100 Jahre Linienflug und modernes Design:Es war so schön und wird es wieder sein

In der Mode heißt es, alles wiederholt sich. Das gilt offenbar auch für die Ausstattung von Flugzeugen - ein Blick zurück und in die Zukunft der Flugreise.

Von Katja Schnitzler

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Was sich in 100 Jahren Linienflug getan hat

Quelle: dpa

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Schick sieht sie aus, diese Maschine aus der Vergangenheit, welche eigentlich gar nicht so weit zurückliegt: Seit hundert Jahren gibt es in Europa regelmäßige Linienflüge, erstmals 1919 in Deutschland zwischen Berlin in Weimar. Und mit diesem Farman-Doppeldecker 60 namens Goliath wurde einige Wochen später die erste internationale Luftverkehrslinie eröffnet. Eine Reise für betuchte Trendsetter zwischen Paris und London, die dafür 15 britische Pfund hinblätterten, damals eine horrende Summe. Was sie dafür im umgebauten Bomber erwartete?

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Goliath bot gemütliche Korbstühle (ohne Gurte), einen atemberaubenden Blick, den die Reisenden ob des Motorenlärms wohl eher still für sich genossen, und das Wissen, als Passagiere gerade Fluggeschichte zu schreiben. Davon wurde ihnen hoffentlich warm vor Freude, denn beheizt waren die ehemaligen Militärmaschinen aus dem Ersten Weltkrieg nicht. Geflogen wurde übrigens lange Zeit nur bei Tag, da die Piloten auf klare Sicht angewiesen waren und oft Eisenbahnlinien folgten, um ihr Ziel zu erreichen. Ungeplante Zwischenlandungen waren an der Tagesordnung. Auf längeren Strecken schliefen die Passagiere nachts in Hotels, bis es wieder hell genug war zum Weiterfliegen - oder die Fluggäste mussten in den Nachtzug umsteigen.

In den Anfangsjahren durften sich die Reisenden das Mondäne am Fliegen also eher schönreden - bis der Luxus tatsächlich Einzug hielt.

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Voller Neid und höchst werbewirksam blickt die Dame im alten Korbstuhl mit Lunchbox auf dem Schoß auf den komfortablen Sessel samt Tablett, Gurt und verstellbarer Fußstütze ihrer Nachbarin: 1957 präsentierte die Airline B.O.A.C. (British Overseas Airways Corporation, ein Vorläufer der British Airways) den "Slumberette"-Sitz, in dem man in der Ersten Klasse auch gemütlich träumen konnte, vielleicht vom Fliegen. Kostüm und Anzug trugen damals nicht nur die gebuchten Models, auch zahlende Passagiere zelebrierten das Ereignis der Reise in Sonntagskleidung. Allerdings hätte damals auch im Alltag niemand mit Jogginghosen das Haus verlassen, die meisten nicht einmal für das Training (obwohl die Jogginghosen genau dafür ebenfalls vor hundert Jahren erfunden wurden).

Das Fliegen war zwischen den Weltkriegen nur für gut betuchte Kundschaft erschwinglich: Allein das One-Way-Ticket von Berlin nach Paris kostete 100 Mark, wer über den Atlantik wollte, zahlte das Neunfache. Ein deutscher Arbeiter verdiente aber nur 200 Mark im Monat - die Zeit der Billigflieger und der erschwinglichen Fernreise für jedermann lag noch in sehr weiter Ferne. Erst in den 1960er-Jahren wurde das Fliegen zum Massenphänomen und löste nach und nach Bahn und Schiff auf der Langstrecke ab.

Heute sind die Materialien zwar leichter und die Economy-Plätze führen den Begriff "Beinfreiheit" ad absurdum - doch modernste Designentwürfe sind gar nicht so weit weg von der Vergangenheit: Dies zeigen die Sieger der Crystal Cabin Awards 2019, die für ihre Innovationen für die Flugzeugkabine in Hamburg ausgezeichnet wurden.

