Süddeutsche Zeitung

Hüttentour in Österreich:Wo Zwerge sich wie Riesen fühlen

Wanderungen von Hütte zu Hütte sind beliebter denn je. Jetzt gibt es einen neuen Höhenweg im Karwendel. Er war überfällig.

Von Dominik Prantl

In Sachen Idylle ist das Solsteinhaus schon einigermaßen weit vorne mit dabei: hinterm Haus ein paar wirklich einladende Almwiesen, auf denen sich Latschenkiefern, Schafe und Wanderer ausstrecken; drumherum die unverkennbaren Kalkwände des wuchtigen Gebirges namens Karwendel. Doch trotz all der landschaftlichen Schönheit verlief Robert Fankhausers erster Sommer als Hüttenwirt vor 15 Jahren teilweise ziemlich ruhig - etwas zu ruhig sogar. "Manchmal hatte ich unter der Woche nur fünf bis sechs Nächtigungsgäste. Im August." Dann dachte Fankhauser gerne an jenen Ort, an dem er seine Jugend verbracht hatte, die Franz-Senn-Hütte, etwas weiter südlich in den Stubaier Alpen. Sie wird im Sommer schon seit Langem über den Stubaier Höhenweg mit jeder Menge Gästen versorgt, und Fankhauser wurde schnell klar: Eine ähnliche Mehrtageswanderung sollte auch vor der neuen Haustüre her.

Seit diesem Sommer ist es so weit. Der neue Karwendel-Höhenweg führt von Reith bei Seefeld in sechs Tagesetappen über fünf Hütten und 3600 Höhenmeter nach Scharnitz, durch Lärchen und Fichten, die wunderbar waldlose Welt der Kare und schließlich entlang der frisch entsprungenen Isar. Wobei der Höhenweg genau genommen natürlich nicht wirklich neu ist. Laut Fankhauser hat es vor mehr als zehn Jahren mit dem Höhenweg Karwendel West sogar schon einmal einen ähnlichen Weitwanderweg gegeben, der sich allerdings nie wirklich etabliert hat.

Die Neuauflage war da nur eine Frage der Zeit. Denn die einzelnen Puzzleteile für Etappen, Übernachtungen und Höhenmeter liegen hier ja seit Langem und zur Genüge vor. Da sind natürlich erstens die Berge, die größte Attraktion des Weges überhaupt, weil sie das Zauberstück vollbringen, dass der Menschen zwar zwergenhaft wirkt, sich aber doch wie ein Riese fühlt. Nicht ganz so alt sind die Hütten, von denen nur besonders böse Zungen behaupten, dass der Alpenverein diese schon errichtet hatte, bevor es die Berge überhaupt gab. Und dann sind da als drittes Puzzleteilchen natürlich die Bergwege, heute gerne auch einmal Reminiszenzen an große und nicht ganz so große Namen. Zu nennen wäre beispielsweise der Julius-Pock-Weg, der an den Goethe-Weg anschließt, wobei dieser Goethe als Karwendel-Erschließer eine weit geringere Rolle spielte als Pock (1840-1911). Jedenfalls konnte seit Jahrzehnten jeder, der eine Karte zu lesen vermochte, die Pfade auch gehen - mit Blick auf Innsbruck auf der einen Seite und auf das wilde Gebirge auf der anderen.

Weshalb der Weg gerne als neu apostrophiert wird, hängt damit zusammen, dass die verschiedenen Puzzleteile endlich als ein großes Bild vermarktet und ordentlich ausgeschildert werden. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Im Gegenteil. Projekte wie der Karwendel-Höhenweg geben eine Ahnung davon, wie Alpentourismus funktionieren kann, ohne neue Bahnen, Betten und Bergradpfade (neudeutsch: Flowtrails) für die schnelle Wertschöpfung aus dem Boden zu stampfen. Und es muss auch notorischen Tourismusskeptikern keineswegs die Sorgenfalten auf die Stirn treiben, dass sich die Mehrtageswanderung in gewissen Alpenregionen mittlerweile zu dem großen Bruder des omnipräsenten und ebenfalls fürs Marketing instrumentalisierten Themenwegs entwickelt hat.

Wer sich vom Karwendel nach Süden bewegt, kreuzt möglicherweise den bereits genannten Stubaier Höhenweg oder etwas weiter östlich den Berliner Höhenweg, der durch die Zillertaler Alpen führt und sich wiederum mit der Peter-Habeler-Runde überschneidet. In ganz Tirol (und auch im Karwendel) hat der Adlerweg sein Revier, weiter südlich der Meraner Höhenweg, und wer die Alpen von Nord nach Süd überqueren möchte, wählt nur zu gerne den Ameisentrail von Oberstdorf nach Meran namens E 5. Letzterer steht alleine bei der in Oberstdorf stationierten Bergschule Oase über die gesamte Saison mit 57 Terminen für geschätzte 1000 Mitläufer im Programm. Wanderreiseanbieter, die den E 5 im Sortiment haben, machen keinen Hehl daraus, dass der zwar nicht unbedingt der schönste Weg ist, aber dafür einer, der Gewinn verspricht. Eine Tour mit Bergführer, Gepäcktransport und Transfers kostet schnell knapp tausend Euro. Wen das stört: Es gibt genügend Alternativen.

