Hotel Ukraina in Moskau:Stalins alte Fassade

Das Haus war ein Zeugnis des galoppierenden Größenwahns der Sowjets, geplant wurde es von einem ehemaligen Gulag-Häftling. Jetzt ist es wieder eine der aufregendsten Adressen Moskaus.

Sonja Zekri

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Moskau Hotel Ukraina

Quelle: AFP

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Es gab die große Geste, himmelsstürmend, zukunftsselig, vor Selbstvertrauen wie berauscht. Und es gab ein paar Fragen. Was, schreibt etwa der Historiker Karl Schlögel, konnte einen Architekten geritten haben, "Elemente der italienischen Renaissance und des russischen Festungsbaus" zusammenzubringen? Was hatte den Künstler inspiriert, "eine Prachttreppe aufzuführen, über die Fremde lediglich zum Friseur gelangten"? Wozu hatte das Hotel vier Lifte, wenn auf jeder Etage nur 15 Zimmer untergebracht sind? Warum sind die Zimmer so winzig und dann noch über Eck gebaut?

Stalins sieben Hochhäuser, in Auftrag gegeben vom Diktator selbst, trotz wahnwitzig kurzer Bauzeit erst nach seinem Tod vollendet, waren so dominant wie erratisch. Das Außenministerium und die Lomonossow-Universität, die Wohnhäuser und natürlich die Hotels, das Leningradskaja und das Ukraina, haben Moskaus Silhouette über Jahrzehnte beherrscht. Hochhäuser, keine Wolkenkratzer sollten die "sieben Schwestern" sein, sie sollten Chicago und Manhattan nicht kopieren, sondern übertreffen. Sie sollten die kapitalistische Architektur überwinden und die Überlegenheit und Schönheit sowjetischer Schaffenskraft von Horizont zu Horizont beweisen. Das hat, wie man weiß, nicht geklappt. Der Bolschewismus ist hin, und um Stalins Architektur steht es so schlecht, dass Architekturkritiker die Neueröffnung des Hotels Ukraina als Radisson Royal schon deshalb begrüßen, weil es ja auch hätte abgerissen werden können.

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Direkt nach dem Zerfall der Sowjetunion war das Ukraina sowjetisch und billig, später war es sowjetisch und teurer, mit winzigen Zimmerchen, Plastikarmaturen und schummriger, aber verhandlungsbereiter weiblicher Gesellschaft in der Lobby. Vor drei Jahren wurde es geschlossen. Seit Ende April kann man es nun wieder buchen, ab Juni auch per Internet, und unter den neuen Vier- und Fünfsterne-Hotels, die gerade in Moskau entstehen, ist dies sicher eine der aufregendsten Adressen. Hier ist die Sowjetunion nicht abgetreten, sie hat sich veredelt, verwandelt in ein goldenes Zeitalter, das problemlos koexistiert mit dem Tattler-Club und dem "Juwelen-Theater" unter demselben Dach.

Über aberwitzige 88.600 Quadratmeter Fläche verteilen sich mehr als 1000 Bilder sozrealistischer Künstler, darunter ungezählte Kreml-Ansichten, Stillleben, mindestens ein Lenin, aber auch Kostbarkeiten wie die angelnden Jungen Alexander Deinekas. Natürlich sind dies uniforme, verordnete, künstliche Idyllen, aber sie werden wieder gesammelt und gekauft. Außerdem wurde eine Skulpturen-Sammlung angeschafft, mit Polarforschern, Gagarin, Athletinnen, Müttern und der "Königin des Feldes" von Pawel Jakimowitsch.

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Nur Eingeweihte dürften bemerken, dass das Personal im Restaurant Uniformen aus Eldar Rjasanows Film "Bahnhof für zwei" von 1982 trägt. Unübersehbar aber ist das riesige Deckengemälde in der Eingangshalle, "Ein Fest der Arbeit und der Ernte in der Ukraine". Und die Krönung: das Diorama. 1977 von Jefim Deschalyt für die Weltausstellung in New York entworfen, zeigt es auf 400 Quadratmetern ein Idealmoskau in den späten Siebzigern mit einem dominierenden Kreml, dem längst abgerissenen Hotel Rossia, einem überproportional großen Puschkinmuseum und kaum Verkehr. Was wird da salonfähig gemacht? Ein Stil? Eine Epoche? Eine Ideologie?

Das sind so Fragen, über die Hotelmanager Wolfgang Nitschke noch nie nachgedacht hat. Er findet es aufregender, dass die betagten Fünf-Sterner in Moskau jetzt vor Angst wackeln, weil sie neue Konkurrenz kriegen. Zum alten Ukraina hat er ein unsentimentales Verhältnis. Er musste 30 Prozent der Belegschaft übernehmen, die ihm von früher erzählt hat. "Ich habe sie gefragt, was sie gemacht haben, wenn sich ein Gast beschwert hat. Wissen Sie, was sie gesagt haben? Nichts."

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In seinen bisherigen Häusern wird so was nicht mal zu pädagogischen Zwecken erörtert. Nitschke hat ein paar Jahre das Dorchester in London geleitet und ein paar Monate das Burj Al-Arab in Dubai, wo sich ihm eine deutsche Industriellengattin anvertraut hat: "Sie sagte, sie komme gern nach Dubai, weil sie hier endlich mal ihre Juwelen tragen könne."

Derlei Zurückhaltung ist inzwischen nicht nur in Moskau fehl am Platze, sondern auch im neuen Ukraina mit seinem Yachthafen, dem Spa, dem 50-Meter-Schwimmbecken. Schon bei seiner Fertigstellung 1957 war das Haus ein Zeugnis galoppierenden Größenwahns. Mit mehr als 200 Metern Höhe und 35 Stockwerken galt es als größtes Hotelgebäude Europas. Höchste Gäste des Arbeiter- und Bauernstaates logierten unter riesigen Vasen mit Sowjetsternen darauf, als Symbole für die Fruchtbarkeit der ukrainischen Felder, dabei ging der Bau ironischerweise auf die Pläne eines ehemaligen Gulag-Häftlings zurück.

