Heliskiing:Verzauberter Wald, Rauch im Paradies

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In Kanada hat ein Österreicher das wohl größte zusammenhängende Heli-Skigebiet der Welt erschlossen.

Andreas Tazl

Ernst träumt schon lange davon. Und er hat lange sparen müssen. Der Mitdreißiger verdient sein Geld als Busfahrer, im Winter ist er als Skilehrer in Ischgl unterwegs. Doch in dieser Saison will er seinen Traum leben: Zusammen mit vier Freunden fliegt er nach Kanada zu Mike Wiegele. Der 63-jährige Exil-Österreicher hat am Rande einer kleinen Holzfällersiedlung das größte zusammenhängende Heli-Skigebiet der Welt aufgebaut.

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5000 Euro kostet der einwöchige Trip im Durchschnitt. Doch für die "powder junkies", wie sich die fünf Jungs nennen, ist es mehr als ein Skiurlaub: Ernst, Björn, Stefan und die beiden Marios sind süchtig nach dem weißen Pulver. Mehr als zehn Meter türmt sich in den Wintermonaten der Schnee in den Cariboos und Monashees auf. Die zwei Gebirgszüge im Westen Kanadas sind das Lieblingsgebiet von Frau Holle: Der Schnee ist trocken, kalt, und fällt reichlich in der menschenleeren Gegend. Doch in diesem Jahr ist es um die Saison in British Columbia nicht gut bestellt: Nur neun der fast 200 Abfahrten in Kanadas berühmtestem Skigebiet Whistler sind geöffnet.

Ankunft: Es regnet in Strömen, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Die Lichter des Flughafens von Vancouver spiegeln sich in den enormen Pfützen auf der Landebahn. Mit ihren Taschen laufen die fünf Österreicher über das Rollfeld und besteigen die kleine Propellermaschine nach Kamloops.

Dort angekommen, werden die Besucher aus den Alpen erst einmal herb enttäuscht: kein Schnee weit und breit, dafür strömender Regen. Ernst spricht sich Hoffnung zu: "Oben fällt sicherlich dicker Neuschnee."

Traumfabrik an der Holzfällersiedlung

Die Fahrt geht weiter nach Blue River - eine kleine Holzfällersiedlung in der Wildnis Kanadas. Hier hat Mike Wiegele seine Traumfabrik aufgebaut: eine Lodge mit kleinen Blockhäusern und Landeplätze für seine Helikopter. 120 Gäste wohnen dort in der Hochsaison und werden von mehr als 200 Angestellten liebevoll umsorgt.

Ein Schweizer Koch sorgt für exzellente und auch seltene Gaumenfreuden auf dem nordamerikanischen Kontinent: Zum Frühstück gibt es deutsches Brot mit Kruste.

Es sieht hier ein wenig so aus wie bei den Kellermans - der Feriensiedlung aus dem 80er-Jahre-Hit "Dirty Dancing". Abseits der Gästechalets steigen im Staff-Quartier die besten Parties, und anstelle der Tanzlehrer sind die Skiguides die Stars von Blue River. Doch hier wird nicht Mambo getanzt, sondern der Schneewalzer eingeübt.

Und auch hier gibt es einen Johnny. Seit 17 Jahren ist er Heli-Skiguide. "Ich liebe den Job - man lernt so viele unterschiedliche Menschen kennen und ist dabei ständig in der Natur." Er erzählt von Börsenmaklern und Industriellen, die sich eine Auszeit gönnen und für 15 Wochen am Stück nach Blue River kommen. Er berichtet von Footballstars, die undercover anreisen müssen, weil Heliskiing für sie vertraglich verboten ist. Auch Mitglieder europäischer Königshäuser sind gerne zu Gast.

In dieser Woche sind die prominentesten Gäste eine Truppe von europäischen Profi-Snowboardern, die hier für die Zeitschrift "Fit for Fun" an einem Foto-Shooting arbeiten. Es scheint, als habe hier jeder Spaß beim Arbeiten.

Johnnys Kollege Martin bekommt ein Leuchten in den Augen, wenn er von den Brettern spricht, die für ihn die die Welt bedeuten. Er reist das ganze Jahr dem Winter nach: "Ich bin 360 Tage auf Skiern. Im Sommer arbeite ich als Skiguide in Australien."

Heliski-Imperium mit 8300 Quadratkilometern

Sie alle arbeiten hier für einen Mann, über den das US-"Ski Magazine" sagt: "Ist das der glücklichste Mann im Schnee?" Die Antwort kommt gleich hinterher: Mike Wiegele hat ein Heliski-Imperium aufgebaut, das mit einem Terrain von 8300 Quadratkilomentern mehr Abfahrten umfasst, als alle Skilifte in ganz Nordamerika bedienen. Er macht umgerechnet 14 Millionen Euro Umsatz pro Winter mit seiner Traumfabrik in der Wildnis Kanadas, hat wahrscheinlich mehr vertikale Heliski-Höhenmeter zurückgelegt als jeder andere Mensch auf der Welt und kann an jedem Tag Skifahren gehen, wenn er möchte.

Das war nicht immer so für Mike Wiegele, der in einer Bauernfamilie im österreichischen Kärnten aufwuchs. Er war noch keine 21 Jahre alt, als er Österreich verließ und nach Kanada auswandert: "Ich hatte einen Traum. Ich suchte den längsten Winter und den meisten Schnee." In Blue River, fast 600 Kilometer nordöstlich von Vancouver, wird er schließlich fündig und trifft Molly Nelson, eine Hobbymeteologin, die dort seit 34 Jahren die Schneefälle aufzeichnet.

Wiegele ist der Erste, der sich für ihre Aufzeichnungen interessiert, und die haben es in sich: Zehn Meter feinster, trockener Pulverschnee sind im Winter der Normalfall, und dass eine Schneefront einen Meter über Nacht bringt, ist keine Seltenheit. 1963 unternimmt er den ersten Helikopterflug über die Cariboo-Berge.

Bei der kanadischen Regierung bewirbt er sich um eine der ersten Lizenzen für Heli-Skiing. "Das war damals gar nicht so einfach", sagt er. "Man musste die Leute überzeugen, dass Heli-Skiing ein Geschäftsmodell sein kann." Als er 1970 die ersten kommerziellen Flüge unternehmen will, glaubt ihm das auch noch niemand: "Ich hatte keinen einzigen Gast."

2000 "Süchtige" pro Winter

Ein Jahr später kommen zwei. 1973 steigert er sich schon um 400 Prozent auf acht. Dann ging es rasant aufwärts. Heute beherbergt er pro Winter 2000 Touristen, 40 Prozent davon kommen aus dem deutschsprachigen Raum. Und sie sind süchtig nach Mike und seinem Schnee: "80 Prozent meiner Gäste kommen alle zwei Jahre, 60 Prozent sogar jedes Jahr wieder."

Spätestens die Entwicklung der Powder-Ski, die Mike Wiegele zusammen mit der Firma Atomic betreibt, eröffnete das Tiefschnee-Erlebnis einer breiten Masse. Selbst Anfänger können mit den überdimensional breiten Skiern durch den Pulver gleiten.

Trotz Preisen von umgerechnet 5000 Euro pro Woche ohne Flug muss sich Mike Wiegele über die Nachfrage nach seinem Skierlebnis keine Gedanken machen. "Es gibt einen Trend zum Luxus", sagt er und will deshalb auch im nächsten Winter eine kleine neue Lodge eröffnen für nur 20 bis 30 Gäste.

High-End-Golfklub mit Pulverschnee

Und für das Ende des Jahrzehnts plant er sein größtes Projekt: Saddle Mountain. In einem Gebiet aus acht Gipfeln, das in Österreich jeder Tourismus-Manager für fast 6000 tägliche Skifahrer ausbaut, will der Ski-Entrepreneur eine Art High-End-Golfklub mit Pulverschneehängen aufbauen, die von Skiliften erschlossen und durch Helikopterflüge ergänzt werden.

Nur maximal 500 Leute dürfen in diesem Gebiet Ski fahren. "Ich will Lebens- und Skiqualität erhalten", sagt er und weiß, dass die wenigen Gäste den Umsatz der Masse bringen müssen. Man wird sich in Saddle Mountain einkaufen müssen. Der Weg zum Skifahren führt über den Besitz an einem Blockhaus. Und es wird einzigartig werden in Kanada. Bisher gibt es nur ein ähnliches Projekt im Yellowstone Park in Kalifornien.

Doch was für die einen Luxus ist, erleben die anderen als Alltag. Jeden Samstag, wenn die Gäste wechseln, lädt Mike Wiegele die Kinder im Tal zum Heliskiing ein. "Ich sehe das als Ausbildungsprogramm. In Skigebieten gibt man den Kindern einen Saison-Pass. Wir fliegen sie auf die Berge und lehren ihnen Skifahren." Und Skiguide Bob fügt hinzu: "Hier gibt es Kinder, die haben 100 Heli-Skitage absolviert und waren noch nie in ihrem Leben auf einer planierten Piste."

Es hat aufgehört zu regnen in Blue River. Eine dichte Wolkenschicht liegt in dem Tal. Da kommt hinter den Bäumen ein dicker roter Vogel hervor: Die Rotorblätter des Helikopters durchbrechen die Stille der Wildnis. Am Steuer sitzt Graham mit seiner dicken Pilotenbrille und im Mechanikeranzug.

Die fünf Österreicher hocken gekauert am Boden, bis der Heli gelandet ist. Dann geht es los: Wump, wump, wump schraubt Graham die Maschine in die Höhe und durchbricht die graue Wolkendecke. Strahlend blauer Himmel darüber, der Schnee glitzert und im Tal der "Ocean of Clouds".

Verzauberter Wald und Wedel City

Es ist ein unfassbares Naturerlebnis. Nicht von ungefähr kommt der Name der ersten Abfahrt: Enchanted Forest - wie in einem verzauberten Märchenwald sind die Tannen von 60 Zentimeter Neuschnee einwattiert. Die Gruppe jodelt vor Freude, als der Tiefschnee um ihre Nasen staubt und der "Cold Smoke" hinter ihnen aufwirbelt.

"Du siehst den Schnee in ihren Gesichtern, wenn sie runterkommen, und du weißt: They had fun", sagt Skiguide Bob und trifft es auf den Punkt. Zwölf weitere Abfahrten mit so vielsagenden Namen wie "Wedel City", "Paradise" oder "Most Magnificent" passen in den kurzen Tag, bevor die Sonne um drei Uhr unterzugehen beginnt.

"Sun down" heißt die letzte Abfahrt des Tages. Die Abendsonne taucht den unberührten Hang in ein weiches Licht. Die Endorphine der fünf Österreicher tanzen mit ihnen in den Sonnenuntergang. Nirgendwo ist das Gefühl von Freiheit näher als in diesem Moment: Sie schweben über ein Feld glitzernder Diamanten aus Schneekristallen, in denen sich die letzten Sonnenstrahlen über Blue River brechen. Ein Traum wird für sie endlich wahr.

Weitere Infos: Manfred Agerer, Tel. 0043-5472-2774, wiegele-europa@tirol.com oder: siehe Link unten

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