Hotel Atlantic Hamburg:Himmel ohne Sterne

Renovierungsstau und Abschied von der Klassifizierung: Das Hamburger Luxushotel Kempinski Atlantic will seinen Platz unter den Weltbesten wiedererobern.

Ralf Wiegand

Hamburg - Der blaue Teppich im vierten Stock schlägt Wellen wie die Außenalster im Herbststurm. Als wehre sich das alte Haus gegen das, was da kommen soll, indem es seine Besucher abzuwerfen versucht, die auf dem Weg zu Zimmer 446 sind.

Hotel Atlantic Hamburg: Moderner Landhausstil im bereits renovierten Zimmer 446 - so ähnlich sollen bald alle Räume im Hotel Kempinski Atlantic aussehen.

Moderner Landhausstil im bereits renovierten Zimmer 446 - so ähnlich sollen bald alle Räume im Hotel Kempinski Atlantic aussehen.

(Foto: Foto: Hotel Kempinski Atlantic)

Denn hinter dieser Türe 446 hat die Zukunft eingecheckt. So wie dieses könnte bald jedes Gästezimmer des Grandhotels aussehen. Es ist in einer modernen Variation des englischen Landhausstils eingerichtet, der Architekt renoviert sonst Schlösser und herrschaftliche Gutshäuser. Es ist ein Musterzimmer. Die Wände leuchten in sonnigem Gelb.

Doch der Weg dorthin ist eher düster und führt durch Flure breit wie Schifffahrtskanäle, hoch wie Kirchenkuppeln, kahl wie Lazarett-Gänge.

Natürlich sieht Uwe Klaus die Bodenwellen in der Auslegeware, er ist Hotelprofi mit geübtem Blick auch für die abgewetzten Stellen, die Kanten, die längst nicht mehr auf Stoß liegen, den alten Aufzug, die vergilbten Tapeten, die abgenutzten Fenstergriffe. Den ganzen Muff halt aus fast hundert Jahren.

Über den Teppich aber stolpert man nun mal als erstes. Uwe Klaus sagt, den hätten wir machen können, klar. "Aber wenn sie eine große Renovierung vor sich haben, wo sowieso alles erneuert wird..." Da hat man es eben erst mal nicht gemacht.

Im Hamburger Hotel Atlantic ist ziemlich viel nicht gemacht worden. Seit Jahren nicht. Deswegen sind jetzt die Sterne fort, alle fünf inklusive des Zusatzes "Superior". Sie prangten bis vor kurzem auf einem Bronzeschild an der Pforte des Luxushotels. Es ist inzwischen abgenommen worden, was für das Haus - so es denn eine Seele hat, was man alten Häusern ja nachsagt - ein demütigender Akt gewesen sein muss. Als risse man einem General die Schulterklappen von der Uniform.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, warum das Hotel seinen 100. Geburtstag als Baustelle feiern wird.

Himmel ohne Sterne

Stattdessen erschienen fürchterliche Geschichten in den Hamburger Zeitungen. Wer sie alle gelesen hat, die Berichte vom Renovierungsstau und Niedergang eines Traditionshauses, von den internationalen Herabstufungen und aberkannten Qualitätssiegeln und vom bedenklichen Zustand, in dem sich das Hotel befinde, der trüge am liebsten einen Bauhelm während der Verabredung mit dem alten Kasten. Es könnte ja der nun sternenlose Himmel herunterfallen.

Hotel Atlantic Hamburg: Derzeit haben die Zimmer im Traditionshaus an der Alster einen etwas heruntergekommenen Charme.

Derzeit haben die Zimmer im Traditionshaus an der Alster einen etwas heruntergekommenen Charme.

(Foto: Foto: Hotel Kempinski Atlantic)

"Die Kommentierungen haben für uns ja auch was Positives", sagt Uwe Klaus und lächelt ein wenig gequält, "wir haben eine Lektion gelernt." Er ist Geschäftsführer der Octavian Hotel Holding GmbH aus Neu-Isenburg, welcher das Hotel gehört. Das nimmt schon eine Menge Romantik aus der Geschichte: Eine Eigentümergesellschaft leitet die Geschicke der ehrwürdigen Unterkunft, die "Weißes Schloss an der Außenalster" genannt wird. Klaus ist eigens nach Hamburg gejettet, um zu retten, was zu retten ist.

