Humorforschung:"Wir zerfleischen uns gerne selbst"

Die Medienforscherin Maya Götz hat den Humor von Kindern in 18 Ländern untersucht - und herausgefunden, worüber Kinder auf verschiedenen Kontinenten lachen. Im sueddeutsche.de-Interview erklärt sie, warum wir in Deutschland über uns selbst lachen können und warum nur Israelis Terroristenwitze machen dürfen.

Ein Interview von Kathrin Büchs

sueddeutsche.de: Was ist lustig?

Worüber Kinder lachen: Humor hat seine Grenzenm, AP

Worüber Kinder lachen: Humor hat seine Grenzen.

(Foto: Foto: AP)

Maya Götz: Humor ist ein Spiel mit Grenzen. Wir finden ja etwas lustig, wenn das, was wir kennen, plötzlich anders dargestellt wird. Lustig ist etwas, wenn kleine Grenzen des Gewohnten überschritten werden. Je älter man wird, desto mehr Grenzen und Filter hat man - und diese sind kulturell unterschiedlich.

sueddeutsche.de: Haben alle Kinder einen ähnlichen Humor?

Götz: Da ist zum Beispiel der grüne Schleim aus der Nase - der kommt in allen Ländern richtig gut an. Auch das Pubsen und Rülpsen und natürlich der nackte Hintern. Kinder lachen dann einfach, während sich Erwachsene davon sehr schnell distanzieren. Wir schieben bestimmte Filter davor, die wir im Laufe unseres Lebens bilden: Eigentlich fanden wir den grünen Schleim aus der Nase alle mal lustig, im Laufe der Zeit haben wir aber gelernt, dass das nicht lustig ist, sondern nur eklig, oder dass man das einfach nicht macht.

Es gibt bestimmte Bereiche bei denen wir wissen, dass wir darüber nicht mehr lachen dürfen. Wir haben bestimmte Deutungsmuster, weil wir wissen, das ist zum Beispiel nicht politisch korrekt. In akademischen Kreisen ist es nicht politisch korrekt, wenn man über Schwulenwitze lacht: Wenn jemand etwas mit einer verweiblichten Stimme erzählt, dann lacht man darüber nicht.

sueddeutsche.de: Kinder haben diese Deutungsmuster noch nicht und finden das dann lustig?

Götz: Genau, einfach weil die Stimme sich lustig anhört. In den USA lachen zum Beispiel jüngere Kinder noch über Indianerwitze. Wenn man älter wird, lernt man schnell: Lache niemals mehr über amerikanische Ureinwohner! Wir bilden eben bestimmte Filter, die es nicht mehr zulassen, dass wir dies als lustig empfinden. Das sind entweder Dinge, bei denen wir sehr sensibilisiert sind oder die bestimmte Tabus verletzen. Wenn das Thema von Tabus besetzt ist, bewegt uns das emotional, und wir Erwachsene haben dann ein unangenehmes Gefühl. Kinder fangen einfach an zu lachen.

sueddeutsche.de: Und in den verschiedenen Kulturkreisen gibt es unterschiedliche Tabus?

Götz: Genau, da gibt es ganz klare Unterschiede. Tabu heißt ja, dass ich darüber nicht rede, oder diese besondere Sensibilisierung für etwas, was wir oft in den westlichen Industrienationen haben. Weil so viel über politische Korrektheit gesprochen wird, macht Mann (zumindest wenn er sich als intellektuell versteht) eben keine Machowitze mehr.

In bestimmten Staaten darf man zum Beispiel keine Witze über religiöse Führer machen. Hier muss man als Urlauber auch sehen, wo die Tabus und die Sensibilitäten der einheimischen Bevölkerung sind.

sueddeutsche.de: Das betrifft ja die muslimischen Länder besonders.

Götz: Ja, dort ist auch alles was den Körper betrifft tabu: Mann - Frau und Körperlichkeit, darüber sollte man gar keine Witze machen.

