Hamburg:Vorfahrt für Radfahrer

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Hier ist nur Tempo 30 erlaubt, weswegen kaum noch Autos fahren: die Fahrradstraße an der Außenalster, auch Veloroute 4 genannt. (Foto: Marcus Brandt/picture alliance/dpa)

Neue Velorouten und Schnellwege: Hamburg unternimmt einige Anstrengungen, um Bewohner und Pendler zum Umstieg vom Auto auf das Rad zu bewegen.

Von Till Briegleb, Hamburg

Wer am Neuen Pferdemarkt in Hamburg über die vielbefahrene Kreuzung gelangen will, braucht seit einiger Zeit wieder die Instinkte der freien Wildbahn. Ein ganzes Delta von roten Radwegen, überzogen mit verwirrenden Pfeilen, ergießt sich aus Richtung Altona über den Bürgersteig. Vor allem Fußgänger eilen gehetzten Blickes und den Kopf ständig in alle Richtungen drehend von einer kleinen grauen Gehweginsel zur nächsten. Denn an diesem Kreuzungspunkt aus innerstädtischen Bundesstraßen kommen die Pedalisten mit ordentlichem Schwung Hamburgs neue Veloroute 1 über einen Hang herunter, außerdem mit Tempo von links und verbotenerweise von rechts und natürlich von gegenüber.

Wie an diesem Dreiländereck beliebter Szenequartiere zwischen Sternschanze, St. Pauli und Karolinenviertel das Recht des Schnelleren zur neuen Verkehrspolitik ausgerufen ist, das wirkt wie Urban Jungle in Reinkultur. Dabei ist dieser Stresstest eigentlich ein hoffnungsvolles Zeichen. Hamburg will endlich ernst machen mit dem ewigen Versprechen, eine echte Fahrradstadt wie Kopenhagen, Amsterdam, Münster oder Greifswald zu werden, wo der Anteil der Radverkehrsteilnehmer um die 40 Prozent liegt. In Hamburg sind es 15 Prozent, Tendenz immerhin steigend.

Der Verkehrssenator lässt sich nur noch mit dem Fahrrad ablichten

Wer so viel aufzuholen hat, der braucht im Straßenkampf natürlich sichtbare Ergebnisse. Dafür sorgt seit zwei Jahren Hamburgs erster Senator für Verkehr und Mobilitätswende, Anjes Tjarks. Der Barmbeker Jung mit grünem Parteibuch lässt sich und seine Behördenmitarbeiter nur noch mit dem Fahrrad ablichten, während vor dem Rathaus bei Senatssitzungen weiterhin eine Menge schwerer Dienstkarossen parken. Und er belebt staubige Schubladenkonzepte, genannt: Machbarkeitsstudien, in denen bereits alles versprochen wurde, was zu einer anständigen Mobilitätswende gehört, mit echten Baumaßnahmen.

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14 sogenannte Velorouten führen mittlerweile vom Rathaus sternförmig in alle Richtungen, an immer mehr Stellen tatsächlich auch erkennbar an perspektivisch verzerrten Piktogrammen mit Richtungspfeil auf dem Asphalt sowie roten Warnzonen für Berührungspunkte mit anderen Verkehrsteilnehmern, seien sie potentiell verletzlicher oder tödlicher. Zwar finden sich auf diesen 280 Kilometern Vorfahrtsversprechen noch immer viele Buckelpisten, aufgestemmt vom Wurzelwerk des Stadtgrüns, sowie lange Strecken, auf denen sich Radfahrer und Fußgänger die schmalen Ränder der autogerechten Stadt teilen müssen.

Seit der Pandemie wächst der Mut, den Straßenkuchen neu zu verteilen

Aber seit der Corona-Pandemie, als mit Pop-up-Radwegen auf den Magistralen der Stadt experimentiert wurde, wächst auch beim Hamburger Senat der Mut, den Straßenkuchen neu zu verteilen. Selbst von St. Paulis Spaghetti-Junction am Neuen Pferdemarkt aus zeichnet sich das weitere Fortkommen zu Rad mit gestrichelten Linien auf der Straße ab. Und ein neues "Bündnis für den Rad- und Fußverkehr" unter Führung des Mobilitätswendesenators versprach dieser Tage im Rathaus nicht nur, irgendwann 30 Prozent Radfahreranteile im Stadtverkehr zu erreichen, sondern dafür auch "dort wo es räumlich und verkehrlich möglich ist, Kfz-, Rad- und Fußverkehr voneinander baulich zu trennen - etwa in Form von Protektionselementen."

Denn Rad in der Stadt fährt nur, wer sich dort auch sicher fühlt. Und dazu sollen nicht nur neue Fahrradstraßen dienen wie an der Außenalster, wo ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern gilt, weswegen Autos da fast gar nicht mehr fahren. Neun kreuzungsfreie Fahrradschnellwege bis in die fernen Nachbargemeinden Schleswig-Holsteins und Niedersachsens sollen in den nächsten Jahren gebaut werden und die Pendler aus dem Umland einladen, zur Arbeit in aller sportlichen Nachhaltigkeit zu strampeln. Wenn Hamburgs Verkehrswegezeichner dann auch noch lernen, wie eine pulsberuhigende Großkreuzung aufs Pflaster zu malen ist, dann lässt es sich auch auf der Reeperbahn bald singen: Ja, mir san mit'm Radl da.

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