Haslital in den Schweizer Alpen:Höchste Konzentration

Lesezeit: 5 Min.

Eine Nummer kleiner als die Bauten am Jungfraujoch: Das Panoramarestaurant namens Alpentower im Skigebiet Hasliberg. (Foto: Haslital Tourismus)

Weg vom Rummel, aber nicht ab vom Schuss: Das Haslital hat alles, was man für guten Tourismus braucht. Doch direkt nebenan macht die berühmte Jungfrau-Region Konkurrenz - eine Kooperation soll die Rettung bringen.

Von Thomas Ebert

Melchior Anderegg liegt in einer Bretterbude neben der Meiringer Bahnhofsstraße und wartet. Zum 100. Todestag, am 8. Dezember 2014, wollten die Haslitaler ihrem großen Bergführer zu Ehren eine Bronzestatue enthüllen. Noch aber gibt es nur eine Anderegg-Statue aus Gips. Der Abguss, den die Schweizer in Italien bestellt hatten, wurde nicht rechtzeitig fertig. Zwei Gehminuten von der Bretterbude entfernt sitzt Nils Glatthard in der Touristinfo Meiringen im Kanton Bern. Er wartet ebenfalls. Auf seine Absetzung.

Glatthard ist seit fast acht Jahren Geschäftsführer von Haslital Tourismus. Im November beschloss der Verein, sich der benachbarten Jungfrau Region Tourismus AG anzuschließen, und Glatthard legt Wert darauf, dass er eine "der treibenden Kräfte in diesem Prozess " war. Bisher besteht die Kooperation nur auf dem Papier. Wenn die Fusion vollzogen ist, wird die Jungfrau AG für Werbung, Verkauf und Vertrieb des Haslitals sorgen, dem Haslital selbst bleibt die Gästebetreuung. Glatthard wird vielleicht noch als Ortsverantwortlicher tätig sein, vielleicht aber auch nicht. Und neben der Frage, wie es mit ihm beruflich weitergeht, stellt sich eine andere: Was passiert mit dem Haslital?

Rund 500 000 Touristen im Jahr besuchen das Haslital und seine Seitentäler, die sich wie die Finger eines Riesen von den im Tal gelegenen Orten Meiringen und Innertkirchen wegspreizen. Das Haupttal, das sich zum Grimselpass hinaufzieht, ist so dünn besiedelt, dass die Kinder aus den Weilern Guttannen und Handegg im Winter mit der Stollenbahn des Wasserkraftwerks in die Schule fahren. In den anderen Tälern gibt es Nachtskilauf, Langlaufloipen, Rodelbahnen oder gar nichts. Die Gegend ist ein ideales Skitourenrevier, vor allem das unbewohnte Urbachtal, das aussieht wie es heißt. Oder das "Bijou", wie es die alten Haslitaler nennen: das Rosenlaui, ein unverschämt schöner Talschluss unter den Engelhörnern. Das einzige Hotel hier öffnet erst wieder im Mai.

Das Haslital ist weg vom Rummel, aber nicht ab vom Schuss. Deshalb kommt man hierher. Es gibt keinen James Bond, keine Jungfraubahn für 184 Franken pro Person und keine Eiger-Nordwand. Dafür ein Familiengütesiegel und ein weltcuptaugliches, aber nie überlaufenes Skigebiet am Hasliberg, wo der Tagesskipass 57 Franken kostet. Hier liegt das "Skihäsliland" der Kinder, schnelle Lifte bringen die Skifahrer zu den Abfahrten und zu einem Panoramarestaurant mit wunderbarem Blick auf das Wetterhorn. Im Tal gibt es eine Kletterhalle, Schlechtwetterziele wie die Aareschlucht, ein Kristallmuseum, ein Freilichtmuseum, mehrere Themenpfade zu Sherlock Holmes, den sein Erfinder Arthur Conan Doyle hier die Reichenbachfälle hinabstürzen ließ. Auch Ausgefallenes gibt es wie eine Kur im Bier-Bottich in Innertkirchen oder eine archäologische Tour zum Wrack des Flugzeugs, das 1946 auf dem Gauligletscher abgestürzt ist und vor drei Jahren wieder aus dem Eis auftauchte.

Der erste Skilift auf dem Hasliberg. (Foto: Haslital Tourismus)

Das Haslital hat alles, was man für guten Tourismus braucht. Und einen weltberühmten Nachbarn, der am Jungfraujoch schon mal einen Boxkampf mit Wladimir Klitschko veranstaltet und die Bilder in der Zahnradbahn in Dauerschleife sendet. Das zieht noch mehr. 1,8 Millionen Gäste übernachten jährlich in der Jungfrauregion. Andreas Rickenbacher sagt deshalb: "Ohne größeres Marketingbudget wird das Haslital touristisch nicht überleben." Es wird sich zeigen, ob der Zusammenschluss weitsichtig oder blind war - wie viel Budget für das Haslital übrig bleibt. Oder alles in die Jungfraujoch-Region fließt.

1967 initiierte Gemeinderatspräsident Arnold Glatthard den Bau der ersten Bergbahnen am Hasliberg. Die Gondelbahn von Twing nach Käserstatt. (Foto: Haslital Tourismus)

Rickenbacher ist Regierungsrat und Volkswirtschaftsdirektor im Kanton Bern. Seit 2008 treibt er die "Destinationsverdichtung" voran, ein Begriff, der inzwischen jedem Schweizer geläufig ist. Im Kanton Graubünden wurden zuletzt 92 Tourismusbehörden auf 18 eingedampft. Es ist das Gebot der Stunde im Alpentourismus, der in der Schweiz schon vor der Franken-Freigabe strauchelte: Regionen bündeln, Budgets zusammenlegen, noch internationaler werben. Rickenbacher will aus den zwölf Ferienregionen im Berner Oberland sechs machen. Die Gäste sollen davon nichts mitbekommen. Sie müssten halt nur noch bereit sein, wieder Geld für Erholung auszugeben, die sie derzeit anderswo billiger bekommen. Am touristischen Konzept soll auch der Zusammenschluss nichts ändern. Rickenbacher verspricht, "dass die Spezialitäten der einzelnen Orte weiterhin zum Tragen kommen."