Kernsanierung zum Geburtstag

Das Atlantic hat ein Imageproblem, die Sache mit den verlorenen Sternen wirkt nach. Da sind die Chefs gefragt, die richtigen Chefs. Neben Klaus am Tisch sitzt Sebastian Heinemann, er ist Hoteldirektor und wirkt in diesem Gespräch gelegentlich doch nur wie der Pförtner. "Wenn Sie dazu vielleicht auch einmal was sagen wollen", sagt Klaus und deutet zu Heinemann. Der Direktor hatte zuvor häufiger mal gesagt, für die Probleme sei nicht Kempinski, sondern "der Eigentümer" zuständig. Das schafft Distanz.

Die Octavian Hotel Holding GmbH ist nun zu einer Art Vorwärtsverteidigung übergegangen. Sie hat in diesem Herbst verkündet, das Atlantic in Hamburg für 22 Millionen Euro zu renovieren. Angekündigte Renovierungen gab es schon viele, aber diesmal sei das "definitiv", sagt Klaus.

Alle vier Etagen des Haupthauses würden kernsaniert inklusive aller Zimmer, Suiten, Korridore, Aufzüge. Der Umbau solle im Februar nächsten Jahres beginnen und gegen Ende des Jahres abgeschlossen sein. Das Hotel, 1909 eröffnet, würde seinen 100. Geburtstag als Baustelle feiern. Gutes Timing sieht anders aus.

Kein normales Hotel

Wäre das Atlantic ein Hotel wie jedes andere, müsste man die Geschichte seiner verspäteten Instandsetzung gar nicht erzählen. Doch das Atlantic ist kein normales Hotel, sondern eine Institution in der Welt der Gästezimmer, was nicht nur daran liegt, dass Udo Lindenberg hier dauerhaft wohnt.

Und wie Alt-Rocker Lindenberg, inzwischen 62, ein beachtetes Comeback in der Musikwelt feiert, arbeitet auch sein Zuhause, das Atlantic, an einer Wiederauferstehung. "Wir wollen die Marktführerposition wieder einnehmen", sagt Uwe Klaus im Geschäftsführer-Jargon. Der Verlust der Sterne gehört dabei angeblich sogar zum Comeback-Plan.

Ein Sterne-Hotel wird erst dann offiziell ein Sterne-Hotel, wenn es sich den Kriterien des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) unterwirft. Der vergibt die Sterne, wenn ein Hotelbetrieb das beantragt und sich der Klassifizierung stellt. Alle drei Jahre ist die Prüfung, das Atlantic lief bis zum Sommer als Haus mit fünf Sternen und dem Zusatz Superior. Besser geht's nicht.

Erfahren Sie auf der letzten Seite, welches Sonderrecht dem Dauergast Udo Lindenberg eingeräumt wird.

Himmel ohne Sterne

Hotel Atlantic Hamburg: Die Lobby des Hotel Atlantic - das Grandhotel mit "hanseatischer Tradition" wurde im Jahr 1909 eröffnet.

Die Lobby des Hotel Atlantic - das Grandhotel mit "hanseatischer Tradition" wurde im Jahr 1909 eröffnet.

(Foto: Foto: Hotel Kempinski Atlantic)

Doch zuletzt ist in Neu-Isenburg eine Entscheidung gefallen, die den Ruf des Hauses nachhaltig beeinträchtigen sollte: Die Eigentümer meldeten das Atlantic nicht zur erneuten Klassifizierung an. "Der Punktekatalog der Dehoga ist sehr hardwarelastig", sagt Uwe Klaus. Da werde zum Beispiel abgefragt, ob ein Wasserkocher für Instant-Kaffee und Teebeutel auf dem Zimmer stehe. "Wir werden aber, um klassifiziert zu werden, niemals einen Wasserkocher aufstellen."

