Süddeutsche Zeitung

Wie sicher sind Kreuzfahrtschiffe?:Unsicherheitsfaktor Mensch

Die Kreuzfahrt-Branche meldet Umsatzrekorde und steigende Passagierzahlen. Die Technik der schwimmenden Hotels gilt als sicher, doch die Havarie der "Costa Concordia" verunsichert Reisende. Wie ist es um die Ausbildung der Besatzung bestellt? Was passiert im Ernstfall? Wichtige Fragen und Antworten.

Daniela Dau und Markus Schulte von Drach

Die Bilder vom Kreuzfahrt-Drama vor Italien wollen so gar nicht passen zu den Hochglanz-Prospekten einer erfolgsverwöhnten Branche. Weltweit stechen jährlich 14 Millionen Urlauber in See, davon waren im Rekordjahr 2010 etwa 1,2 Millionen Deutsche. Viele von ihnen dürften sich nach der Havarie der Costa Concordia bange Fragen stellen. Wie konnte es zu diesem Unglück kommen? Und wie sicher kann man sich auf einem Kreuzfahrtschiff fühlen?

[] Welche Vorschriften gelten für die Sicherheit auf Kreuzfahrtschiffen?

Wenn es um Sicherheit in der Seefahrt geht, dann spielt die Internationale Seeschifffahrts-Organisation IMO eine wichtige Rolle. Die Mitglieder dieser Unterorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in London haben sich auf das "Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See" (SOLAS) verständigt. In zwölf Kapiteln ist in der internationalen SOLAS-Konvention dargelegt, welche Voraussetzungen Schiffe hinsichtlich Bauweise, Ausrüstung, Betrieb und Sicherheit mindestens erfüllen müssen.

[] Wer kümmert sich darum, dass diese Vorschriften eingehalten werden?

Das überprüfen nationale Behörden. In Deutschland überwacht die Dienststelle Schiffssicherheit der Berufsgenossenschaft Verkehr in Hamburg die Einhaltung der wichtigsten internationalen Übereinkommen. Die Dienststelle ist dem Bundesministerium für Verkehr zugeordnet. Im Falle von Costa Crociere, dem in Genua ansässigen italienischen Tochterunternehmen des amerikanischen Konzerns Carnival Cruises, ist das Registro Italiano Navale (RINA) zuständig. Das italienische Schifffahrtsregister führt alle statutarischen Besichtigungen durch und stellt die jährlichen Bestätigungen in den Schiffssicherheitszeugnissen aus, sowie vorläufige Zeugnisse.

[] Wie konnte es zu dem Unglück kommen?

In der Dienststelle für Schiffssicherheit ist man überzeugt davon, dass die Costa Concordia als großes, modernes Kreuzfahrtschiff mit allen notwendigen Navigationshilfen ausgestattet ist - und zwar mit den besten technischen Geräten, die zur Verfügung stehen: Echolote, Satellitennavigationsgeräte, elektronische Seekarten. "Es gibt einen ganzen Strauß von Technik, der da an Bord ist", ist Dienststellenleiter Ulrich Schmidt überzeugt. "Und ich gehe davon aus, dass die auch funktioniert hat." Schließlich sind die Geräte in aller Regel in zwei Exemplaren vorhanden. Das beide gleichzeitig oder überhaupt alle ausfallen, ist sehr unwahrscheinlich, erklärt Schmidt - auch wenn er es nicht grundsätzlich ausschließen will. Unter Experten hält man es für die wahrscheinlichste Ursache, dass einem der wachhabenden Offiziere ein Navigationsfehler unterlaufen ist.

Alan Graveson von der Seefahrergewerkschaft Nautilus International in Großbritannien hält es dagegen durchaus für möglich, dass das Schiff trotz funktionierender Sicherheitssysteme einen nicht verzeichneten Felsen gerammt haben könnte. Vielleicht kam die Warnung des Echolots einfach zu spät, erklärte er der britischen Daily Mail. Unbekannte Felsen könnte es ihm zufolge sogar in stark befahrenen Gewässern geben. So sank 2007 das griechische Kreuzfahrtschiff Sea Diamond vor der Insel Thira im Ägäischen Meer, nachdem es auf ein auf den Seekarten nicht ganz korrekt verzeichnetes Riff aufgelaufen war. Zwei Menschen ertranken.

Eine andere Erklärung wäre ein Stromausfall wie er im Mai 2011 zum Beispiel die Steuerung des Kreuzfahrtschiffes MSC Opera in der Ostsee lahmgeleegt hatte. Das moderne Schiff musste in einen schwedischen Hafen geschleppt werden.

Im September 2010 hatte es einen ähnlichen Vorfall auf der britischen Queen Mary 2 gegeben: Kurz vor Barcelona hatte eine Explosion im Bereich des Maschinenkontrollraums alle vier Antriebsmotoren lahmgelegt, für kurze Zeit kam es zu einem kompletten Stromausfall. Notstromaggregate hatten die Stromversorgung jedoch schnell wieder hergestellt.

