Hotel "Eremito" in Umbrien:Ruhe jetzt!

DS Eremito

In den Wäldern Umbriens: Aussicht vom Hotel Eremito.

(Foto: Design Hotels)

Schon Franz von Assisi schätzte die Stille der Wälder Umbriens. Heute steht dort ein Hotel, in dem man am Abend schweigend essen muss, keinen Wlan-Empfang hat und sich in Klosterzellen zur Ruhe bettet.

Von Stefan Ulrich

"Weißt du, was mein Sohn einmal über mich sagen soll?", fragt Marcello und gibt gleich die Antwort: "Ich hatte einen Vater, der glücklich lebte und mit einem Lächeln starb." Marcello, der nicht ungern über sich spricht, sieht sich auf gutem Weg zu diesem Ziel. Denn gerade tut er das, was er vielleicht am liebsten macht - Philosophieren mit seinen Gästen. Er redet über die Wirtschaftskrise in Italien, die arbeitslosen jungen Menschen in den Städten und über die Erfolgreichen, die sich trotzdem nicht freuen könnten, weil ihr Leben vorbei rausche, während sie von Termin zu Termin hetzten. Dann nimmt er einen Schluck der Tisana, des Kräutertees seines Hauses und blickt über die grünen Hügel Umbriens, die sich wie Wellen am Horizont brechen. "Das hier ist die Zukunft. Hier findet man alles, was man braucht."

Und das wäre? Zeit, Stille, Besinnung, Gespräche über Gott und die Welt, Kerzenlicht, vegetarische Küche und den Luxus, den Marcello Murzilli dann doch für nötig hält, um Gäste in sein vom Mönchsleben inspiriertes Domizil zu locken.

Mittelalter mit einem guten Schuss Moderne, Fußbodenheizung inbegriffen, das ist die Formel, der er vertraut. Zwar hat der drahtige, vom täglichen Yoga in Form gehaltene 66-Jährige es nicht wirklich nötig, Geld zu verdienen; das hat er in seinem abenteuerlichen Leben schon genug getan, wovon er noch erzählen wird. Aber seine Botschaft möchte er doch weitergeben. Und nicht nur an seinen Sohn.

Der Luxus ist hier die Einfachheit

"Die Krise in Europa wird nicht mehr vorübergehen", prophezeit er am Holztisch auf der Wiese vor dem Haus, den Boxer Beppo zu seinen Füßen. "Deswegen ist es Zeit, neue Formen des Lebens auszuprobieren." Und das könnten ganz alte sein. Das 13 Einzelzimmer kleine Hotel Eremito, tief versteckt in den umbrischen Bergen, betrachtet Marcello als Prototyp für einen Luxus der Einfachheit und als soziales Experiment. "Dies soll ein weltliches Kloster des 3. Jahrtausends werden", sagt er, während seine vier Gäste - drei Frauen, ein Mann - die vom Fluss heraufziehende Kühle mit dem heißen Kräutertee bekämpfen. "Die Zeiten des Hedonismus sind vorbei. Die Leute suchen heute Orte, an denen sie zu sich kommen und nach ein paar Tagen erkennen, was sie wirklich wollen." Wobei die Leute schon einiges hinblättern müssen, um sich das Eremito zu leisten.

Marcello, der sich mit seinen Gästen duzt, spricht schnell. Er hat nicht mehr viel Zeit. Bald wird zu Abend gegessen und dann heißt es schweigen. Basta.

Wer aus irgendeiner modernen europäischen Stadt hierher gefunden hat, darf sich auf ungewöhnliche Erfahrungen gefasst machen. Marcello, der sein Licht nicht unter den Scheffel stellt, sieht sich als "sanfter Diktator" und legt Wert darauf, dass seine Regeln eingehalten werden. So hat er Fernseher und klingelnde Handys aus dem Eremito verbannt, auch Internet gibt es nicht, außer für Marcello selbst, der abends gern ein Weilchen im PC abtaucht, jedoch betont, das sei für seine Arbeit als Hotelchef unerlässlich.

Hotel "Eremito" in Umbrien: Marcello Murzilli hat das "weltliche Kloster" nach seinen Vorstellungen geschaffen, um "neue Formen des Lebens auszuprobieren".

Marcello Murzilli hat das "weltliche Kloster" nach seinen Vorstellungen geschaffen, um "neue Formen des Lebens auszuprobieren".

(Foto: Design Hotels)

Immerhin, das Stundengebet, das frühmorgens in der Kapelle reihum laut vorgetragen wird, auf Italienisch, ist nicht obligatorisch und manche Besucher schlafen lieber ein bisschen länger in ihren Zellen. Doch das Schweigen beim Abendessen ist Gesetz. Als Schule des Bewusstseins be-trachtet Marcello dies. Der Körper solle wieder spüren lernen, wie Auberginen, Dinkelsuppe oder Apfelkuchen wirklich schmecken. Wie sie im Mund ihre Aromen entfalten, die Speiseröhre hinuntergleiten und Bauch und Seele erfüllen.