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Wjatscheslaw Oltarschewskij, der das Hotel unter der Anleitung von Arkadij Mordwinow entworfen hatte, war Hochhaus-Experte. Er hatte neun Jahre lang in Amerika gelebt, an der Columbia University Vorlesungen gehalten und vor allem Wolkenkratzer studiert. Nach seiner Rückkehr geriet er in eine Intrige, man warf ihm Sabotage vor, er wurde in ein Lager in Workuta verschleppt, jenseits des Polarkreises. Dort entwarf er weiterhin Wohnhäuser und fand noch Zeit, Stalin seine Meinung über den geplanten monumentalen Palast der Sowjets zu schreiben. Vielleicht war es dieser Brief, vielleicht wollte Stalin in einer seltenen Aufwallung auch nur die Vernichtung eines Talents verhindern, jedenfalls durfte Oltarschewskij 1943 zurück nach Moskau. Er bekam sogar einen Orden - und den Auftrag für das Hotel Ukraina.

Heute, fast 60 Jahre später, beansprucht das Haus wieder einen Platz an der Spitze der Moskauer Hotelerie, dank eines verschwiegenen, überaus erfolgreichen Mannes. Sarach Ilijew, Abkömmling aserbaidschanischer Bergjuden, ist auf den Moskauer Gemüsemärkten zu Geld gekommen und besitzt Elektronik-, Möbel- und Gartenmärkte, ein Autozentrum, eine Shopping-Mall. Für 275 Millionen Dollar hat er der Stadt Moskau das verstaubte, etwas groß geratene Kleinod mit Zimmerservice abgekauft und 300 Millionen in die Renovierung investiert. Die Architekturhistorikerin Natascha Duschkina hat er nicht überzeugt.

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Gut, das Hotel steht, das ist nicht selbstverständlich. Man weiß ja, was mit Alexej Schussews 20 Jahre älterem Hotel Moskwa mit der charakteristisch asymmetrischen Fassade am Kreml passiert ist: Es wurde vor sieben Jahren abgerissen und wird nun mit ähnlicher Fassade, aber neuem Innenleben wieder aufgebaut. Ursprünglich sollte das Moskwa 2007 eröffnet werden, dann gab es Streit um Aktien und Kredite, Gelder verschwanden, die Sache landete vor Gericht. Inzwischen ist die Rede von 2011, und selbst dafür würde niemand seine Hand ins Feuer legen.

Das Hotel Moskwa gilt als erster Fall von Architekturvernichtung mit anschließender Scheinrekonstruktion in Moskau. "Fassadismus" nennen es manche, Natascha Duschkina nennt es ein "Verbrechen". Aber Denkmalschützer im In- und Ausland konnten nicht verhindern, dass in den nächsten Jahren auch das Kaufhaus Wojentorg abgerissen wurde und Hunderte weitere historische Bauten. "Eine Welle der Zerstörung hatte die Hauptstadt erfasst und fast eine ganze Strömung der Architektur aus dem 20. Jahrhundert ausgelöscht", sagt Duschkina. Aber nun sei diese Welle gebrochen. Dass das Ukraina gerettet wurde, verzeichnet Duschkina als kleinen Sieg für Denkmalschützer und Architekten.

In der Einzelkritik aber lässt sie kaum ein gutes Haar an der Restaurierung, wobei ihr Misstrauen besonders durch den Absturz eines der Türme geweckt wurde.

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Zwar versichert das Hotel, das Malheur sei geschehen, als man das Gebäude brandsicherer gemacht habe, aber das glaubt Duschkina nicht. Das Hotel habe die Zimmerzahl von mehr als 1000 auf 500 halbiert, da habe man bestimmt an der Statik manipuliert, so ihre Theorie.

Aber sie hat auch konkrete Einwände: Das Dach über dem Eingang, eine durchhängende braune Scheußlichkeit auf Silbersäulen, hätte der Denkmalschutz nie durchgehen lassen dürfen. Und dass im 30. Stock ein italienisches Restaurant eingezogen ist und dafür um die Spitze ein gewölbtes Fensterband gezogen wurde, missbilligt sie: "Alles an diesem Bau war auf die Vertikale ausgerichtet. Die Fensterfront unterbricht diese Linien."

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Die Renovierung des Hotel Leningradskaya, eine weitere der "sieben Schwestern" in ungleich schmuddeligerer Lage an den drei Bahnhöfen gelegen, hält sie für gelungener. 2009 ist hier die Hilton-Gruppe eingezogen. In der Eingangshalle wurden die historischen Proportionen gewahrt, an der Fassade nicht herumgefummelt. Wäre die Restaurierung des Ukraina ein bisschen vorsichtiger gelaufen, wer weiß, vielleicht hätten es Stalins "sieben Schwestern" sogar zum Weltkulturerbe gebracht. Natascha Duschkina meint: "Daran ist nicht mehr zu denken."

Informationen

Hotel Ukraina: Radisson Royal Hotel, Kutusowskij Prospekt 2/1, 121248 Moskau, Tel.: 007/4952215555, DZ vab 210 Euro, http://www.radisson-hotels.ru/royal-moscow

Hilton Moscow Leningradskaya: Kalanchevskaja Straße 21/40, 107078 Moskau, Tel.: 007/4956275550, DZ ab 220 Euro, www1.hilton.com

© SZ vom 2.6.2007/kaeb
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