Hotel auf Sizilien:Schlafen im Kunstwerk

Gefangen im Turm, ruhen auf dem Dreieck: Im Tusatal auf Sizilien hat ein eigenwilliger Mäzen Hotelzimmer in bewohnbare Kunstwerke verwandelt. Das Werk in Bildern.

13 Bilder

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

Quelle: Fondazione Antonio Presti

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Spitz ragt die Pyramide in den Himmel. 30 Meter ist sie hoch, rostbraun sind ihre Wände, die sich ins Weinrot färben, wenn die Sonne auf sie scheint. Sie thront auf einem Gebirgssporn oberhalb des kleinen Tusatals bei Cefalù auf Sizilien. Die Insel ist bekannt für griechische Tempel und normannische Kirchen, arabische Schlösser oder barocke Ortskerne. Aber Pyramiden?

Die Natur hat hier die Oberhand. Palmen und Eukalyptusbäume, blühende Wiesen, Ginster und kraftstrotzende Bougainvilleen wirken wie Balsam auf stadtwunden Seelen. Also nichts wie raus. Doch wo bitte geht es hier zum Meer?

Die Wände des Zimmers sind aus lauter Türen gebildet, doch viele Türen sind verschlossen, hinter anderen stößt man gegen eine Mauer. Das Meer rauscht auf vier großen Videoschirmen, die an der Seitenwand angebracht sind. Aber wo geht es zum richtigen Meer? Und wohin hat es den Besucher hier verschlagen?

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

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Ins vielleicht schönste Zimmer des Hotels Atelier sul Mare in Castel di Tusa, wo man in Künstlerzimmern schlafen kann. Das ist kein Designer-Hotel der üblichen Art, sondern ein Haus mit 40 Zimmern, von denen 20 als Kunstwerke eingerichtet sind.

Italienische und internationale Künstler wie Maria Lai, Sislej Xhafa oder Hidetoshi Nagasawa haben seit 1990 nach und nach die merkwürdigsten Ambiente geschaffen. Zum Beispiel feuerrote Gruften, federleichte Nester und haremsgleiche Kuschelecken. Oder eben "La Stanza del mare negato", "Das Zimmer des verweigerten Meeres" des venezianischen Künstlers Fabio Plessi, der die Wände des Raums mit alten Holztüren aus dem Ort verkleidet hat.

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

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Nur eine davon lässt sich öffnen. Sie führt zum Balkon, von dem aus man aufs Meer blicken kann, dessen Wellen keine 20 Meter entfernt an den kleinen Strand des Hotels rollen. Während auf Bildschirmen ein Video der Brandung läuft, soll man sich auf die reale wie metaphorische Suche nach dem wirklichen Meer machen. Das Bett des Zimmers von Plessi hat Rollen und schwimmt quasi wie ein Floß in der Mitte des Raumes, vielleicht auf der Suche nach neuen Ufern. Jedes der Künstlerzimmer transportiert eine Botschaft, und das Atelier sul Mare ist Hotel wie Museum von Gegenwartskunst zugleich, deshalb auch für Nichtgäste zu besichtigen.

Paolo Icaro: Das Nest

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

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Lautstark brandet das Meer gegen den steinigen Strand von Tusa, 25 Kilometer entfernt von Cefalù. Der Ort hat mit allen Eingemeindungen 3000 Einwohner, im Sommer sind es vier Mal so viele. Die Touristen und die Besitzer von Ferienwohnungen halten sich meist im Fischerdorf Castel di Tusa direkt am Meer auf. Ein paar Kirchen, eine Burgruine, archäologische Reste der hellenistischen Stadt Halaesa. Touristisch gesehen ist das eher sizilianische Hausmannskost - wenn es nicht das Atelier sul Mare gäbe und im Hinterland die Fiumara d'Arte, eine Art Skulpturenpark, der zumindest in Süditalien ohnegleichen ist.

Aber was heißt schon Park. Mit Fiumara bezeichnet man in Süditalien Wasserläufe, die im Frühling und Sommer austrocknen. Im Tal der Fiumara di Tusa, an den Hängen und auf den Gipfeln der Erhebungen, liegen weit verstreut ein knappes Dutzend Freiluftskulpturen, die markante Zeichen in der jetzt duftenden Landschaft setzen. Ein magisch wirkendes, riesiges "Labyrinth der Ariadne" zum Beispiel von Italo Lanfredi etwa, vor dem der wilde Fenchel wächst, während im Hintergrund die Gipfellinie der Monti Nebrodi verläuft.

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Beim Ort Motta d'Affermo stößt man auf eine dunkelblaue Betonwelle, die den Titel "Energia mediterranea" trägt. Antonio Di Palma wollte damit Hügel und Meer miteinander verbinden und daran erinnern, dass dieses Land vor den Erdfaltungen der Vorgeschichte vom Meer überspült war - was man durch Gesteinsfunde rund 600 Meter über dem heutigen Meeresspiegel nachweisen kann. Direkt am Strand schließlich erhebt sich 20 Meter hoch und 17 Meter breit "La finestra sul mare", das himmelblaue "Fenster zum Meer" von Tano Festa, das der Wasserlandschaft im wahrsten Sinne einen Rahmen gibt.

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

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Angefangen hatte alles 1982. Der damals 29-jährige Antonio Presti, Sammler von Gegenwartskunst und Erbe einer großen Zementfabrik aus Messina, entschloss sich, seinem verstorbenen Vater ein Denkmal zu setzen. Nicht in Messina, wo das Unternehmen seinen Sitz hatte, sondern in Tusa, woher die Familie stammt und wo der Vater seine Jugend verbracht hatte. Es sollte auch "kein Denkmal im Vorgarten" werden, wie er erzählt, sondern "ein Zeichen in der Landschaft setzen". Denn Kunst und Schönheit, so die Überzeugung von Presti, gehörten allen. Dieser Antonio Presti, der viel raucht und gerne schwarze Seidenhemden trägt, ist ein sonderbarer Typ. Er sieht sich selbst als Poet und als Verteidiger der Schönheit in einer von Hässlichkeiten belagerten Welt.

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

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Halb Sizilien verehrt ihn, die andere Hälfte tut ihn als Spinner ab. Im Mündungsraum des Tusa-Flusses - über den heute in schwindelnder Höhe eine Brücke der Autobahn Palermo-Messina stelzt - ließ er 1986 von Pietro Consagra eine 18 Meter hohe Doppelskulptur aus weißen und schwarzem Beton - ohne Baugenehmigung aufstellen und schenkte sie der zuständigen Gemeinde.

Das war der Anfang einer Strategie: andere bauen sich in Italien ohne Genehmigung Häuser in naturgeschützter Landschaft und lassen sie sich - nach Zahlung einer kleinen Buße - legalisieren. Antonio Presti baute ohne Genehmigung Kunstwerke und überschrieb sie dann zur Legalisierung den entsprechenden Gemeinden.

Dario Bellezza, Adele Cambria, Antonio Presti: Das Zimmer des Propheten

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Zudem verkaufte er das vom Vater geerbte Unternehmen, denn das Zementgeschäft und der Baumarkt auf Sizilien sind bis heute mit Mafiamethoden verseucht. undum den Mafiamethoden der Baubranche zu entgehen und gründete mit dem Geld gründete der Ostsizilianereine Kulturstiftung. Seitdem widmet er sich seitdem als Mäzen einer Reihe von Kultur- und Sozialprojekten. Wobei es ihm, so banal das klingen mag, immer um das Schöne geht. Und um soziale Würde, sagt er, sich eine neue Zigarette anzündend. Was das heiße?

Schönheit darf kein Selbstzweck bleiben, sondern muss Verwahrlosung aufheben und Illegalität vertreiben. So hat er Kunstprojekte mit Schülern in Librino, einer von Armut und Kriminalität geprägten Vorstadt von Catania initiiert oder verfolgt einen Plan zur Sanierung des Oreto-Flusses in Palermo. Schönheit bereichere aber auch jeden Einzelnen auf dem Weg zur Persönlichkeitsbildung und Selbstfindung.So fügen sich den Künstlerzimmern des Hotels, das natürlich ebenfalls eine Gründung durchvon Antonio Presti ist, die Kunstwerke der Fiumara d'Arte und die Sozialaktivitäten zu einem Gesamtkonzept, dessen Programmdas in großen Lettern über der Rezeption des Atelier sul Mare zu lesen ist: "Devozione alla Bellezza" - "Verehrung der Schönheit".

Raul Ruiz: Der Turm des Sigismund

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Damit begann auch eine inzwischen mehr als über zwanzigjährige Auseinandersetzung mit den verschiedenen Machtgruppen der Region. Mit der Politik, die sich von Antonio Presti herausgefordert fühlte. Und mit der sizilianischen Mafia, die von den Aktivitäten des merkwürdigen Mäzens an einer empfindlichen Stelle getroffen wurde: bei der Kontrolle des Gebiets, dass die Clans zu ihrem jeweiligen Herrschaftsbereich zählen. Presti bringt Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit in Landstriche und Stadtviertel und zeigt den dort lebenden Menschen, dass Verwahrlosung und Unterentwicklung kein Naturgesetz ist.