"Wir zerfleischen uns gerne selbst"

sueddeutsche.de: Wo liegen sonst Tabus?

Peter Lustig, ddp

Peter Lustig veräppeln? Geht nicht.

(Foto: Foto: ddp)

Götz: Bei Kindern ist zum Beispiel dort eine Grenze, wo Witze über ihre Helden gemacht werden. Über Peter Lustig zum Beispiel darf man keine Witze machen - Peter Lustig veräppeln geht nicht. Teletubbis geht, wenn man älter ist, aber nicht Peter Lustig. Es gibt einfach Nationalhelden, Menschen, die wichtig für uns sind, und über die machen wir keine Witze. Kritik am Helden ist persönlich verletzend.

Bei Witzen geht es auch immer darum: Wer darf was erzählen. Eine israelische Kollegin kann zum Beispiel wunderbare Holocaust-Witze erzählen. Das würde ich niemals machen! Oder es gibt in Israel auch sehr schöne Terroristenwitze, die dann auch nur Israelis selbst erzählen dürfen. Wehe ein Arabischstämmiger erzählt einen Terroristenwitz - das geht gar nicht. Das ist wenn nur in einem vertrauten Freundschaftsverhältnis möglich.

sueddeutsche.de: Würden Sie Reisenden raten, diese Tabus bzw. Nationalhelden abzutasten und vorsichtig zu sein?

Götz: Ja so ist das mit Fettnäpfchen. In Europa sind wir alle relativ dicht zusammen. Es handelt sich hier eher um einen sehr ironischen sich selbst auf die Schippe nehmenden Humor. Kinder lernen sehr früh diese Humor-Kultur. In den USA ist der Humor sehr viel platter, direkter, nicht hintergründig. Insofern kommt unser Humor dort nicht immer an. Überhaupt ist das Lachen an sich auch ein wichtiges kulturgeprägtes Thema.

Deswegen lohnt es sich vor einem Urlaub schon, sich über seine eigene Humorkultur bewußt zu werden. Und wenn ich dann etwas derber bayerisch lache, dann gibt es Länder, in denen das von der Art schon nicht, vom Humor und was bestimmte Themen angeht, eben auch nicht ankommt.

sueddeutsche.de: Welche besonderen Tabus gibt es denn in China?

Götz: Das sind eher eigene Erfahrungen. Die Kinder in China haben im Alltag wenig zu lachen. Sie haben oft von halb acht morgens bis halb acht abends durchgehend Unterricht. Aber sobald dann etwas lustig ist, sind sie am Gackern.

Eine eigene Erfahrung ist, dass man in China keine Witze über Politik macht, man spricht eigentlich auch nicht drüber. Und unsere Selbstironie kommt nicht wirklich gut an.

In China ist es zum Beispiel so, dass man normalerweise nie alles aufisst, denn sonst wird sofort nachgefüllt. Das hatte ich vorher gelesen und mich dann bei einem wichtigen Essen daran gehalten. Das Problem war, es gibt eine Ausnahme: Ein bestimmter Fisch ist unglaublich teuer, und den isst man immer auf. Das fand ich einen unglaublich guten Gag, dass mir das passiert ist. Diese Situation war sehr skurril: Alle saßen aufrecht, die Gespräche wurden mit Dolmetscher geführt, und ich ins Fettnäpfchen rein.

Mein ganzes chinesisches Umfeld konnte das überhaupt nicht nachvollziehen. In den asiatischen Ländern geht es ja immer darum, nicht das Gesicht zu verlieren - niemals zugeben, dass man einen Fehler gemacht hat. Und das ist etwas, was gerade in Deutschland sehr üblich ist, dass wir uns gerne mal selbst zerfleischen. Zumindest ich kann daraus auch Humor ziehen - ich finde es dann auch lustig, wenn man mal wieder so richtig etwas falsch macht.

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