[] Wie werden Passagiere auf Notfälle an Bord vorbereitet?

In jeder Kabine hängen gut lesbar Schiffspläne mit Rettungs- und Fluchtwegen, die den kürzesten Weg zur nächstgelegenen Rettungsstation weisen. Viele Reedereien halten noch vor dem Auslaufen Rettungsübungen ab, mindestens aber innerhalb der ersten 24 Stunden der Schiffsreise.

[] Wie läuft eine Evakuierung ab?

"Es schrillt ein Alarm-Laut oder der Kapitän macht eine Durchsage, die bis in den letzten Winkel des Schiffes zu hören ist", beschreibt Stefan Jaeger vom Passagierverband European Cruiser Association (Eucras) den Beginn einer solchen Evakuierungsübung für Süddeutsche.de. Anhand des Rettungsplanes in der Kabine und einer speziellen Beschriftung auf den Schwimmwesten wissen die Passagiere, zu welchem Sammelpunkt auf ihrem Deck sie gehen müssen. Unterwegs helfen ihnen Crew-Mitglieder bei der Orientierung und kontrollieren, ob sich niemand mehr in den Kabinen befindet. "Nach fünf bis sechs Minuten sollte man eigentlich am Rettungsboot stehen, selbst auf den großen Schiffen", meint Jaeger. Dort werde die Handhabung der Schwimmwesten erklärt und Crew-Mitglieder demonstrierten, wie man in die Rettungsboote einsteigt.

[] Wie häufig werden Besatzungen für Notfälle trainiert?

Alle Crew-Mitglieder auf Costa-Schiffen hätten ein BST-Zertifikat (Basic Safety Training), heißt es in einem Statement der Reederei. Die Besatzung sei auf Notfälle vorbereitet. Die Aufgaben jedes einzelnen Crew-Mitglieds seien klar festgelegt. Alle zwei Wochen nehme die Besatzung an einer simulierten Evakuierung eines Schiffes teil. Andere Reedereien drillen ihre Besatzung noch intensiver in Sachen Sicherheit. Manchmal würden Teile der Crew sogar während des laufenden Betriebs auf See für Evakuierungsübungen abgezogen, weiß Eucras-Vorstand Jaeger.

[] Welche Rettungsausrüstung ist für ein Schiff von der Größe der Costa Concordia vorgeschrieben?

Mit 290 Metern Länge und gut 35 Metern Breite war die Costa Concordia zum Zeitpunkt ihrer Indienststellung 2006 das größte Kreuzfahrtschiff Italiens. 3780 Passagiere kann das Schiff befördern, dazu kommen noch 1100 Personen Besatzung. Nach Angaben der Reederei gibt es auf jedem Costa-Schiff mehr Rettungswesten und Plätze in den Rettungsbooten, als Gäste und Crewmitglieder an Bord sind - eine zentrale SOLAS-Bestimmung, die eine direkte Reaktion auf den Untergang der Titanic im Jahr 1912 war. Die Rettungsboote seien mit Lebensmitteln und Wasser, Erste-Hilfe-Kits und Signal-Equipment ausgestattet, so das Kreuzfahrtunternehmen.

[] Welche Konsequenzen drohen einem Kapitän, der sein Schiff vor dem letzten Passagier verlässt?

Die Regel, wonach der Kapitän als Letzter von Bord gehen sollte, dürfte dem Passauer Strafrechtler Robert Esser zufolge inzwischen ins Gewohnheitsrecht übergegangen sein. Ein Verstoß dagegen hätte strafrechtliche Konsequenzen, "zumindest der Vorwurf unterlassener Hilfeleistung sei zu erheben", sagt der Jurist auf Anfrage von Süddeutsche.de. Da der Kapitän gegenüber seinen Passagieren aber sogar erhöhte Rettungspflichten habe, könnte im Falle des Kapitäns der Costa Concordia der Vorwurf sogar auf versuchten Totschlag durch Unterlassen lauten. Dies gelte erst recht, wenn er den Unglücksfall pflichtwidrig herbeigeführt habe - etwa durch ein Verlassen der üblichen Schiffsroute. Bei akuter Todesgefahr aber könnte sich der Kapitän letztlich auch auf Kosten seiner Passagiere in Sicherheit bringen. Strafrechtler sprechen hier vom "entschuldigenden Notstand".

[] Wie kann ich mich vor dem Beginn einer Kreuzfahrt über die Sicherheitsstandards an Bord informieren?

Eine neutrale Informationsquelle gibt es nicht, Passagiere müssen sich auf die Angaben der Reederei verlassen. "Man kann aber davon ausgehen", so Stefan Jaeger, "dass die Schiffe neueren Datums alle den modernsten Sicherheitsstandards entsprechen." Selbst ältere Schiffe würden nachgerüstet.

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