutscher Student mit wirrem Haar und seit schätzungsweise fünf Tagen verschwitztem T-Shirt lässt sich von ihnen gerne auf einen Teller Suppe einladen: "Das wird mein unvergesslichstes Urlaubserlebnis", sagt er glücklich schlürfend. "Endlich komme ich mal mit den Leuten in Kontakt!"

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Streik zuende geht, und die Touristen endlich wieder nach Machu Picchu gelangen.

Mücken bei Machu Picchu

Im Bann der Anden (I): Handarbeit als Nebenverdienst - Frauen bei Moray im Heiligen Tal

Handarbeit als Nebenverdienst - Frauen bei Moray im Heiligen Tal

(Foto: Foto: Jacobs/Weber)

Am Nachmittag des zweiten Tages ist der Streik zuende. Hat er was gebracht? Doña Elena schüttelt den Kopf: "Ich glaube nicht. Er war nicht heftig genug, damit die Autoritäten hinhören." Zeitungen wie das konservative Hauptstadtblatt El Comercio berichten nur mit Genugtuung, dass es in Lima kaum Probleme gegeben habe.

Und die Touristen fahren wieder ungehindert von Cusco nach Machu Picchu und zurück, als sei nie etwas gewesen.

Und trotz allem lohnt es sich

Überhaupt, Machu Picchu. Was soll man dazu sagen, was noch nicht gesagt wurde? Ja, es ist beeindruckend. Ja, es hat insbesondere frühmorgens, wenn der Nebel durch die Schluchten wabert und erst allmählich den Blick auf die spektakulär gelegenen Ruinen freigibt, eine mystische Aura.

Ja, die unglaublich vielen Touristen nerven unglaublich. Ja, die Anreise ist be-schwerlich, egal welchen Weg man wählt. Doch ja, es lohnt sich unbedingt. Auch und gerade wenn Streik ist. Wenn nur die Mücken nicht wären.

Auf der nächsten Seite finden Sie Informationen zur Anreise nach Machu Picchu.

Mücken bei Machu Picchu

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(Foto: Karte: sueddeutsche.de/thie)

Informationen

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Anreise von Cusco nach Machu Picchu: Am einfachsten und teuersten ist die Fahrt mit einem Touristenzug (verschiedene Preisklassen, www.perurail.com) durch das Heilige Tal nach Aguas Calientes; von dort aus fährt man noch eine halbe Stunde mit Bussen einen steilen Berg zum Eingang hoch.

Sparfüchse schlagen sich per Bus von Cusco über Ollantaytambo und die im Hinterland gelegenen Dörfer Santa Maria und Santa Teresa zu einer Elektrizitätsstation (Hidroeléctrica) durch und laufen von dort aus drei Stunden die Schienen entlang nach Aguas Calientes - oder hoffen, dass sie einen der Versorgungszüge für die Einheimischen erwischen.

Es gibt auch zweitägige Wandertouren nach Machu Picchu, die in Santa Maria beginnen (bei Agenturen in Cusco erfragen). Oder man wandert - der Klassiker - drei bis vier Tage auf dem einstigen Inka-Trail von Ollantaytambo nach Machu Picchu (Achtung, wegen Überfüllung früh buchen!).

Antje Weber, 40, war zehn Jahre lang Redakteurin der Süddeutschen Zeitung. Seit 2006 lebt sie in Quito in Ecuador und berichtet als freie Autorin aus Südamerika.

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