Reisebuch:Lieblingsinsel

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Robben am Strand gehören zur Insel - und taugen als Sinnbild für die Ruhe, die viele Menschen auf Helgoland suchen.

(Foto: Christoph Ruisz/imago/imagebroker)

Für die Autorin Isabel Bogdan ist Helgoland der perfekte Ort, um das innere Gleichgewicht wiederzufinden.

Rezension von Lisa Kannengießer

Wiegt man das Buch mit den roten Hummern auf dem Cover in der Hand, schießt eigentlich nur ein Gedanke durch den Kopf: Was gibt es schon groß über Helgoland zu erzählen? Es handelt sich schließlich um eine Insel, die nicht einmal knapp zwei Quadratkilometer misst. Ein 1300-Seelen-Dorf. Zu erwarten ist weder eine Abenteuerreise mit Kapitän Ahab auf hoher See, noch ein Schiffbruch an der Seite von Robinson Crusoe. Doch auch undramatische Reiseliteratur kann ihren Charme haben. Besonders, wenn man ein Faible für Eigenbrötler, ein wenig Geschichte und allerlei Tiere hat.

Isabel Bogdan erzählt in ihrem Buch "Mein Helgoland" von ihrer Schreibinsel, auf die sie immer wieder zurückkehrt, weil sie dort Ruhe findet. Keine Ablenkung wie in der Wohnung in der Stadt. Nur das unspektakuläre Treiben auf dem überschaubaren Eiland. Und es gelingt Bogdan, auch den Leser oder die Leserin Gefallen an der Insel finden zu lassen. Denn gerade deren Monotonie macht Geschehnisse wie diese beinahe spektakulär: Da müssen drei Feuerwehrautos ausrücken, weil eine Fritteuse brennt. Oder eine kleine kranke Robbe stirbt.

Die vielen verschrobenen Eigenheiten Helgolands tun das Übrige. Denn auf der Insel gibt es jede Menge Insulaner, die in ihrer seltsamen, kleinen Welt leben. Sie vertreiben sich mit Klatsch und Tratsch die Zeit und sind mit herzlich wenig zufrieden. Wie beiläufig streut die Autorin ein, dass nur ein paar E-Autos auf der Insel fahren und Fahrräder nicht erlaubt sind. Es gibt zwar einen Einkaufsladen, eine Ärztin und ein Fitnessstudio, aber keinen Optiker und keine Buchhandlung. Sind die Karteikarten einmal aus, sind sie unter Umständen eben für ein paar Wochen aus. Kaum vorstellbar in einer Zeit, in der zumindest online für gewöhnlich alles nur einen Mausklick entfernt ist. Und dann sind da noch die Ornithologen, die "Ornis", auch Vogelkundler genannt: "Sie tragen Tarnkleidung und schleppen beeindruckende Mengen an Ausrüstung mit sich herum, liegen manchmal stundenlang still im Gras und warten auf das ultimative Foto." Sie vervollständigen ein faszinierendes Gesamtbild.

Während Bogdan all dies notiert, sinniert sie über den Akt des Schreibens selbst. So erlaubt sie Einblicke hinter den Vorhang - in das Gedankengut einer Autorin. Sie spannt immer wieder einen Bogen zwischen dem, was ihr auf der Insel praktisch vor die Füße fällt, und ihren Tätigkeiten als Übersetzerin und Autorin. Dabei helfen ihr vor allem zwei Dinge: die Bücher des verstorbenen Autors James Krüss, der selbst aus Helgoland stammte, sowie die Naturspektakel auf der Insel.

Zum Teil verwirrt der Sprung vom Schreiben zum Erlebten jedoch. Bogdan verfasst längere Passagen über die Schwierigkeit, für eine Geschichte die passenden Figuren und Handlungen zu finden. Und doch ertappt man sich bei der Frage - na und wer sind nun die passenden Figuren in diesem Buch? Es werden ja gerade einmal drei lebende Personen mit Namen genannt. Eine wirkliche Beziehung baut man zu keinem der Charaktere auf. Obendrein sind die langen Ausführungen über die unterschiedlichen Vogelarten der Insel zwar auf eine eigentümliche Art interessant. Aber man gerät doch ins Grübeln, ob Bogdan zwischendurch der Schreibstoff ausgegangen ist, und ertappt sich beim Überfliegen von ganzen Absätzen. Banalitäten sind zwar das Thema des Buches, banal bedeutet aber nun mal nicht immer lesenswert.

Ein bisschen hat "Mein Helgoland" etwas von einer Zeitreise. Mit der Fähre geht es geradewegs hinein in eine ganz eigene, kleine Inselwelt, in der die Natur wertgeschätzt wird und die Nachbarn sich noch mit Namen kennen. Nach der Lektüre fragt man sich allerdings, ob die Insulaner tatsächlich so komische Käuze sind, wie die Autorin sie beschreibt. Jedoch entfacht das Buch kein Reisefieber, sondern viel mehr Bedürfnis nach einem Plätzchen voll Ruhe und Frieden. Denn was soll auf einer so kleinen Insel schon groß geschehen?

Isabel Bogdan: Mein Helgoland. Mareverlag, Hamburg 2021. 112 Seiten, 18 Euro.

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