Hessen:Im Schatten des Monte Kali

An der Werra wird in großem Stil Salz gefördert. Das bringt viele Jobs, aber auch Probleme mit dem Umweltschutz. Für die Zeit nach dem Abbau wird bereits jetzt der Tourismus entwickelt.

Von Jan Willmroth

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Der Monte Kali bei Heringen ist mit rund 500 Metern der höchste Salzberg im Werratal. Das ganze Salz ist Abfall aus der Kaliumproduktion.

(Foto: imago/imagebroker)

Das Salz hört fast nie auf zu rieseln. Nicht wenn es regnet, nicht bei Nebel und auch nicht bei Sturmböen. An einer Kante des riesigen Salzhaufens am östlichen Rand Hessens endet das Förderband, das angefeuchtete Salz fällt herab und formt einen kleinen Hügel. Der Dieselmotor der Planierraupe knattert, mit der ein Arbeiter Teile des Haufens über den Rand des Bergs hinausschiebt. Mit jedem Schritt knirscht der Untergrund, Sonne und Wetter haben das Salz verbacken, nur auf dem Besucherpfad liegt es locker da - wie weißer Sand. Der Blick reicht weit hinein bis nach Thüringen und in die hessische Rhön, hinweg über Waldstücke und Felder und kleine Städte, die frühere innerdeutsche Grenze sticht deutlich hervor. Der Wind weht den weißen Staub in die Nase.

Mit jedem Salzkorn wächst dieser Berg, mehr als 900 Tonnen pro Stunde. 98 Prozent Natriumchlorid, dazu ungenießbare andere Salze, Ton- und Gesteinspartikel, zu unrein, um es als Speisesalz zu verwerten, zu viel, um es wieder unter Tage zu verklappen. Es ist der Müll der Kaligewinnung. Die zuvor produzierten wertvollen Salze landen auf Güterzügen, die sie zu den Binnenhäfen bringen oder nach Hamburg zum Kali-Terminal. Zurück bleibt dieser Müllberg, der "Monte Kali", einer von drei Salzbergen in der Region und mit 518 Metern über Null der mit Abstand höchste. Mehrmals in der Woche weisen Fremdenführer Besuchern den Weg hinauf.

Der Berg ist ein von weit her sichtbares Symbol eines Bergbaureviers, das häufig unterschätzt wird. Das Werratal war eine der Keimzellen des weltweiten Kalibergbaus, es ist noch immer eine der wichtigsten Abbauregionen der Welt für einen der wichtigsten Rohstoffe überhaupt: Jede Pflanze braucht Kalium zum Wachsen. Kein anderes Werk bietet eine solche Vielfalt an Industriegrundstoffen und Düngemitteln, mehr als 20 Produkte.

Im Kleinen spielt sich hier ein Grundkonflikt des Menschen ab, es steht der massive Eingriff in die Natur an diesem Ort gegen die globalisierte Landwirtschaft, der erhöhte Salzgehalt in der Werra gegen mehr Ertrag pro landwirtschaftlicher Fläche in Asiens Boom-Ländern, die einen wesentlichen Teil der weltweiten Kaliproduktion nachfragen. Für Umweltschützer ist der Kalibergbau, wie ihn der frühere Dax-Konzern K+S hier betreibt, noch immer eine Sauerei. Für die Menschen vor Ort ist er mehr als nur Arbeitgeber, er ist seit Generationen Identifikationsmerkmal.

Am Fuß des Bergs, im Werrastädtchen Heringen, empfängt Hermann-Josef Hohmann im Museum, das er einst aufgebaut hat. 1990, die Mauer war gerade gefallen, hatte er ein Konzept verfasst für ein Bergbaumuseum, die Stadt stellte ihn an, er blieb, und mit ihm seine Leidenschaft. Im alten Schulgebäude in Heringen erzählt er auf 1000 Quadratmetern die Geschichte des Kalibergbaus, Salzbrocken, Loren, Bohrgeräte aus mehreren Jahrzehnten. Hohmann bittet in sein Büro im Erdgeschoss, schenkt Kaffee ein und legt sich fest: "Bergbau und Ökologie sind nicht in letzter Konsequenz zu versöhnen", sagt er. Aber es sei auch alles eine Frage der Perspektive. Denn wo sonst noch in großem Stil Kali abgebaut werde, in Russland oder in Kanada, seien die Umweltstandards eben nicht vergleichbar. "Was bringt es der Welt, wenn wir die ökologisch saubersten Salzbergwerke dichtmachen?"

Was nach dem Bergbau hier sein wird, darüber denken die Menschen nicht gerne nach

Aus der Museumsarbeit wurde das Thema Stadtentwicklung, heute leitet Hohmann den Fachbereich Wirtschaft, Entwicklung, Kultur der Stadt Heringen. Er beschäftigt sich viel mit den Perspektiven einer Region, in der fast alle von nur einem Wirtschaftszweig abhängen. Vor dem Bergbau gab es hier nur Bauern, mit den Schächten wurden sie zu Arbeitern, es kam die Eisenbahn, es kamen Menschen von außerhalb, um das Salz aus der Erde zu holen. Mehr als 4400 Arbeitsplätze bietet der Bergbau in der Region, noch einmal Tausende mehr hängen davon ab. Groß genug, um die Gegend zu prägen, zu klein für die große Bühne der Bundespolitik.

Was nach dem Salz sein wird, darüber denken die Menschen hier nicht gern nach, denn Zukunftsangst macht schlechte Laune. "Strukturwandel", glaubt Hohmann, "fängt immer erst dann an, wenn es schon richtig weh tut." Bis über 2060 hinaus reichten laut K+S die Vorkommen, und so lange wolle man auch abbauen. Aber das ist eine statische Angabe. Die genaue Zahl hängt ab von den Weltmarktpreisen, den Umweltvorgaben und den Transportkosten. Und sind 40 Jahre überhaupt eine lange Zeit?

Hohmann steigt in sein Auto, zur Fahrt nach Philippsthal, acht Kilometer weiter. Auf dem Weg zeigt er eine der mächtigen Schachtanlagen, mehr als 600 Meter tief geht es hinunter, unter Tage ist ein Tunnelsystem entstanden, so groß wie München. Mit 1000 Fahrzeugen und eigener Werkstatt, mit mehr als 50 000 Tonnen Rohsalz, die Mitarbeiter des Konzerns hier jeden Tag aus dem Bergwerk holen. Der Landbau braucht Kali als Dünger, die Medizintechnik, die chemische Industrie und auch der Winterdienst brauchen Salze von hier.

Hohmann stellt den Wagen ab, die Straßen im Nachbarort sind ruhig, im Schlossgartenteich plätschert die Wasserfontäne, die aufgeräumte Idylle des Ortes macht den Fachbegriff "Abraumhalde" für die Salzberge schnell vergessen. "Glückauf", sagt Ralf Orth, als er das Besprechungszimmer im alten Schloss betritt. Der Sozialdemokrat ist im zwölften Jahr Bürgermeister in Philippsthal, 4200 Einwohner, direkt an der Grenze zu Thüringen. Die meisten hier haben Bezug zum Salzbergbau, und irgendwie dreht sich in der Kommunalpolitik auch das meiste darum. Orth, randlose Brille, dunkler Anzug, wirkt wie ein Anwalt der Einheimischen, die nicht einsehen, warum sie mit jeder neuen Wasserrahmenrichtlinie um ihre Zukunft fürchten müssen. "Gerade in den vergangenen Jahren wurden wir sehr durchgeschüttelt", sagt Orth.

"Nördliche Kuppenrhön": Der Tourismus ist zu einer Säule geworden, trägt aber noch nicht

Die Salzabwässer waren der Auslöser dafür, die Werra stand im Fokus als salzigster Fluss Europas, die EU-Kommission hatte ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wegen der Millionen Kubikmeter Salzlauge, die unter Tage versenkt wurden und Landschaft und Gewässer versalzen hatten. Das thüringische Gerstungen zog in Sorge um sein Grundwasser gar vors Kasseler Verwaltungsgericht, gemeinsam mit den Naturschützern des BUND. Der Druck wirkte, mittlerweile hat sich die Lage entspannt. "Wir haben sehr viel erreicht", sagt Bürgermeister Orth. Ende 2021 ist Schluss mit der Versenkung von Salzlösungen im Boden, K+S hat viele Millionen Euro investiert in neue Verfahren, damit weniger Abfall anfällt. 5,5 Millionen Kubikmeter Salzabwasser pro Jahr sind es; 2007 waren es noch 14 Millionen. Ganz sauber, das wissen hier alle, wird der Kali-Bergbau nie.

Zum Abschied überreicht Orth Broschüren über seine Marktgemeinde und die "nördliche Kuppenrhön". Als er 2007 erstmals antrat, hätten die Bürger noch gelacht, als er vom Tourismus sprach. Heute nehmen sie ihn ernst, der Fremdenverkehr ist zu einer Säule geworden, wenn auch noch nicht zu einer tragenden. Wer sich hier mit dem Fahrrad auf den Weg macht und bis zu 300 Kilometer auf dem Werratalradweg fährt, der wird irgendwann auf der Brücke der Einheit von Philippsthal nach Vacha stehen, hier Hessen, dort Thüringen, zwei Länder, ein Revier. Und wird überrascht sein, wie viel Ruhe dieser Ort ausstrahlt, im Wissen, dass Hunderte Meter tiefer Arbeiter in dritter Generation Steinsalz aus der Erdkruste sprengen.

Reiseinformationen

Anreise: Mit Bahn und Bus über Erfurt und Eisenach nach Heringen, bahn.de Berggbau: Im Kalimuseum in Heringen kann man geführte Touren auf den Monte Kali buchen, kalimuseum.de; auch das Erlebnisbergwerk Merkers in Thüringen lohnt einen Besuch, erlebnisbergwerk.de

Unterkunft: Z.B. Gasthof zur Post in Berka / Werra, Doppelzimmer für 52 Euro, zur-post-berka.de; Hotel Sonnenhof in Wildeck, Doppelzimmer mit Frühstück für 53 Euro, sonnenhof-wildeck.de; Goebels Schlosshotel in Friedewald, DZ mit Halbpension pro Person ab 115 Euro. goebel-hotels.com

Weitere Auskünfte: werratal-tourismus.de

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