Street Art in Hamburg:Ist das Kunst oder muss das weg?

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Mal groß und prominent an Ausfallstraßen und in der Fußgängerzone, mal versteckt in einer Sackgasse auf einem Hinterhofparkplatz: Die Motive der Freiluftgalerie Walls Can Dance, hier ein Bild des Künstlers Dave the Chimp. (Foto: Jérome Gerull/Urban Art Institute)

Vieles in Hamburgs Zentrum entwickelt sich stromlinienförmig. Für einen Eindruck von Hamburger Street Art lohnt sich da ausgerechnet ein Ausflug in den Stadtteil Harburg.

Von Till Briegleb, Hamburg

Harburg kennen Hamburg-Touristen eigentlich nur aus zwei Gründen: Weil es dort einen ICE-Bahnhof gibt, an dem manch einer auf dem Weg in die Stadt schon mal falsch ausgestiegen ist, und weil die Attentäter von 9/11 hier versteckt das Massaker in den USA vorbereitet haben. Für Kernhamburger dagegen ist der große Stadtteil südlich der Elbe gefühltes Niedersachen, und diese Randlage hat es möglich gemacht, dass sich vieles hier weniger stromlinienförmig entwickelt als im Zentrum.

Schönstes Beispiel: Harburgs Hafenstadt. Während die bekannte Hamburger Hafencity hinter der Elbphilharmonie mit ihren polierten Prospektbauten oft so seriell wirkt wie die 7000 Hektar Containerflächen im Hafen, bestimmt in Harburgs Binnenhafen Vielfalt das Bild.

Hier stehen windschiefe Fachwerkhäuser neben einem schwarzen Wohnblockgebirge von den dänischen Design-Weltstars BIG. Die älteste Trinkhalle der Stadt, "Kiosk Blohmstraße", hat hier ebenso überlebt wie alte Hafenkräne, Boote und Speicher. Schmuddelecken und silberne Hochhäuser lassen sich gegenseitig gedeihen. Und in dieser vielgesichtigen Wohn- und Arbeitsstadt am Wasser haben auch Wandmalereien eine Heimat, die im restlichen Hamburg kaum noch eine Hausmauer finden. Kuratiert vom Urban Art Institute in St. Pauli wurden 2017 unter dem Titel "Walls Can Dance" Brandwände in eine Freiluftgalerie verwandelt, die seither stetig erweitert wurde.

Verteilt auf einer Strecke von etwa einem Kilometer lassen sich 13 großflächige Arbeiten von internationalen Street-Art-Künstlerinnen und -Künstlern abflanieren. Mal groß und prominent an Ausfallstraßen und in der Fußgängerzone, mal versteckt in einer Sackgasse auf einem Hinterhofparkplatz, breitet diese Umsonst-und-draußen-Malerei die vielen Stile aus, die diese Form von Kunst im öffentlichen Raum entwickelt hat: Von Varianten der 70er-Jahre-New-York-Graffiti über haushohe Porträts von Frauen und garagengroße Igel zu Rätselbildern über das Verhältnis von Mensch und Stadt oder Popversionen mesoamerikanischer Gottheiten.

Neue Fresken einer urbanen Kultur: hier ein Motiv der Freiluftgalerie von Nevercrew. (Foto: Jérôme Gerull/Walls Can Dance)

Wale mit Wolkenhaut springen hier aus einem Stapel von Tiny Houses, ein riesiger Junge, gekleidet in rote Fachwerkhäuser, belebt eine bleiche Kulisse urbaner Emsigkeit, ein Titan in Streifenshirt versenkt sein Gesicht neben einem Kreuzfahrtschiff ins Meer, oder bunte Körper purzeln eine Hauswand hinunter.

Und im Gegensatz zu früher, wo solche Straßenkunst als Vandalismus galt und die Künstlerinnen und Künstler anonym arbeiteten, signieren sie jetzt die Wandverschönerungen und zeigen auf der Projekt-Website wallscandance.de auch ihr Gesicht.

Die Urheber der Werke zeigen sich längst auch selbst, wie hier zwei Mitglieder des Trios Innerfields. (Foto: Jérome Gerull/Urban Art Institute)

Eine Fortsetzung dieser "offiziellen" Mural-Kunst in der Kernstadt kann man sich nach der Tour in Harburg nur wünschen.

Wie diese neuen Fresken einer urbanen Kultur sich aus der Zeichensprache der ersten Sprayer als Kunstform entwickelt haben, lässt sich ab 2. November in einer Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte nacherleben. "Eine Stadt wird bunt": eine wirklich emsige Forschungsarbeit über die Anfangszeit der Hamburger Graffiti-Szene von 1980 bis 1999. Was damals eine von der Polizei gejagte Jungenszene (Mädchen waren die absolute Ausnahme) an Schrift-, Comic- und Grafikstilen entwickelt hat, indem sie nachts Betonwände, Züge und Brücken vollsprühte, das hat länger benötigt, um öffentliche Akzeptanz zu finden.

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Denn das mit einigem Imponiergehabe verbundene Hinterlassen von seriellen Ego-Zeichen in der Stadt war im Auge neutraler Betrachter ein Abenteuer, dessen künstlerischer Mehrwert sich nicht immer sofort erschloss. Und wer einmal in einem Wholecar gesessen hat, also einer S-Bahn, die vollkommen zugesprüht wurde, wird die dunkle Fahrt ohne Aussicht mit einigen Flüchen begleitet haben. Aber in ihrer Breite und Beharrlichkeit, mit den Verbindungen zu Hip-Hop-Musik und verschiedenen Subkulturen, hat diese Bewegung auch in Hamburg eine Kraft entwickelt, die künstlerische Fortentwicklung möglich machte, die nun eher konsensfähig ist.

So gibt es in einem stadtplanerisch arg verhunzten Bürohausstadtteil hinter dem Hauptbahnhof inzwischen auch ein sehr großes Privatmuseum für Streetart, Hammerbrooklyn, in dem der langjährige Chronist der internationalen Sprayerszene, Alex Heimkind, die einstige Outsider-Kultur würdigt - und als Leinwandarbeiten auch verkauft. Für eine Safari in die historischen und aktuellen Gefilde der frechen Wandmalerei gibt es also genügend Orte in der Stadt, bei deren Erkundung man Hamburg außerdem von einer eher wilden Seite kennenlernt. Denn das ist so geblieben: Street Art fühlt sich nur dort zu Hause, wo nicht alles kommerziell gleich aussieht.

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