Auf der einen Seite wurde er von öffentlichen Verwaltungen wegen illegalen Handlungen und Bautätigkeiten mit Strafen belegt und von Gerichten verurteilt. Urteile, die später wieder aufgehoben wurden oder in Vergleiche mündeten. Auf der anderen Seite erhielt er mehr oder weniger offene Drohungen von der Cosa Nostra. Es kam Anfang der neunziger Jahre zu Bombenanschlägen auch gegen das Hotel in Castel di Tusa.

Maria Lai: In ein Papierboot steige ich ein

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

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Doch inzwischen hält sich die Mafia zurück. Und die Politik hat Frieden mit dem Sonderling aus Messina geschlossen und in einem Regionalgesetz den Skulpturenpark der Fiumara d'Arte als Kultureinrichtung anerkannt. Und die Mafia hält sich zurück. Die "Bellezza" habe gesiegt, sagt Antonio Presti. "Und außerdem, was wollen sie machen, sie können dich höchstens umbringen." Höchstens? "Die Mafia kann vielleicht deinen Körper töten, aber sie kann dich nicht als Idee umbringen." Das sei der "ewige Sieg von Kunst".Doch Presti weiß, dass er sich und seine Projekte nur schützen kann, wenn man weiter über ihn und sein Kunstkonzept "Partei der Schönheit" weiterhin redet.

Ute Pyka e Umberto Leone, Vincenzo Consolo: Lunaria

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Zum Beispiel über die mit oxidierendem Stahl verkleidete Pyramide auf dem Gebirgssporn. Sie ist das jüngste Werk des Skulpturenparks, errichtet vom Mailänder Künstler Mauro Staccioli. Man kennt Staccioli auch in München dort hat er am Alten Botanischen Garten die Skulptur eines riesigen Rings geschaffen. Auch seine Pyramide, die zum Frühlingsanfang eingeweiht wurde, ist weithin sichtbar. Sie wächst gleichsam aus einem Olivenhain mit seinen altknorrigen Bäumen heraus - ein Wächter über die Ausgrabungen des hellenistischen Halaesa in der Ebene und ein Gruß an die Schiffe auf dem Meer.

Paolo Icaro: Das Nest

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Der 73-jährige Künstler setzte bereits bei einem der Künstlerzimmer die Form des Dreiecks ein: als Bett, als Schrank, als Zwischenwand. "Dreieckig wie die Form der Insel Sizilien", sagt er.

Sein jüngstes Werk hat auch ein Innenleben. Mauro Staccioli hat an einer Nahtstelle zwischen den Seiten einen Spalt offen gelassen, durch den genau am Tag der Sommersonnenwende die Sonnenstrahlen eindringen und den Raum erleuchten können. Jedes Jahr am 21. Juni soll die Pyramide auch fürs Publikum zugänglich sein. Im Inneren hat Staccioli aus alten Steinen, die bei den Bauarbeiten gefunden wurden, ein Labyrinth geformt. Man tritt in einen verzauberter Ort ein, in dem der Besucher eine kraftvolle Harmonie zu spüren glaubt. Und wenn man das Glück hat, in ihm allein zu stehen, ist er mit einer tönenden Stille erfüllt. Ein Kunstwerk, das Spuren hinterlässt - in der Landschaft wie in der Seele.

Mauro Staccioli: Trinacria

Europa Italien Sizilien, Fondazione Antonio Presti

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Zurück im Hotel, am Abend nach einem duftenden Essen und reichlich Wein, der Wunsch auf eine gute Nacht im Zimmer des verweigerten Meeres. Aber kann man in einem Kunstwerk schlafen? Man kann. Die Videoschirme werden ausgeschaltet, das Bett ganz unphilosophisch in einen bequeme Position an die Wand gerollt und die Tür zum Balkon, die man ja inzwischen kennt, bleibt einen Handbreit offen. Dadurch dringt leise das Plätschern der Brandung, die zur Nachtzeit ganz vorsichtig gegen das Ufer schlägt, so als wolle sie die Gäste nicht stören.

Informationen

Hotel Atelier sul Mare, Via Cesare Battisti 4, Castel di Tusa (Me), Tel.: 0039.0921.334295, Fax: 0039.0921.334283, e/m ateliersulmare@interfree.it, www.ateliersulmare.com

Standardzimmer Übernachtung mit Frühstück: 60 Euro pro Person in der Vorsaison, bis zu 80 Euro in der Hauptsaison, Künstlerzimmer 80/110 Euro; Sonderpreise in Special-Price-Räumen (35/60 Euro) auf Anfrage.

Zu erreichen mit dem Auto auf der A20 Palermo-Messina, Ausfahrt Tusa weiter auf der SS113 Richtung Messina bis Castel di Tusa. Oder mit Regionalzügen von Palermo oder Messina zum Haltepunkt Castel di Tusa. Im Hotel erhält man einen Karte mit Wegbeschreibung für die Kunstwerke der Fiumara d'Arte

© SZ vom 17.6.2010/dd
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