Die Herausforderung besteht darin, Routen für gemütliche Wanderer zu finden

Denn während der E 5 mittlerweile als Klassiker angepriesen wird, steht der Karwendel-Höhenweg für eine neue Entwicklung bei den Mehrtageswanderungen. Die wird nicht von einzelnen Tourismusverbänden in den eng abgesteckten Grenzen ihres Interessensgebiets vorangetrieben, sondern über Kooperationen. Im Karwendel sind beispielsweise neben den Hüttenwirten auch die DAV-Sektionen, die drei Tourismusverbände der Umgebung und der federführende Naturpark Karwendel in das Projekt involviert. Anderswo finden unabhängige Wegeplaner wie der Innsbrucker Geograf Georg Pawlata ein neues Betätigungsfeld. Pawlata hat die Erfahrung gemacht, "dass bei Weitwanderwegen bislang immer noch oft jede Region ihr eigenes Ding macht. Das, was unterm Strich dann rauskommt, ist aber nicht das, was die Leute wollen."

Für den von ihm konzipierten Kat-Walk in den Kitzbüheler Alpen habe er deswegen vier Verbände an einen Tisch gebracht, die sich sonst eher wenig gönnen. Die ebenfalls von Pawlata ausgearbeitete Route vom Tegernsee nach Sterzing lockt laut seiner Schätzung inzwischen etwa 5000 Weitwanderer pro Jahr. Etwa 3000 davon buchen ein Rundum-sorglos-Paket bei einem Veranstalter, von dem Pawlata als Initiator eine prozentuale Provision kassiert. Und im kommenden Sommer kommt seine ebenfalls pauschal buchbare Alpenpassage von der Zugspitze nach Bozen für eher gemütlich veranlagte Berggeher auf den Markt. Laut Pawlata bestehe die Herausforderung bei der Wegfindung nämlich darin, die Alpen mit möglichst wenigen Höhenmetern auf einer dennoch reizvollen Strecke zu überqueren. "Gerade bei den einfacheren Touren ist noch Luft nach oben."

Ganz ähnlich sieht das auch Ovid Jacota, Geschäftsführer bei dem Wanderreiseveranstalter Hauser Exkursionen. "Wichtig ist es, nicht den rein sportlichen Aspekt zu suchen." Jacota glaubt, dass Weitwanderwege jeder Art in Zukunft noch eine sehr viel größere Rolle spielen werden - alleine deshalb, weil jene, die bislang auf den "Wanderautobahnen" wie dem E 5 unterwegs sind, neue Aufgaben suchen würden. Auch sei es schon aus Gründen der Erholung absolut sinnvoll, noch weitere mehrtägige Etappenwanderungen auszuweisen. "Es ist selbst für Leute mit Übung erst möglich, sich vom Alltag zu trennen, wenn man mehr als drei Tage unterwegs ist."

Im Karwendel fühlt man sich erstaunlicherweise schon am zweiten Tag auf der Solsteinhütte ziemlich entspannt. Fankhauser, der das große Bild vom Höhenweg als Impulsgeber immer vor Augen hatte, meint, der Höhenweg locke schon jetzt viel mehr Wanderer als erwartet. Die große Einsamkeit ist damit wohl auch vorüber.

Reiseinformationen

Anreise: Am besten mit der Bahn zum Bahnhof Reith bei Seefeld. Direkt am Bahnhof beginnt die Wanderung. Sie endet in Scharnitz. Wer den Höhenweg von Scharnitz aus in die andere Richtung begehen will, steigt bereits dort aus, www.oebb.at.

Die Etappen: Reith - Nördlinger Hütte (1150 Hm, 6,5 Km) - Solsteinhaus (370 hm bergauf, 800 hm bergab, 6,7 Km) - Pfeishütte ( 1305 hm bergauf, 1190 hm bergab, 16,5 Km) - Bettelwurfhütte (500 hm bergauf, 300 hm bergab, 8,9 Km) - Hallerangerhaus (300 hm bergauf, 600 hm bergab, 5,8 Km) - Scharnitz (80 hm bergauf, 885 hm bergab, 19,3 Km)

Weitere Auskünfte: Alle Infos zu den Hütten finden sich auf der eigens eingerichteten Webseite www.karwendel-hoehenweg.at.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2018/edi
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