Nicht jeder ist darauf eingestellt. Es ist ein bisschen seltsam, am ersten Abend mit noch wildfremden Menschen im Refektorium bei Tisch zu sitzen und kein Wort zu sprechen, während die Kerzen flackern und gregorianische Choräle erklingen. Nicht einmal Danke soll man sagen, wenn Marcellos stiller Bruder Sergio oder dessen Gehilfen Eli und Maurizia die einfachen, schmackhaften Speisen hereintragen, die oft aus dem Gemüsegarten vor dem Haus stammen. Ein Nicken muss genügen. Und dann ertappt sich der Gast, wie er statt auf den Speisefluss in seinem Inneren auf die Kratzgeräusche auf den Tellern lauscht. Jedes Ablegen der Gabel oder Aufsetzen des Rotweinglases, ja selbst das Kauen der Kaki-Früchte beim Dessert, scheint ungebührlichen Lärm zu erzeugen. So isst man behutsam, den Blick ins Kerzenlicht gesenkt. Doch schon das zweite Abendessen lässt sich unverkrampfter an und danach wird es immer leichter.

"Siehst du das?" - "Was denn?"

Nach dem Essen zieht es Marcello nochmals nach draußen. Er deutet in die Nacht, die finster ist, weil der Mond es noch nicht über die Hügel geschafft hat. "Siehst du das?", fragt er. "Was denn?" "Na die Dunkelheit. Hier rundherum in den Hügeln steht kein einziges bewohntes Haus. Kein einziges Licht leuchtet. Zauberhaft."

Abends allein in der Zelle, keine neun Quadratmeter groß, kann der Gast all die erlesen einfachen Details betrachten, die den Charme des Eremito ausmachen und vom Perfektionismus seines Gründers zeugen: das handgewebte Bettzeug, die Steinbank vor der steinernen Schreibtischplatte, das aus Fels gemeißelte Waschbecken, der Duschkopf aus beschlagenem Messing. Von draußen klingt ein Zirpen, Quaken oder Heulen herein, je nach Jahreszeit lauter oder leiser. Die einsamen Hügel Umbriens sind in Wahrheit voller Leben.

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Marcello hat ein ganzes Jahr lang gesucht nach einem "einsamen Ort voller Spiritualität". Das sei nicht leicht gewesen im dicht besiedelten Italien. Bald konzentrierte er sich auf Umbrien, das Land der Heiligen, Mystiker und Eremiten. Als er an einem Januartag des Jahres 2009 hier ankam, in diesem stillen Tal unweit des Ortes Parrano, spürte er: "Das ist der Platz." Er sah die Hügel, die wie sein geliebter Ozean dahinrollten. Er hörte den Bach Chiani im tiefen Grund gurgeln. Und er sah diesen grau-beigen Steinhaufen, wie mit dem Pinsel hineingetupft auf einen immergrünen Hügel; die Reste eines uralten Weilers. Er kaufte sie dem Eigentümer ab.

Vier Jahre lang dauerten die Arbeiten. Marcello musste eine Piste durch die Hänge mit ihren Steineichen und Erdbeerbäumen legen, fünf Kilometer Kabel verlegen und einen hundert Meter tiefen Brunnen bohren lassen. Und er baute nicht einfach die alten Bauernhäuser wieder auf. Vielmehr entwarf er eine Eremitage nach eigenem Gusto, wie aus dem Bilderbuch, mit Tor und Türmchen, Rundbögen, schweren Gittern vor den Fenstern, Steingewölben und Holzbalkendecken, offenen Kaminen, Nischen für die Kerzen, schmiedeeisernen Kandelabern, Diwanen, Orientteppichen und reich bestickten Kissen.

Tausende grobe Steine ließ er zuschlagen und ineinanderfügen, damit die Wände drinnen und draußen wie aus massivem Naturstein wirken. Dabei ist in ihnen modernste Dämmung versteckt, um die Temperatur im Eremito sommers wie winters konstant zu halten. Eine Solaranlage erzeugt den Strom, das Holz der umliegenden Wälder sorgt im ultramodernen Heizkessel für Warmwasser. Sogar eine kleine Wellness-Anlage ließ er in den Fels schlagen, mit Dampfbad und Warmwasserbecken, denn er weiß: Seine Gäste, diese modernen Mönche und Nonnen auf Zeit, lieben es behaglich. "Spiritualität, Ökologie und Technologie", das ist der Dreiklang, dem er gefolgt sei, sagt Marcello. Vier Jahre dauerten die Arbeiten. Im Frühjahr 2013 öffnete das Eremito dann seine Zellen.

Informationen

Anreise: Mit dem Flugzeug bis Rom oder Florenz. Von dort mit dem Auto auf der A1 bis zur Autobahnausfahrt Fabro oder mit dem Zug bis zum Bahnhof Fabro Ficulle. Von dort im Hotel anrufen für weitere Instruktionen und Abholung im Jeep.

Unterkunft: Die Einzel-Zelle mit Vollpension, Getränken und Zugang zum Spa kostet 2014 wochentags 150 Euro, am Wochenende 200 Euro pro Tag; 2015 wochentags 200 Euro, am Wochenende 235 Euro pro Tag; Sondertarife bei längerem Aufenthalt.

Adresse und Buchung: Eremito - Hotelito del Alma, Localitá Tarina 2, 05010 Parrano (Terni), Italien. Tel.: 0039/0763/89 10 10; E-Mail: info@eremito.com; www.eremito.com.

Wer hierher kommt? Marcello sagt, dies sei kein Ort für vergnügungswütige Singles, sondern für Alleinreisende, die nachdenken wollten. "Über ihre Arbeit, ihr Leben, die Liebe." Oft seien es Menschen am Wendepunkt, zu 70 Prozent Frauen; die Krankenschwester aus dem Veneto etwa, die mit ihrem behinderten Kind nach Umbrien ziehen möchte, um ein neues Leben zu beginnen. Oder die Kulturmanagerin aus Deutschland, die eine Pause braucht.

"Leute, die sich fragen: Wie soll ich leben, um glücklich zu sein."

Marcello lässt sie mit einem Jeep abholen, denn die ausgewaschene Staubstraße, die durch eine Furt im Bach führt, ist mit normalen Autos kaum zu bewältigen. Im Eremito angekommen, weist er jeden Gast in das Leben hier ein. "Potare", lautet sein Lieblingswort, es bedeutet "stutzen, beschneiden". Es ist Marcellos schönstes Bild: Wie einen Olivenbaum müsse man den Menschen mit seinen vielen Wünschen und Aktivitäten zurückschneiden, um ihm wieder Kraft zu geben. Er deutet auf sein zerschlissenes, schlammfarbenes Hemd. "Ich trage es seit 19 Jahren." Die Gäste sollten ihm auf dem Pfad der Einfachheit folgen, wünscht sich Marcello, auch wenn er klarstellt: "Ich bin nicht der Messias."

Stille Tage im Eremito: eine Wanderung hinunter zum Fluss oder hinauf ins Dorf Parrano; ein Bad in der schummrig beleuchteten Grotte, aus deren blaugrünem Wasser die Dämpfe steigen, gregorianischem Gesang lauschend; eine Siesta hinter dem Haus. Wie beiläufig erfährt man die Lebensgeschichten der anderen Gäste. Und wenn man hartnäckig nachfragt, verleiht Marcello ein abgegriffenes Buch, seine Autobiografie, die er in wenigen Exemplaren drucken ließ. Noch lieber aber erzählt er selbst aus seinem Leben, das klingt wie ein Roman, bei einer Tisana oder einem Rotwein am Feuer.

Marcello wuchs mit vielen Geschwistern in einfachen Verhältnissen auf, in den Abruzzen, dann in Rom. Mit 17 Jahren zog er in die Welt, zunächst nach London, wo er als Tellerwäscher arbeitete, später nach Mexiko. Zurück in Rom gründete er eine Firma, "El Charro" genannt, um den jungen Italienern Cowboystiefel und Mode im Wildwest-Stil nahezubringen. Die Firma wurde ein enormer Erfolg, machte Marcello reich und raubte ihm zugleich die Freiheit. 1991 verkaufte er El Charro, kaufte ein Boot und segelte zwei Jahre lang mit seiner damaligen Frau um die Welt.

"Ich entdeckte wunderbare Orte und kam auf die Idee, ein Hotel zu eröffnen, das es noch nicht gab." Er zog in den Dschungel an der mexikanischen Pazifikküste, lebte jahrelang im Zelt und baute mit hundert Campesinos ein Pfahlbau-Hotel ganz aus Naturstoffen auf, aus Bambus, Lehm und Baumwolle. Das Hotelito Desconocido setzte einen Trend, wurde zu "Lateinamerikas erster Luxus-Lodge", sagt Marcello. Als alles lief, verkaufte er auch dieses Projekt und kehrte nach Italien zurück, um sein weltliches Kloster zu gründen.

Am nächsten Morgen steht der Mann mit Mission auf dem Dach des Eremito. "Ist es nicht faszinierend, dass der Heilige Franz von Assisi vor bald tausend Jahren dasselbe gesehen hat wie wir heute? Die Hügel, die Wälder . . ." Dann meint Marcello, hier sei er angekommen. Für immer. Allerdings hat er am Abend zuvor noch gesagt: "Wenn etwas fertig ist, langweile ich mich." Doch so weit ist er hier noch nicht.

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