Recaro Aircraft Seating Crystal Cabin Award 2019 Flugsitz seat

Quelle: Recaro/Crystal Cabin Award

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Der Sitzhersteller Recaro wurde dafür belohnt, dass er an den Komfort der Economy-Passagiere gedacht hat - und an eine Lösung für Schlafende, die ohne Kopfstütze bislang an der Schulter des Nachbarn erwachten. Ein flaches und vor allem verstellbares Rückenkissen soll die Frage beantworten, in welcher Position man sich nach einigen Stunden in der Holzklasse eigentlich noch hinsetzen soll, und das länger als fünf Minuten. Ebenfalls nicht im Bild: die bereits bekannte verstellbare Beinauflage. Sie würde ein Ruhen mit beinahe ausgestreckten Beinen ermöglichen - der Konjunktiv lässt Raum für Zweifel, ob eine Airline dafür auf die gewinnbringende Enge zwischen den Sitzreihen verzichten würde. Aber schon leicht gekippt könnte die Reise so bequemer werden.

Vor 60 Jahren stellten sich Passagiere zumindest in den gehobenen Klassen ganz andere Fragen, etwa: Wo soll ich meine Zigarette rauchen?

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Erst in den 1990er-Jahren fingen Airlines an, das Rauchen an Bord erst auf Inlands- und dann auf Langstreckenflügen zu verbieten. Bis dahin hatten Nichtraucher Pech, wenn sie keine der begehrten vorderen Sitzreihen ergatterten, sondern in der Reihe vor oder direkt unter Rauchern im hinteren Teil des Flugzeugs Platz nehmen mussten.

Diese Passagiere der ersten Klasse konnten auf einem Flug der PanAm von München nach New York im Mai 1957 zum Rauchen die Bar im Unterdeck des Flugzeugs aufsuchen - aufmerksam bedient von Stewardessen, die erst später despektierlich als "Saftschubsen" geschmäht wurden (dass sie im Notfall entscheidend dazu beitragen, ein Flugzeug innerhalb von 90 Sekunden zu evakuieren, vergessen manche Tomatensaftbesteller dabei).

Angesichts dieser kuscheligen Bar im Flugzeugbauch wirkt die preiswürdige Idee von Airbus gar nicht mehr so innovativ...

Airbus Lower Deck Modules for Crystal Cabin Award

Quelle: Airbus/Crystal Cabin Award

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Derzeit wird das Unterdeck vor allem für die Ladung genutzt. Aber angesichts von ultralangen Flügen, in denen sich etwa Passagiere von Singapur nach New York während achtzehneinhalb Stunden wünschen, sie hätten doch einen Zwischenstopp gebucht, fragten sich die Kabinengestalter bei Airbus, ob nicht etwas fehlt: Platz zum Ausstrecken zum Beispiel, Schlafkojen, normale Tische zum Arbeiten oder sogar ganze Spielbereiche für Kinder. Damit die Flugzeugbäuche nicht auf Dauer verbaut werden, hat Airbus dafür flexible Module geplant, die unkompliziert wieder herausgenommen werden können. Wird dieses Designkonzept Realität, würde das Herabsteigen zum Unterdeck den Aufstieg zum Luxuspassagier bedeuten - fast wie früher.

Man beachte zudem das Revival der freistehenden Stühle (ganz hinten im Bild), wenn sie auch nicht aus Korbgeflecht wie bei den ersten Linienflügen sind. Angesichts dieser Vision mit so viel Komfort, Bewegungs- und Ganzkörperfreiheit werden Gedanken an Gurtpflicht und Absacken in Luftlöcher schnell beiseite geschoben.

Hongik Universtät Crystal Cabin Awards

Quelle: Hongik Universtät/Crystal Cabin Awards

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Wie man auch reisen könnte, wenn man nicht am Ticketpreis spart, hat sich der Student Sahngseok Lee von der koreanischen Hongik Universtät ausgedacht: Der Name seines Konzepts "1 for all" ist Programm: Wie beim Spiel Tetris sind die Businessplätze und die First Class verschachtelt, wer mehr zahlt, steigt auf. Neidisch blicken die Economy-Bucher hinterher. So ist der vorhandene Raum zwar optimal genutzt, doch spätestens wenn die dritte Champagner-Flöte an den billigen Plätzen vorbeigetragen wird, könnte es zu einem Druckabfall samt Spannungsentladung in der Kabine kommen. Eine Datenauswertung hat ergeben, dass es viermal so häufig zu Zwischenfällen kommt, wenn es an Bord eine Business oder First Class gibt.

