Es zeugt schon von Unerschrockenheit, wenn jemand für die Gestaltung eines Acht-Zimmer-Hotels bei Herzog & de Meuron anfragt. Das Schweizer Architekturbüro wurde international mit Bauten wie der Tate Gallery of Modern Art in London, der Hamburger Elbphilharmonie, dem Olympiastadion in Peking oder auch der Münchner Allianz-Arena bekannt. Und nun reiht sich eben auch das Bregenzer Stadthotel „Kleiner Löwe“ in diese Auflistung – dank der Ausdauer von Lisa Rümmele und Johannes Glatz, zwei Quereinsteigern in der Hotellerie.
Zunächst dachten Rümmele und Glatz – sie arbeitete bis vor Kurzem noch als Journalistin, er stammt aus einer alten Bregenzer Unternehmerfamilie – lediglich über ein Wohnhaus für ihre eigene Familie nach. Doch schnell entwickelten sich die Pläne für das kleine Haus am Kornmarkt weiter, bei dem 2013 der Dachstuhl abgebrannt war. Schließlich hatte die Stadtbevölkerung historisch gesehen meist Zugang zu dem Bau, der nur wenige Gehminuten vom Ufer des Bodensees entfernt liegt. Vor 200 Jahren war das Haus als Brauerei errichtet worden, die zu einem inzwischen abgerissenen Gasthaus gehörte. Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde hier Bier gebraut, erzählt Lisa Rümmele. Anschließend, so die 41-Jährige, seien in dem Haus das erste Kino der Stadt, später eine Bank, ein Möbelhandel, ein Feinkostladen und zuletzt ein Nachtclub untergebracht gewesen. „Nach dem Brand stand das Haus einige Jahre leer. Und 2015 im September saß Johannes am Platz gegenüber und trank einen Kaffee. Da kam ihm die Idee.“

Neun Jahre später sind also lediglich die beiden oberen Stockwerke des fünfgeschossigen Neubaus hinter der originalen, neobarocken Fassade privater Wohnraum. Darunter liegen zwei Hoteletagen mit je vier Zimmern. Das Erdgeschoss bietet in einem durchgehenden, aber dreigeteilten Raum genug Platz für den „Salon“ (ein Café zum Kornmarkt hin), für die mittig angelegte Bar und für die Frühstückstische im hinteren Teil des Raums.
Johannes Glatz ist sich bewusst, dass Herzog & de Meuron zwar einige Hotels gestaltet haben, jedoch noch nie ein so kleines Objekt: „Es ist surreal, vielleicht sogar größenwahnsinnig, sich dann ausgerechnet bei diesem Büro zu bewerben“, gibt der gebürtige Bregenzer zu. Robert Hösl weiß als verantwortlicher Architekt, wie es dennoch zur Zusage kam: „Das Zünglein an der Waage war die interessante Mischung aus Aufgaben: der Salon mit der Öffnung hin zur Stadt, das Hotel und darüber die private Wohnung.“ Wirtschaftlich gesehen rechne sich eine solche Gestaltungsaufgabe nicht, sagt der 59-Jährige: „Das Verrückte ist, dass so ein kleines Projekt genauso viel Aufmerksamkeit bindet wie ein großes. Aber in unserem Büro betreiben wir ja auch immer Forschung“, gibt er als einen der Gründe an. Vor allem aber habe die Beziehung mit den Bauherren von Anfang an gut funktioniert. Und außerdem: „Ein kleines Hotel gibt einem mehr zurück als ein 50 000-Quadratmeter-Büro. Es ist schon etwas Persönliches – zu hören, dass sich die Kinder der Bauherrschaft im Haus von Tag eins an wohlfühlen.“
Errichtet wurde ein Neubau auf einer Parzelle von acht Metern Breite und 23 Metern Tiefe. Von den Hotelzimmern aus blickt man zum Teil hinunter auf den Kornmarkt; ein großzügiger Sichtschlitz wurde von den Architekten dafür in die Fassade geschnitten, mit dem nötigen neobarocken Schwung, um sich der bestehenden Substanz anzugleichen: „Wir wollten nicht einen kompletten Neubau, sondern die Fassade behalten und nicht auftrumpfen mit einer neuen Architektur“, sagt Hösl.

Die Zimmer sind nur zwischen 22 und 29 Quadratmeter groß. Vor allem über das Bad, so erklärt Hösl, habe sein Team lange nachgedacht – und schließlich Duschmauern eingebaut, in die man sich mit einer Drehbewegung hinein begibt wie in eine Ohrmuschel: „Kleiner kann man es nicht machen, aber so benötigt man kein trennendes Glas und duscht fast wie in einer Litfaßsäule.“ Um Lösungen wie diese zu finden, habe man viel mit Virtual Reality gearbeitet, sagt der Architekt: „Und mit so einer Gamer-Brille.“
Die Zimmer zum Garten und Innenhof weisen Richtung Pfänder, dem Bregenzer Hausberg, und zu den Turmspitzen der Herz-Jesu-Kirche. Bei offenem Fenster kann man mit etwas Glück das dunkle Lachen von Milena Broger hören. Die Jurorin aus der ZDF-Serie „Die Küchenschlacht“ wird gerne als kulinarische Nachwuchshoffnung Österreichs gefeiert und kocht mit ihrem dänischen Ehemann Erik Pedersen seit 2020 im Bregenzer Restaurant Weiss. Dass nämlich der Kleine Löwe zu klein sein würde für Gastronomie, hatten seine neuen Besitzer bereits während des Bauprozesses erkannt. Als das Haus auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens zum Verkauf stand, schlug Johannes Glatz zu und verpachtete das Restaurant im Erdgeschoss an das kochende Paar. Das Frühstück im Kleinen Löwen wird nun also von Milena Broger bestückt, die sich für diese neue Aufgabe sogar in die Kunst des Croissant-Backens einfuchste.
Überhaupt ist es die Liebe zum Detail, die aus diesem winzigen Hotel eine Preziose macht. Für die hoteleigene Kosmetiklinie arbeiten Rümmele und Glatz mit einem bekannten Vorarlberger Naturkosmetik-Produzenten und kreierten gemeinsam ein Shampoo mit Hopfen: „Das soll ja gut für Haare sein“, sagt Glatz, aber es verweise eben auch auf die Geschichte des Hauses, die ja als Brauerei begann.
Die Bauherrin resümiert: „Freunde von uns haben uns immer wieder gefragt: Dürft ihr überhaupt mitentscheiden, bei so Star-Architekten?“ Hier aber sei das Gegenteil der Fall gewesen, betont die Vorarlbergerin und berichtet von Gesprächen auf Augenhöhe. Eine Aussage, die Robert Hösl prompt bestätigt: „Es ist wie ein Pingpong-Spiel.“ Generell aber wisse man oft erst hinterher, ob die Planung auch tatsächlich stimmig ist. „Manchmal muss man mit Irrtümern leben.“ Lisa Rümmele lacht beherzt: „Aber nicht hier!“
Übernachtung mit Frühstück ab 245 Euro fürs Doppelzimmer, kleinerloewe.at
Hinweis der Redaktion
Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.