Eine Spezialität des Haslitals ist Benno Tschämperlins Käse. An einem Samstagmorgen steht er in seiner Molkerei in Meiringen. Tschämperlin trägt einen Pulli mit dem Logo des Haslitals, das demnächst verschwinden wird. Seine Angestellten wuseln durch die schmalen Gänge, verpacken, etikettieren, tragen Mutschlis und Raclette in den Keller. Die Milchtanks hängen an der Decke, so eng ist es in der Molkerei. "Wir produzieren nicht auf große Menge. Es muss ja nicht immer alles so groß sein", sagt Tschämperlin. Was seine Mutschlis, die kleinen Bergkäse-Laibe, so besonders macht? "Sie schmecken zweimal. Die Kräuternote kommt erst nach dem Reinbeißen." Tschämperlins Laden läuft gut, besonders die Einheimischen kaufen gern seinen Käse.

Das Haslital ist keines dieser entvölkerten Alpentäler, wo nur noch sechs Dorfälteste der Enkel und jener Dinge harren, die nicht kommen. Der Hörgeräteladen von Meiringen ist nicht besser besucht als die Skatehalle der Dorfjugend. Die Kraftwerke Oberhasli und der Militärflugplatz bieten sichere Arbeitsplätze; es ist nicht der Tourismus allein, der das Tal trägt. Mit den Dörfern unter Eiger, Mönch und Jungfrau, mit denen es sich nun vermarktet, hat das Haslital so viel gemein wie Mittenwald mit Garmisch - aus der Ferne einiges, von Nahem fast gar nichts.

Balderschwang im Allgäu
:Es geht auch leise

Höher, steiler, lauter - so funktioniert der Wintertourismus heute meistens. In Balderschwang im Allgäu wird den Gästen ein ganz anderes Erlebnis geboten.

Von Dominik Prantl

"Grindelwald dreht sich zu 150 Prozent um den Tourismus. Hier ist alles etwas ausgeglichener, beschaulicher", sagt Geschäftsführer Glatthard. Er ist selbst ein Haslitaler, jedes Wochenende geht er mit seinen Söhnen in den umliegenden Tälern zum Bergsteigen. Glatthards Vater Arnold gründete hier 1940 die erste Schweizer Bergsteigerschule, unterrichtete im Himalaja, holte den Everest-Erstbesteiger Tenzing Norgay ins Haslital. 1967 initiierte er als Gemeinderatspräsident den Bau der ersten Bergbahnen am Hasliberg. Seitdem wurde zwar modernisiert, aber kaum mehr expandiert. In Grindelwald genehmigten die Bürger zuletzt den Bau der V-Bahn, mit der die Touristen noch schneller zum Jungfraujoch kommen werden.

Allerdings kann die Fusion auch Vorteile bringen. Vielleicht entscheidet sich ja ein Teil der Gäste aus der Jungfrauregion für den kleinen Nachbarn, wo Bergschulen ihre Touren aus Geheimhaltungsgründen nicht ins Programm schreiben. "Wir bekommen mehr, als wir alleine leisten könnten: Mehr Reichweite, mehr Kontakte, mehr Präsenz im asiatischen und arabischen Markt", sagt Glatthard. Zwischen 2010 und 2013 verlor die Region zwischen Interlaken und Haslital ein Drittel ihrer Gäste aus Deutschland, Österreich und Italien. Inzwischen kommen mehr Menschen aus Singapur als aus Italien.

Chamois im Aostatal
:Die andere Seite des Matterhorns

Ein Dorf in Italien, in das man nicht mit dem Auto fahren kann? Ganz recht. Chamois im Aostatal ist nur mit der Seilbahn zu erreichen. Das ist bei Weitem nicht sein einziger Vorteil.

Von Hans Gasser

Für den Umgang mit asiatischer und arabischer Kundschaft gibt es bereits einen Knigge im Haslital. Viele übernachten allerdings nur dort, weil es günstiger ist und Betten frei sind. "Ob man von Meiringen oder Grindelwald auf das Jungfraujoch fährt, ist dieser Kundschaft egal", sagt Glatthard. Das aber führt zu der Frage: Beginnt diese Kundschaft wegen eines geänderten Organigramms, sich für den Muggestutzer Zwergenweg oder Benno Tschämperlins Mutschlis zu interessieren? Glatthard hofft es. Rickenbacher glaubt: "Nicht alle von denen, die aufs Jungfraujoch fahren, werden auch das Haslital besuchen. Gerade nicht die, die Europa in 14 Tagen machen."

Im Frühjahr soll die Statue von Melchior Anderegg endlich aufgestellt werden. Dann wird wohl ein wenig Rummel in Meiringen sein. Und vielleicht wird in der Festrede jener Satz erwähnt werden, den der alte Bergführer Anderegg stets zu übermotivierten Touristen sagte: "Da können Sie schon gehen. Ich gehe aber nicht."

© SZ vom 12.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Tipps für die Alpen
:Die schönsten Orte im Winter

Es soll ja Menschen geben, die nichts mit der kalten Jahreszeit anzufangen wissen. Dabei gibt es so viele Orte, an denen der Winter Spaß macht. Wir stellen unsere Favoriten in den Alpen vor.

Aus der SZ-Redaktion

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: