Übernachten in Hamburg:Fast wie in Japan

Cab20

Ein Raum gewordenes Bett: Im Cab20 in Hamburg umschließen die Wände den Schlafplatz.

(Foto: Niklas Marc Heinecke)

Das "Kabinenhotel" Cab20 holt eine erfolgreiche Idee aus Asien nach Deutschland: winzige Zimmer, in denen man trotzdem ohne Platzangst schlafen kann.

Von Anja Martin, Hamburg

Wenn man auf Städtetrip im Cab20 aufwacht, ist Hamburg erst einmal weit weg. Und das trotz der zentralen Lage fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, mitten in St. Georg. Öffnet der Gast die Augen, ist es dunkel, ganz gleich zu welcher Tageszeit. Er liegt in einem Raum gewordenen Bett, in einer geschlossenen Kabine, alleine mit seinem erweiterten Ich. Das Handy griffbereit und kabellos geladen auf einem schmalen Board neben sich. Vom Abend davor noch verbunden mit den in die Wände integrierten Bluetooth-Boxen, und selbstverständlich hat er Wlan, Highspeed.

Wo sich in anderen Hotels ums Bett herum das Zimmer öffnet, umschließen es hier Wände. Das winzige Fenster geht nur scheinbar ins Freie. Bei aufgedrehten Lamellen fällt das Kunstlicht des Flurs herein. Dem geübten Stammgast könnte das die Tageszeit verraten, denn das Lichtkonzept des Kabinenhotels sieht verschiedene Farben vor: tagsüber bläulich, abends rötlich. 176 Kabinen dieser Art existieren im Cab20 - je zwei übereinander verschachtelt, verteilt auf drei Stockwerke im Gebäude. Die Einzelkabinen sind je 3,7 Quadratmeter, die Doppelkabinen sechs Quadratmeter groß. Darin ein bezogenes Bett, Kleiderhänger, Bademäntel und Handtücher. Alles andere existiert außerhalb und wird geteilt. Die Toiletten finden sich auf der Etage. Wer duschen will, steigt in den Aufzug und fährt in den Keller zu den Waschräumen. Abgeklebte Bahnen am Boden, Boxsack, Turnpferd und Ballettstange lassen an Sportstätten denken. Allerdings würde jeder Turnverein jubeln, denn statt Gemeinschaftsduschen wurden abschließbare Duschkabinen eingeplant.

Cab20

Eine Sportstätte? Nein, Design: Abgeklebte Bahnen am Boden, Boxsack, Turnpferd und Ballettstange gehören zur Einrichtung des Hotels.

(Foto: Niklas Marc Heinecke)

Wer eine Verbindung zur Außenwelt sucht, muss mit dem Aufzug ganz nach oben, wo ein Lümmelraum mit großen Fenstern und Dachterrasse wartet. Oder in die Lobby, wo die Person hinterm Tresen Kaffee braut und man den Alltag von St. Georg auf dem Gehweg an sich vorbeiziehen sieht. Und auch wenn das System dank Self-Check-in, Snackautomaten und digitalen Schlüssel- und Bezahlarmbändern ohne Personal funktionieren könnte, hat man ganz bewusst auf Menschen gesetzt, die persönlich Fragen beantworten, Drinks mixen und Bier zapfen, statt es einer Maschine zu überlassen.

"Gestartet sind wir mit einem Kapselkonzept", erinnert sich Lasse Lütjens, 46, Geschäftsführer des Cab20. Das war vor fünf Jahren. Es folgten eineinhalb Jahre Prototypentwicklung. Und man entschied bald: "Echt japanisch funktioniert vermutlich nicht." Schließlich gibt es eklatante kulturelle Unterschiede zwischen Japan und Deutschland. Trotzdem wollten sie das Gute der Idee nutzen, also Fläche sparen, was ja auch nachhaltig ist, und alles weglassen, was der Hotelgast im Grunde doch nicht braucht, wie Fernseher, Minibar, Festnetz, Bügeleisen und ein eigenes Bad.

Das Haus war schon Töpferwerkstatt und Suppenküche für Obdachlose

Im Cab20 schläft man zwar auf kleinem Raum, hat aber vor dem Bett Stehhöhe, Platz für den Koffer, einen elektronischen Zimmerschlüssel und Treppen zu den oberen Kabinen. Man kann alles hineinnehmen, auch die Straßenschuhe. Echt japanisch wären kleinere Plastikkapseln, wabenartig aufgeschichtet, nur mit Vorhängen verschlossen. Man würde sein Hab und Gut in Lockern verstauen und über Leitern ins Schlafgemach klettern. Was uns Mitteleuropäern klaustrophobisch erscheint, umständlich oder unsicher, haben die Planer abgewendet.

Mathias Krahl, Geschäftsführer der Eigentümerin Fährhaus Investment Group, will das Microliving-Hotel demnach auch nicht mit anderen Kapselhotels vergleichen, die es in Deutschland bereits gibt. Allein das in Amsterdam, Rotterdam und Stockholm existierende City Hub erscheint ihm ähnlich. PR-Vorteil: Man kann sich erstes Kabinenhotel Deutschlands nennen. Das erste Kapselhotel wäre man definitiv nicht.

Zwar sieht das Cab20 aus wie ein Neubau, doch es hatte ein Leben davor: Ursprünglich ein Autohaus, ließ die Investmentgruppe nach dem Kauf eine temporäre Nutzung zu. Das Gebäude gab Künstlern für zwei bis drei Jahre ein Zuhause. "Es wurde getöpfert, gemalt, es entstand eine Suppenküche für Obdachlose", erinnert sich Mathias Krahl. Das Projekt hieß B20, gemäß der Adresse Brennerstrasse 20. Die Hotelgründer machten daraus später Cab20, von Cabin Class oder Kabinenklasse. Das klingt nicht nach low budget, aber auch nicht nach Luxus. Lieber Komfort statt Platz. Lieber Design statt goldene Wasserhähne. Und mehr Geld in die Entwicklung stecken, damit sich das Übernachten gut anfühlt.

An Details merkt man, dass Krahl einmal Physik studierte und Lütjens Architektur. So sind die Kabinen akustisch entkoppelt und der drüber müsste schon extrem trampeln, damit man was von ihm mitbekommt. Schließlich will keiner die Playlist der Nachbarn mit anhören. Vor allem hofft man auf die 18- bis 30-Jährigen als Gäste. "Sie sind preissensibel, aber wollen trotzdem nicht mit der Freundin im Sechsbettzimmer schlafen", sagt Lasse Lütjens. Und wenn sie nachts feiern waren, freuen sie sich über ein Hotel, in dem man ungerührt den Tag verschlafen kann, egal ob das Licht im Flur rötlich oder bläulich ist.

Doppelzimmer ohne Frühstück: 40 Euro. Einzelzimmer 35 Euro, www.cab20.de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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