Hintergrund:Dichter und Lenker

Fahrrad-Urlaub wird immer beliebter, vor allem die E-Bikes boomen. Und auch sonst wollen die heutigen Radurlauber nicht auf Genuss und Komfort verzichten.

Von Annika Brohm

Man käme von der Distanz her beinahe zweimal um die Erde - und muss Deutschland doch nicht verlassen: Wer alle Fernradwege und touristischen Routen hierzulande abstrampelt, hat nach Angaben des Deutschen Tourismusverbandes etwa 75 000 Kilometer in den Beinen.

Besonders beliebt ist laut einem Ranking des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) der Elberadweg von Cuxhaven bis in den Norden Tschechiens, den rund 700 000 Radfahrer pro Jahr nutzen. Auf Rang zwei folgt der Weser-Radweg. Vor allem abseits ohnehin gut besuchter Urlaubsziele profitieren etliche Regionen stark vom Fahrradtourismus, das Münsterland etwa oder das Ruhrgebiet. "Wegen der Vielfalt und Qualität seiner Radrouten ist Deutschland ein begehrtes Ziel", sagt Gabi Bangel, Leiterin der Tourismus-Abteilung des ADFC. Im vergangenen Jahr seien 5,2 Millionen Deutsche mit ihrem Fahrrad verreist, knapp zwei Drittel davon im Inland - im Vergleich zu 2015 entspricht das einem Zuwachs von 16 Prozent.

Gut essen, gut trinken: Genuss und Komfort gehören für viele heute zur Radreise

Zwar ist Fahrradtourismus in Deutschland kein neues Phänomen, doch haben sich die Beweggründe der Reisenden gewandelt: Während es Ende der Siebzigerjahre noch hieß, vor allem Umweltschützer und Geringverdiener würden mit dem Rad touren, hat der Trend mittlerweile alle Schichten erfasst. "Das Naturerleben, die Entschleunigung und das Aktivsein werden als Urlaubsmotive immer wichtiger", erklärt Bangel. Das verhelfe dem Radtourismus zu einem anhaltenden Aufschwung. "Außerdem sind Radtouristen mittlerweile sehr gern gesehene Gäste", sagt Bangel. Das liegt auch an ihrer Zahlungskraft: 2015 gaben Radreisende 2,3 Milliarden Euro für Unterkunft, Verpflegung und Kulturgenuss aus.

Im Usedom Bike-Hotel in Karlshagen, direkt am Ostseeküsten-Radweg gelegen, hat man sich auf die Beherbergung eben jener Gäste spezialisiert. Jeder fünfte Besucher reist hier mit dem Rad an, die Mehrheit der restlichen Gäste leiht sich eines aus. "Der typische Radreisende möchte abends gut essen und trinken", sagt der Inhaber des Hotels, Gerold Vaske. Seine Beobachtungen zeigen: Auch Radreisende wollen nicht auf Genuss und Komfort verzichten. Und nehmen die Serviceleistungen in Anspruch, die immer mehr Gastbetriebe für sie anbieten. Die geben ihnen Lunchpakete mit auf den Weg, unterstützen sie bei der Planung der Radtouren, halten Flickzeug bereit. Unterkünfte wie das Usedom Bike-Hotel zeichnet der ADFC als "Bett+Bike"-Gastbetriebe aus. Etwa 5400 davon gibt es inzwischen in Deutschland.

Komfort wünschen sich viele Radreisende nicht nur im Hotel, sondern auch im Sattel. Dafür spricht die verstärkte Nachfrage nach Elektrofahrrädern und Pedelecs. Einer ADFC-Studie zufolge nutzt etwa jeder Siebte auf seiner Reise ein Rad mit elektrischer Unterstützung; vor allem immer mehr Radurlauber über 65 Jahre steigen aufs E-Bike um. Die Vorteile liegen auf der Hand: Steigungen können beinahe mühelos bezwungen werden, der Tourenradius nimmt zu, die Kondition wird zur Nebensache - und dennoch trainiert. "Elektrofahrräder bringen mehr Menschen aufs Rad und damit in Bewegung", erklärt Gabi Bangel. Auch solche, die bisher wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht radfahren konnten oder wollten.

Verbesserungsbedarf sehen Radreisende gemäß der Studie in einem klassischen Bereich: der Ausschilderung. Wer schon einmal in den Niederlanden unterwegs war, sei von dort eine einheitliche Wegweisung gewohnt. Dahinter bleibt Deutschland deutlich zurück.

Zehn beliebte deutsche Routen im interaktiven Überblick auf www.sz.de/radfernwege

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