"Rare Earths" von Tom Sachs:Einmal von Hamburg ins All

Tom Sachs. Space Program: Rare Earths (Seltene Erden)
19 September 2021 - 10. April 2022
Halle für aktuelle Kunst

Offiziell dient die Ausstellung der Vorbereitung auf den vierten "Flug" von Tom Sachs' befrauter Raumfahrt - bei ihm fliegen nur Astronautinnen.

(Foto: Joshua White/JWPictures)

Mit leuchtenden Augen stehen viele Menschen in den Hamburger Deichtorhallen vor dem gigantischen "Space Program" des Künstlers Tom Sachs. Er führt sie in einen wilden Subkultur-Kosmos.

Von Till Briegleb, Hamburg

Nach der ersten Mondlandung im Juli 1969, als die Menschheit restlos elektrisiert war durch Weltraumeuphorie, galten die Saturn-Rakete, die Landefähre, Raumanzüge und alles, was sonst mit den Apollo-Missionen zu tun hatte, als die schärfsten Symbole des Zukunftsoptimismus. Entsprechend begehrt waren diese Objekte des Nasa-Spacetreks als Spielzeug, das allerdings zunächst aus japanischer Produktion kam. Das batteriebetriebene "Apollo Lunar Module" von Daishin mit "4 Automatic Actions", erhältlich 1969 in zwei Größen, dürfte als Geschenk selbst das trotzigste Kind dazu gebracht haben, seine Eltern wieder lieb zu haben, obwohl es eine recht freie Kopie war.

Diese Situation kehrt nun zurück, wenn auch in umgekehrten Größenverhältnissen. Tritt man in die 3000 Quadratmeter große nördliche Deichtorhalle in Hamburg, dann erwartet den Besucher ein US-amerikanischer Kindergeburtstag aus den Siebzigern, bei dem die Kinder geschrumpft sind. Im Zentrum der Halle steht ein "Lunar Module" in den originalen Proportionen der Transporter, die bei den sechs Mondlandungen zum Einsatz kamen. Und bei diesem Anblick wirkt auch manch Erwachsener davor wie ein Kind.

Mit leuchtenden Augen schwelgen viele in Erinnerungen an das Goldene Zeitalter der bemannten Raumfahrt - besonders die Älteren unter ihnen, die noch im Schlafanzug vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher mitfiebern durften, als Neil Armstrong um 03.56 Uhr deutscher Zeit von den Stufen der Eagle als erster Mensch den Mond betrat.

Mit Fertignudeln und Budweiser ins All

Die gigantische Objekt-Schau mit ihren zwölf Stationen vom Welcome zum Mission Control Center ist aber nur auf den ersten Blick reine Nasa-Nostalgie. Das manische Projekt mit Tausenden Objekten zur Raummission des New Yorker Künstlers Tom Sachs, an dem er seit 2007 mit mittlerweile zwei Dutzend Mitarbeitern in seinem Studio in Manhattan arbeitet, hat seine geistige Wiege nämlich nicht nur in Cape Canaveral - sondern vor allem im Hobbykeller. Alles hier ist sichtbar gebastelt, aus Sperrholz, Leim, Holzschrauben, aber auch aus Regenschirmen, Ohrputzern und Sanitärartikeln.

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Sachs verleugnet nie seinen Hang zum Fantastischen und Absurden - und rekonstruiert nur scheinbar den Weltraum-Patriotismus der Nixon-Jahre.

(Foto: Christian Charisius/picture alliance/dpa)

Allerdings ist Tom Sachs nicht der Nachfolger der Streichholzbaumeister, die früher Kathedralen, Flugzeugträger und Mähmaschinen akribisch nachfummelten - obwohl der Perfektionsdrang seiner Sperrholzkopien von Nasa-Dingen auch etwas von diesen Geduldsproben hat. Doch Sachs verleugnet nie seinen Hang zum Fantastischen und Absurden. So baut er in sein "Lunar Module" eine Toilette mit Wasserspülung ein, obwohl die in der Schwerelosigkeit zum Desaster führen würde, ebenso wie die Bar oder die Werkzeugbank mit losen Hämmern und Zangen. Auch eine Verpflegung mit Campbell's-Suppendosen (das sind die, die Andy Warhol einst als Kunst unsterblich gemacht hat), Fertignudeln und Budweiser-Bier ist nicht wirklich weltraumtauglich.

Jeder Schritt, den man sich weiter hineinbewegt in Tom Sachs' "Space Program", bringt einen dem Obskuren, Ironischen, Mehrdeutigen näher. Hier wird nur scheinbar der amerikanische Weltraum-Patriotismus der Nixon-Ära rekonstruiert. Das bezeugt schon der doppeldeutige Ausstellungstitel: "Rare Earth". Offiziell dient diese Ausstellung nämlich der Vorbereitung auf den vierten "Flug" von Sachs' befrauter Raumfahrt (bei ihm fliegen nur Astronautinnen). Ziel der Mission Deichtorhallen ist der viertgrößte und hellste Materialklumpen im großen Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, "4-Vesta", 170 Millionen Kilometer entfernt, 516 Kilometer lang, und angeblich voll mit "Seltener Erde".

