Hindufest in Indien:Sterben für die Unsterblichkeit

Gefährliches Gedränge am heiligen Wasser: Wer in Indien in den Pilgerstrom des Hindu-Festes Kumbh Mela gerät, muss mit allem rechnen - auch mit toten Pilgern.

Margit Kohl

Die Welt ist bisweilen ein seltsamer Ort. Das wird einem immer dann bewusst, wenn man mitten im Irrsinn des Leben gelandet ist. Bei der Kumbh Mela in Indien zum Beispiel. Für Inder ist sie die heiligste Pilgerreise, für Fremde ein exotischer Jahrmarkt voller Freaks.

Hindu-Ritaula 'Pratham Shahi Snan' am Ganges-Flussufer

Sadhus, Gurus, Yogis und Naga Babas vor ihrem ersten Bad im Ganges. Die nackten heiligen Männer sind mit Asche beschmiert und sehen mit ihrem Dreizack aus wie den Fluten entstiegene Neptune

(Foto: Anindito Mukherjee/dpa)

Zum Zeitpunkt einer Kumbh kommen aus ganz Indien heilige Männer aus ihren Höhlen und Einsiedeleien zum Ganges. Sadhus, Gurus, Yogis und Naga Babas. Sie sind nackt und beschmiert mit heiliger Asche. Mit ihrem Dreizack sehen manche von ihnen aus wie dem Ganges entstiegene Neptune. Sie führen diese heilige Waffe als Shivas Werkzeug zur Vernichtung alles Bösen mit sich. Andere balancieren kunstvoll zu Türmen aufgerollte Haare auf dem Kopf als Zeichen ihrer jahrzehntelangen Askese.

Bei der Kumbh Mela geht es um den Glauben an die Tropfen der Unsterblichkeit. Demnach besaßen einst Götter und Dämonen einen Nektar, der unsterblich macht. Sie füllten diesen Trank in einen Krug, und im Gerangel um seinen Besitz fielen vier kostbare Tropfen auf die Erde. Genau dorthin, wo heute die heiligen Städte Allahabad, Haridwar, Ujjain und Nashik liegen. Im dreijährigen Rhythmus wandert die Kumbh Mela nun von einer Stadt zur nächsten und kehrt alle zwölf Jahre zum selben Ort zurück.

Der eigentliche Zweck einer Kumbh ist die rituelle Reinigung. Im Ganges kann man das zwar jeden Tag tun, doch wenn die Sterne günstig stehen, gilt das Bad als ganz besonders heilig, weil sich der Fluss dann in jenen heiligen Nektar verwandelt. Wer an diesen Tagen in die Fluten des Ganges steigt, wird mit einem Schlag von allen Sünden befreit und entgeht mit viel Glück sogar dem Kreislauf der Wiedergeburt. Deshalb kommen während einer großen Kumbh Mela innerhalb von zwei Monaten schon mal bis zu 90 Millionen Menschen zum Baden.

In Rishikesh fließt der Ganges mit gewaltiger Wucht aus den Bergen. Ein Schauspiel, das auch die Rishis, die heiligen Männer, nach denen der Ort benannt ist, hierher brachte. Die vielen Ashrams von Rishikesh ziehen bereits seit Jahrzehnten auch viele Europäer an, um Yoga und Meditation zu lernen oder sich in die indische Philosophie einführen zu lassen. Ich wollte hier weder das eine noch andere, war nur auf der Durchreise und ausgerechnet am letzten Tag der Kumbh Mela hier gestrandet. Eine unvergessliche Erfahrung sei das, sagen die Inder. Einmal im Leben müsse das jeder erlebt haben. Damit man das als Fremder auch überlebt, ist es ratsam, sich einem ortskundigen Führer anzuvertrauen.

Vinaya Kant Naithani, der unbedingt Winny genannt werden will, weil er meint, dass das einprägsamer für einen Fremden sei, drängt schon um halb fünf Uhr morgens zum Aufbruch. Es soll heiß werden, und bereits jetzt ist der Highway für die Wanderung der Mönche gesperrt. Wir hupen uns also zunächst durch die Seitenstraßen der Slums.

10,5 Millionen Pilger werden zum Abschlusstag erwartet. Die Autos dürfen schon an der nächsten Straßensperre nicht mehr weiter, wir steigen in eine Motorrikscha um, danach in eine Fahrradrikscha. Energiesparen nennt Winny das, damit uns später noch genügend Kraft zum Gehen bleibt. Winny hält die Augen geschlossen und brummelt ein Mantra. "Gegen Probleme auf unserer Reise", sagt er.

Wir passieren die unzähligen Pilgerhotels und landen an Holzgattern, die wie beim Viehtrieb die Massen in Zaun halten und zum Fluss lenken sollen. Die Pilger schleppen Schlafmatten, Kochtöpfe, bündelweise frische Kleidung mit sich und versuchen abzukürzen, indem sie unter den Gattern hindurchkrabbeln. Polizisten mit Trillerpfeifen und Schlagstöcken versuchen, das zu verhindern.

Bald sind die ersten Badestationen zu sehen, und bis ins heiligste Zentrum nach Haridwar wird das Gedränge und Geschiebe immer dichter. Auf dem dortigen Hauptplatz schwimmen einzelne Schuhe, Socken, verlorengegangene Unterhosen und vergessene T-Shirts in den Wasserlachen. Winny summt weiter sein unverständliches Mantra und arbeitet sich bis unter eine Brücke nach vorne.