Hausdame statt Automat

Die Idee eines solchen Hotels sei eine andere, da komme der Kellner mit frisch gebrühtem Kaffee aufs Zimmer, und niemand müsse seine Hose in einen automatischen Bügelautomaten stecken, der auch so ein Dehoga-Kriterium ist.

Man gibt das Beinkleid bei der Hausdame ab. "Mensch und Service" nennt Klaus das Konzept, "da widersprechen wir diesem Katalog der Dehoga ganz wesentlich." Obwohl sie die Sterne nicht mehr haben, seien sie dennoch natürlich nach wie vor ein Fünf-Sterne-Haus. Auf die Sterne freiwillig verzichtet zu haben klingt natürlich besser, als dass sie aberkannt worden wären.

Der Tester reiste ab

Beides stimmt irgendwie, denn vermutlich hätte die Dehoga das Atlantic nicht mehr in die höchste Kategorie einsortiert. Dafür gibt es Indizien. So erteilte etwa die New Yorker Zentrale der Luxushotel-Vereinigung "The Leading Hotels of the World" dem deutschen Luxushotel einen Rüffel: Der anonyme Tester der Organisation, die anhand von 137 Kriterien etwa 450 Häuser rund um den Globus als führende der Welt ausweist, war vor einigen Monaten unzufrieden wieder abgereist. Das Atlantic spielt seitdem im Konzert der weltbesten Unterkünfte nur noch auf Bewährung, muss nachbessern und wird nachgeprüft.

Zu allem Überfluss ist auch die Küche des Traditionshauses dem Guide Michelin 2008 keine Erwähnung mehr wert gewesen. Das ist besonders bitter, weil der Aufstieg des Hotels Atlantic Anfang des 20. Jahrhunderts zur zeitweise ersten Adresse Deutschlands mit der herausragenden Küche untrennbar verbunden war. Damals hieß das Hotel "Atlantic Pfordte" - zu Ehren des ersten Restaurantdirektors Franz Pfordte, einem Meister von Weltruf am Herd.

Freiwilliger Verzicht ist keine Ausnahme

Andererseits ist das sternenlose Atlantic in bester Gesellschaft. Insgesamt 59 potentielle Fünf-Sterne-Hotels in Deutschland haben sich der Qualifizierung durch den Verband verweigert - in den meisten Fällen als Folge des Pharmakodex.

Darin hat sich die Pharmaindustrie selbst Bescheidenheit auferlegt im Umgang mit Ärzten, denen sie ihre Produkte näherbringen möchte. Weil entsprechende Kongresse in Fünf-Sterne-Luxushotels dabei in Verruf geraten sind, meiden die Konzerne solche Unterkünfte für Tagungen.

Als Reaktion darauf verzichten immer mehr Hotels auf das Statussymbol an der Türe. Allein in Berlin sind mindestens fünf von 18 Luxushotels aus dem Qualifizierungssystem ausgestiegen, darunter internationale Prestige-Häuser wie das Adlon am Brandenburger Tor oder das Interconti.

So gesehen versteht sich das Atlantic auf einem behutsamen Weg in die Zukunft. Es darf sich nicht zu viel verändern, um die Stammgäste nicht zu verprellen, "und wir haben viele Stammgäste. Die zu halten ist schwer, denn Loyalitäten wechseln schnell", sagt Direktor Heinemann. Andererseits braucht auch ein traditionelles Grandhotel mit einer "hanseatischen Tradition", wie Uwe Klaus sagt, neue Gäste.

Deswegen wird das einst zu den weltbesten Hotels gezählte Atlantic, in dem der Schah von Persien wohnte und der Kaiser von Japan, inzwischen bei Tchibo und Aldi vertrieben. Demnächst auch die neuen Zimmer. Ob Udo Lindenberg seine Räumlichkeiten renovieren lässt, darf er übrigens selbst entscheiden.

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