Bislang wurden wenigstens noch verschämt die Trennvorhänge vorgezogen, wenn die Business Class wieder etwas extra bekommt - etwa Bier frisch gezapft aus dem Fass, wie einst bei der Lufthansa ...

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Zumindest während der Wiesnzeit besinnt sich die Lufthansa auch heute noch gerne auf bayerische Traditionen, wobei die Gläschen im Bild weit weg sind von Original-Maßkrug-Maßen. Und auch das Fass müsste aus Gewichtsgründen heutzutage am Boden bleiben - jedes Kilo weniger spart Kosten. In den Anfangsjahren des Linienflugs mussten auch die Fluggäste erst auf eine Waage und dann ins Flugzeug steigen; die Anzeige war nur für die Kontrolleure sichtbar, um Bloßstellungen zu vermeiden. Waren Gepäck und Passagiere gewogen, konnten die Piloten das Gewicht und den Treibstoff berechnen.

Hier wird im Jahr 1962 noch sehr gesittet am Bierchen genippt, so dass darin kein Vorzeichen der "Ballermann-Billig-Bomber" zu erkennen ist, in denen Jahre später heiteres bis volltrunkenes Partyvolk nach Mallorca fliegen wird.

Rockwell Collins M-Flex Duet

Quelle: Rockwell Collins/Crystal Cabin Awards

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Würden die Jungesell(inn)en-Abschiedstruppen diesen Selbstbedienungsbereich zum lockeren Beisammenstehen für sich einnehmen, wäre es dort wohl vorbei mit der Aufgeräumtheit. So aber bietet das "M-Flex Duet" von Rockwell Collins einen Platz, wo sich Passagiere hinstellen, ohne den Gang zu blockieren, und sich gleichzeitig mit Snacks und Getränken versorgen können. Mit dieser Idee würde auch der bislang ungenutzte Raum vor den Flugzeugtüren aufgewertet - bei Start und Landung werden die Seitenwände einfach wieder zugeschwungen. Ein weiterer Vorteil: Wenn wieder mal der Kabinentrolley im schmalen Gang eine Rückkehr zum Platz verhindert, lässt es sich hier sehr viel angenehmer warten als vor der Klotür.

Noch bequemer wäre natürlich ein ausklappbares Bett, gerne extrabreit, mit Kissen und Decken. Eine revolutionäre Idee? Natürlich nicht ...

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Bereits 1957 hatte die britische Fluggesellschaft B.O.A.C bei Langstreckenflügen Sitze an Bord, die sich mit wenigen Handgriffen in ein Doppelbett verwandelt ließen. Da hierfür vier Plätze benötigt wurden, war dies sicher keine billige Angelegenheit.

In der modernen Version lässt sich nicht nur ein Bett einbauen ...

Paperclip Design "Peacock Suites" Crystal Cabin Awards

Quelle: Paperclip Design/Crystal Cabin Awards

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Die "Peacock Suites" von Paperclip Design wurden für ihr "Visionäres Konzept" mit dem Crystal Cabin Award ausgezeichnet: Je nach Kundenwunsch lassen sich die First-Class-Kabinen anpassen. Dann finden die reichen Gäste (aber nicht Superreichen, die mit den eigenen Jets fliegen) zum Beispiel ein Familienabteil mit Hochbett vor oder aber eine Drei-Zimmer-Luxussuite.

Andere Reisende würden sich schon wie im Himmel fühlen, wenn sie einen Flug ohne die niederschmetternde Erfahrung einer gekippten Rückenlehne auf ihrem Knie machen könnten. Da würde sich mancher sogar die wackeligen Korbstühle im unbeheizten Doppeldecker Goliath zurückwünschen. Die kippten höchstens als Ganzes um.

Mit welchen Passagier-Typen ein Flug sehr, sehr lang werden kann und wie Sie mit ihnen umgehen - das lesen Sie hier.

© SZ.de/mit Material von dpa/edi
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