Schnell, schnell und nicht ertrinken!

Dort zieht er sich bis auf die Unterhose aus, steigt in die braune Brühe und taucht, die Hände zum Gebet gefaltet, mehrmals unter. Das Wasser ist nicht tief, ein Erwachsener kann stehen. Wer nicht schwimmen kann, hält sich an Eisenketten fest, die vom Ufer aus ins Wasser hängen. Die Polizisten trillern im Stakkato, keiner darf zu lange im Wasser bleiben, erst am Morgen ertranken im Gedränge vier Pilger.

SZ Grafik

Einer der Tropfen der Unsterblichkeit: die Stadt Haridwar.

(Foto: SZ Grafik)

Winny schlüpft ohne sich abzutrocknen wieder in seine Kleidung, die er auf dem Brückenpfeiler abgelegt hat. Männer schaufeln indes liegengebliebene Klamotten und Schuhe zu nassen stinkenden Bergen in eine Schubkarre.

Um elf Uhr sollen die Babas, die nackten heiligen Männer, hier ein Bad nehmen, weshalb die Ordner schon eine Stunde vorher beginnen, den Hauptplatz zu räumen. Sie versuchen, die Massen in einem rabiaten Gerangel mit Seilen einzukreisen, um sie vom Platz zu ziehen.

Also laufen wir lieber weiter in die Zeltlager der Pilger, wo das Leben einem großen Schauspiel gleicht, die Sadhus ihre Verrenkungen vorführen, Glaubenskämpfe ausgefochten, neue Prüfungen auferlegt und Joints geraucht werden. Die Orientierung ist schwierig, und Winny nimmt eine Abkürzung durch ein ausgetrocknetes Flussbett.

Wie sich schnell herausstellt, ist es die öffentliche Bedürfnisanstalt. Hier kauern all jene, die ihr Geschäft verrichten müssen, bei 51 Grad ohne Schatten in der Mittagshitze. Drei Inder mit Mundschutz und Desinfektionsausrüstung besprühen jeden Haufen. Staub, Hitze und Gestank nach Urin, Kot und Chemikalien. Hier länger zu verweilen, muss die Hölle sein.

Besser zurück auf die Straße. Winny stolpert über ein Bündel. Polizisten ziehen ihn zur Seite. Vor ihm liegt der mit einer Decke abgedeckte Leichnam eines Pilgers. Menschen werfen Münzen und Geldscheine auf den Toten, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Wer krank ist, stirbt auf einer Kumbh schnell an Erschöpfung. Unsere einzige Wasserflasche hat Winny irgendwo nach seinem Bad stehenlassen.

Schwindel statt Erleuchtung

Naiv zu glauben, es gäbe ja überall genügend zu trinken. Gibt es nur aus rostigen Leitungen und offenen Bottichen. Indische Mägen sind daran gewöhnt, europäische nicht.

Gut zehn Kilometer weiter, unter einem Zelt aus Bambusstangen, die mit Sarongs bespannt sind, sitzt ein aschebepuderter Guru im Leopardenhöschen und segnet schweigend Pilger, die sich vor ihm in den Staub werfen. Andere Sadhus setzen sich nie wieder hin oder bleiben zwölf Jahre lang auf einem Bein stehen. Wieder andere heben ihren Arm, bis sich die Fingernägel in Spiralen kräuseln und die Hand zu verkümmern beginnt.

Auf dem Weg zur Erleuchtung hat sich jeder eine andere Prüfung auferlegt. Das als Europäer zu verstehen - aussichtslos.

Die Kumbh Mela ohne einen Schluck Wasser zu meistern, das scheint wohl meine Prüfung zu sein. Seit neun Stunden nichts zu trinken. Ein Sadhu würde darüber nur milde lächeln. Man kann schließlich alles ertragen, wenn man muss. Ich kann's nicht und stürme in eine Verpflegungsbude, die erste seit 35 Kilometern.

Der Pächter hat noch zwei letzte Cola-Fläschchen, deren backofenwarmen, schäumenden Inhalt ich in mich hineinschütte. Völlig dehydriert, blass und kreislaufschwach muss ich inzwischen aussehen wie ein Gespenst. Die psychedelischen Flecken, die sich vor mein Gesichtsfeld schieben, sind jedoch alles andere als ein erstes Anzeichen von Erleuchtung und verschwinden dank der geballten Ladung Zucker, die ich jetzt intus habe, auch schnell wieder.

Winny bringt mich gegen Abend zur Landstraße, wo es mehr als eine Stunde dauert, bis ein Bus hält, der noch Platz hat, weitere Menschen in den Gang zu quetschen. Nach zweistündiger Fahrt zurück nach Rishikesh ruht ein dickbäuchiger Pilger auf meinen Beinen, ein anderer ist neben mir eingeschlafen, sein Kopf ist dabei auf meine Schulter gesunken.

Es stimmt schon, was die Inder sagen: Eine Kumbh Mela ist eine unvergessliche Erfahrung, wie man sie nur ein Mal im Leben macht. Aber ein Mal reicht.

Informationen

Kumbh Mela: Die nächste Kumbh Mela wird 2013 in Allahabad stattfinden (Ende Januar bis Ende Februar). In Nashik wird es 2015 soweit sein (August/September).

Anreise: Lufthansa fliegt täglich von München nach Delhi und zurück ab 931 Euro, www.lufthansa.com. Weiter nach Allahabad oder Haridwar mit Bahn oder Bus.

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