"Rare Earth" braucht die Menschheit aber nicht nur dringend für die 1,5 Milliarden neuen Handys, die sie jährlich herstellt. Den Begriff "Seltene Erde" benötigt sie vor allem, um sich endlich darüber klar zu werden, dass nirgends in der Nähe ein Planet Erde 2 zu finden ist, zu dem wir fliegen können, wenn wir Erde 1 endlich kaputt gemacht haben mit unserer wachstumsgläubigen "Verschleiß-Ideologie", wie Sachs es erklärt. Deswegen erzählt diese extrem aufwendige Ausstellung mit Mond-Museum, einer Indoktrinations- wie einer Transsubstantiations-Abteilung, einem Re-Education-Center und einer Galerie für Special Effects gar nicht so sehr von naiver Weltraumsehnsucht, wie es zunächst wirkt. Eigentlich geht es hier um sehr irdische Besinnung auf das Wesentliche. Nicht zufällig ist ein weiteres zentrales Objekt dieser "Mission" ein japanisches Teehaus.

Tom Sachs. Space Program: Rare Earths (Seltene Erden)
19 September 2021 - 10. April 2022
Halle für aktuelle Kunst

Das "Indoctrination Center" - Teil einer Parallelwelt aus Träumen und Albträumen.

(Foto: Genevieve Hanson © Tom Sachs/Genevieve Hanson © Tom Sachs)

Diese Einladung zur Kontemplation über die bedrohte Lebenswelt auf unserem Planeten, durchgeführt mit den Symbolen des Space Age, zeigt sich natürlich besonders in der lustigen Zimmermanns-Mentalität dieses Raumprogramms. Hier werden ausschließlich fluguntaugliche Objekte hergestellt, die nur Als-ob aussehen. Sachs entwickelt aber zusätzlich - ganz im Sinne vieler Science-Fiction-Filme - eine Gesellschaftsideologie rund um seine Nasa-Verehrung. Sein ironisches Modernisierungsprogramm spielt einerseits mit den totalitären Zügen hierarchischer Organisation. Sektenhafte Regeln und militärische Ordnungsphilosophien für sein Studio, genannt "The Code", werden in kurzweiligen Filmen vorgestellt als Satire auf totale Disziplin, die in einer Werkstatt wie in der ganzen Welt herrschen sollte.

Andererseits wird in der Indoktrinationsabteilung der konstruktive Okkultismus der "Church of Satan" als Ideal von Freiheit propagiert. Die von Anton Szandor LaVey 1966 in San Francisco gegründete Religion der Sinnlichkeit, des Respekts und des Individualismus ist zwar in sich eine krude Mischung aus übersteigertem amerikanischen Selbstvertrauen und Sehnsucht nach irdischer Harmonie. Aber damit spiegelt diese Parallelwelt sehr schön die Träume und Albträume jener Epoche aus Sci-Fi-Visionen, Vietnamkrieg und Hippie-Moderne wider. Der neue Mensch der Raumfahrt und der neue Mensch der "Church of Satan" haben erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.

Spiel, Spaß und Spleens

Es gibt viel Erzieherisches in dieser Ausstellung, etwa wenn Mensch sein Handy zerlegen und schreddern lassen kann, damit die Körperseele von ihrer digitalen Kette befreit wird. Oder wenn die Besucher einzeln in schalldichten Räumen einen Moment totaler Transzendenz erleben sollen. Aber das meiste in dieser eindrücklichen Schau ist auch ohne kulturhistorischen Hintergrund oder ernsthafte Bereitschaft, in Tom Sachs wilden Subkultur-Kosmos einzutauchen, verständlich. Denn diese Ausstellung über Inner und Outer Space funktioniert hauptsächlich über Spiel, Spaß und Spleens.

Und durch sehr viele Zitate aus der amerikanischen Popkultur. Rapper wie Wu Tang Clan sind hier als Namensgeber ebenso zu Hause wie Sexspielzeug, Skateboards, Texte von James Brown und viel "Star Wars", vor allem Meister Yoda und Darth Vader, der aus einem Kühlschrank mit Budweiser-Bier beatmet wird. Es gibt Marsgestein aus Beton, eine Saturn-Rakete aus Klopapier, eine Reparaturstation für blutige Finger oder einen Knopf für den "Funken des Lebens". Die Bastel- und Recycle-Kultur der 70er-Jahre wie der schräge Humor aus dem LSD-Zeitalter sind hier mindestens so präsent wie die Kritik am destruktiven Lebensstil der Gegenwart. Und in dieser Fülle der Ideen und Objekte beweist diese "Erde" dann auf sehr sympathische Weise, wie selten und seltsam sie ist.

Weitere Informationen: deichtorhallen.de

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