Headhunters crossing:Vor 5 im Urwald

Lesezeit: 3 min

Aus den ehemaligen Kopfjägern wurden Fremdenführer, die auf den "nachhaltigen Tourismus" hoffen

Nina Berendonk

Die Iban sind ein Volk der Geschichtenerzähler. Panch lacht vergnügt und balanciert elegant die Unebenheiten aus, über die der kleine Bus rattert. Die Geschichte über die Zwillingssöhne des Häuptlings Jarau Bunya mag er ganz besonders.

Mitunter gibt es außerhalb des Urwalds noch rote Warnschilder mit der Aufschrift "Headhunters crossing!" (Foto: N/A)

Die beiden Jungen hatten sich eines Tages aufgemacht, um für ein paar Monate auf einer Baustelle in der Bundeshauptstadt zu arbeiten. Weil sie sich aber in den unbekannten Straßen nicht zurecht fanden und nicht wagten, gleich am ersten Tag etwas von dem Geld auszugeben, das ihnen ihr Vater mitgegeben hatte, verkrochen sie sich zum Schlafen hungrig in einen Busch am Straßenrand.

Dann kommt Panchs Lieblingsstelle: "Am späten Nachmittag des nächsten Tages fanden Guyu und Kanna einen Hund, der von einem Auto angefahren worden war. Gemeinsam schleiften sie das verendende Tier von der Straße in das Unterholz und töteten es mit dem Schweizer Armeemesser, das ihnen eine Touristin vor einiger Zeit bei einem Besuch in ihrem Langhaus geschenkt hatte. Die Jungen entfachten ein Feuer und garten das Hundefleisch, bevor sie sich zu einer weiteren Nacht im Busch niederlegten. Zwei Tage später traf der Häuptling in der Stadt ein, um seine Söhne zurück nach Hause zu nehmen. Ein Stammesbruder hatte die beiden Jungen auf der Straße aufgegabelt und ihm einen Boten geschickt. Nie wieder wollten sie in die große Stadt, erzählten Guyu und Kanna ihren Eltern, weil man dort nur schwer überleben könne. Hier im Dschungel dagegen seien sie ganz sicher, niemals verhungern zu müssen."

Leben im Langhaus

Obwohl er selbst der indischen Bevölkerungsgruppe Malaysias angehört, spricht der Fremdenführer von den ehemaligen Kopfjägern wie von seiner Familie. Schließlich sind sie das ja auch ein bisschen. Elf Jahre lang haben sie ihn in einem ihrer Langhäuser aufgenommen und schließlich sogar seine Heirat mit der Häuptlingstochter für gut befunden. Seit dieser Zeit kennt Panch die Sprache und Geschichten der Iban.

Die Urwaldnomaden gehören zu den einheimischen Stämmen im malaysischen Teil Borneos und machen im Bundesstaat Sarawak im Südwesten der Insel etwa ein Drittel der Bevölkerung aus. Einst als Volk der Kopfjäger gefürchtet, hält ein Teil der Eingeborenen bis heute an seiner traditionellen Lebensweise in Langhäusern fest. Fischerei, Ackerbau, Kunsthandwerk und mittlerweile auch der Tourismus sichern ihnen ein kleines Einkommen.

Wo die Bundeshauptstadt Kuching aufhört, beginnt das Land der Iban. Ölpalmenpflanzungen und Dörfer säumen die Straße in Richtung Serian, Pfeffer stauden wachsen wie Weinreben auf gelber Erde. Hinter den dicht bewaldeten Höhenzügen, die im Süden den Horizont verstellen, liegt das indonesische Kalimantan.

Kopfopfer zur Feier des Tages

Nach einer Stunde wird die Besiedelung allmählich dünner, die Plantagen gehen in dichtes, mannshohes Grün über. "Habt ihr gesehen?" Panch zeigt zum Busfenster hinaus. Ein windschiefes dreieckiges Warnschild am Straßenrand, der Umriss eines Schädels vor gekreuzten Knochen, signalrot umrahmt. "Headhunters crossing!" Panch blinzelt amüsiert, die Zähne blitzen in seinem dunklen Gesicht.

Bevor man es den Iban unter der Herrschaft der Weißen Rajahs vor rund 100 Jahren abgewöhnte, fürchteten die Kolonialherren die Stammesangehörigen als Kopfjäger. Hochzeiten, Todesfälle, Missernten - die Geister mussten zu vielen Gelegenheiten mit Kopfopfern besänftigt werden.

Zuvor wurden allerdings die Bewohner der nächstgelegenen Langhäuser flussauf- und flussabwärts gewarnt. Die zogen dann die Leitern zu ihren Häusern hinauf und warteten ab, bis die Krieger genug Köpfe erbeutet hatten und draußen wieder Ruhe eingekehrt war. Im Langhaus wurden die abgetrennten Häupter zunächst ausgeblutet, dann dekorativ in Körbe verpackt an die Decke gezurrt und dort als Trophäe aufbewahrt.

Damenschuhe im Jenseits

Der erfolgreiche Jäger bekam nach seiner Rückkehr eine Markierung auf den kleinen Finger seiner rechten Hand tätowiert: ein Kopf, ein Strich. Die letzte Kopfjagd war sogar von höchster Stelle angeordnet: Nach der Besatzung hielten sich noch zu viele japanische Soldaten in den Wäldern Sarawaks versteckt. Um sich selbst zu entlasten und den Eingeborenen eine kleine Freude zu bereiten, ließen die Amerikaner den Iban nach 1945 für einige Monate freie Hand. Aber das sei vorbei, sagt Panch. Warum dann eigentlich die Schilder?

Panch bedeutet dem Fahrer anzuhalten. Ein paar Schritte von der Straße entfernt lehnen kleine Hütten schief in der feuchten Luft. Unter ihren Dächern türmen sich alte Möbel, auf einem Tisch thront eine schwarze Singer- Nähmaschine, neben einer Flasche Reisschnaps gammeln alte braune Damenschuhe.

Eine Müllhalde? "Ein Iban-Friedhof", Panch zeigt auf die scheinbare Unordnung, "die Lieblingssachen der Verstorbenen, damit uns ihre Geister nicht heimsuchen und danach verlangen!" Die Toten werden bei den Iban auf Abstand gehalten. "Mindestens zwei Palmblatt-Zigarettenlängen vom Haus entfernt", sagt Panch.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: