Süddeutsche Zeitung

Ausgehen in Hamburg:Stadt am Strand

Lesezeit: 5 min

Mit einem Ozean kann Hamburg zwar nicht aufwarten, aber mit Beachclubs. Die gehören zur Stadtkultur - und eröffnen überall: auf Parkdecks oder Anlegern, an der Elbe oder in den Alsterkanälen.

Von Anja Martin

Strandkultur in Hamburg? Es kreuzen keine Barfüßigen mit Board unterm Arm die Straßen. Strandkörbe muss man lange suchen. Schwimmen wird weder in der Elbe noch in der Alster empfohlen. Die Hansestadt liegt nicht mal am Meer. Dafür im kühlen Norden, auch wenn man sagen darf: Es kann im Sommer gewaltig heiß werden. An diesem Tag zum Beispiel.

Möwen kreischen. Barkassen hupen. Hafenkräne ragen in den Himmel. Ein paar Containerschiffe verschwinden am Horizont. All das verfolgt der Gast des Beachclubs Strand Pauli aus dem Augenwinkel, während er vor allem damit beschäftigt ist, in die Sonne zu blinzeln. Hier an der Elbe, zwischen Landungsbrücken und Fischauktionshalle, klingt und riecht Hamburg so, als läge es direkt an der Nordsee; dabei müssen die Kapitäne noch fast hundert Kilometer die Elbe hinunterschippern, bis sie wirklich in See stechen können. Direkt hinter dem Beachclub führen Treppen hinauf nach St. Pauli und auf die Reeperbahn. Anker, Steuerräder und Seemannsbräute mogeln sich bis in die Tattoos der Gäste. Mehr Hamburg geht nicht. Auch nicht mehr Klischee, aber: Es ist alles echt.

Der Sand kommt aus der Heide: Total lokal, versichert der Beachclub-Geschäftsführer

Nur die Zahl der Matrosen, denen man begegnen könnte, hat rapide abgenommen. Dafür wächst die Zahl der Liegestühle. An den Landungsbrücken reihen sich gleich drei Beachclubs aneinander: zwei auf dem Parkdeck (Hamburg Del Mar und Dock 3) und Strand Pauli vorn an der Elbe. Nur ein Geländer trennt die Gäste im Strand Pauli vom Wasser, das weder karibisch blau noch kroatisch glasklar ist, doch es glitzert. Man sitzt unter Schirmen, eine hausgemachte Limonade oder einen eiskalten Mojito in der Hand, lässt sich den Sand durch die Zehen rieseln. Oder kühlt die Sohlen, indem man die Füße hineingräbt. Strandgewohnheiten erwachen beinahe automatisch. Was anders ist: Dieser Sand hat noch nie die Meeresbrandung gespürt. Tatsächlich kommt er aus der Heide.

"Lokal halt", sagt Hendrik Olschewski, der Geschäftsführer von Strand Pauli. Und ja, da hat er recht. Die Heide ist immerhin um die Ecke. Anders als Ibiza oder die Karibik. Sand und Palmen - das braucht's schon fürs Flair. Sonst könnte man das Ganze ja auch Biergarten nennen. Die meisten Beachclubs in Hamburg sind tatsächlich auf gekauften Sand angewiesen, denn natürlicher Strand ist rar, zumindest in der Innenstadt. Der Elbstrand etwa beginnt erst vier Kilometer flussabwärts bei Övelgönne.

"Hamburg hat sich auf die Fahnen geschrieben, dass Beachclubs zur Stadtkultur gehören", erklärt Olschewski, ein gebürtiger Hamburger, 33 Jahre alt, mit Basecap, Shorts und Hoodie. Tatsächlich eröffneten die ersten Beachclubs schon vor 18 Jahren auf Brachflächen, die durch Umstrukturierungen im Hafen entstanden sind. Zuerst kippten Lastwagen ihre Sandladungen am alten Holzhafen ab, dann auf den Parkplätzen des geschlossenen Englandterminals. Immer wieder fanden sich temporäre Ersatzflächen für die Zwischennutzung. Schließlich polierten die Clubs das schlechte Image der Hafenkante auf - und zahlten Miete für ungenutzte Orte.

Strand Pauli musste noch nie umziehen. Seit 16 Jahren existiert er, zwölf Jahre davon hat Hendrik Olschewski miterlebt. Er sitzt mit aufgeklapptem Notebook am Bartisch im Restaurant, das wirkt wie eine Strohhütte. Hinter ihm hängt eine mit Palmen bemalte, geflochtene Matte. Überhaupt wirkt die Einrichtung wild zusammengesammelt, selbstgemacht, lässig. Überall gibt es etwas zu sehen, viele Details, die Strandstimmung transportieren. Inklusive handgeschriebener Sinnsprüche, wie etwa an der Selbstbedienungstheke: "Ohne Schlange kein Paradies." Das bewusst Temporäre gehört natürlich zum Beachclub-Style. Dass immer Architekten dahinterstecken - und alles abgenommen und statisch berechnet ist, im Grunde Jahrzehnte halten könnte -, versteht sich von selbst.

Anfangs jobbte Olschewski nur während seines Hotel- und Tourismusstudiums im Strand Pauli, seit diesem Jahr ist er alleiniger Geschäftsführer. Was denkt er, warum die Beachclubs in Hamburg so gefeiert werden? "Wir leben ja in einem Zeitalter, in dem Menschen in Städte ziehen, in Ballungszentren leben, da will man auch mal den Horizont sehen, statt in Straßenfluchten zu blicken, eine Auszeit nehmen von der Drei-Zimmer-Wohnung", glaubt Olschewski. "Allein diese 400 Meter über die Elbe zu schauen, gibt schon Weite."

Monkey Beach, das heißt: kein Schnickschnack und bitte relaxen!

Acht bis zehn Prozent des Hamburger Stadtgebietes bestehen aus Wasser. Zum Hafen und der Elbe kommen in der nördlichen Innenstadt die 164 Hektar große Außenalster sowie viele Kanäle, die sich in die Wohnviertel schieben. Manche verlaufen ganz urban zwischen Hausfassaden, andere hinter Villengärten. Wer etwa an der lauten Mühlenkampbrücke in Winterhude aus dem Bus steigt, muss nur ein paar Stufen hinunter zum Anleger - und die Stadt ist weit weg. Straßen sind plötzlich Wasserstraßen, statt Autos verkehren SUPs, Kanus und Schlauchboote. Die Bordsteinkante weicht einem grünen Ufer.

Hier auf dem Anleger liegt Monkey Beach: Das besteht aus einer Außenbar, Topfpalmen, Strandliegen, Spaghettisesseln - und Menschen, die entspannt übers Wasser blicken oder dem Treiben darauf zuschauen. Langweilig wird es nicht, seit der Corona-Pandemie ist auf dem Wasser noch mehr los als schon zuvor. Manche im Beachclub sind selbst Kanuausflügler auf Paddelpause. Nach einem Getränk steigen sie nicht zur Straße hoch, sondern klettern am kleinen Holzsteg wieder in ihr Gefährt, gleiten in den Osterbekkanal, den Hofwegkanal oder den Langen Zug, einen Ausläufer der Außenalster. Anderen beim Wassersport zuschauen - auch das hat was von Ferienstrand.

Allerdings fehlt ein Baustein komplett: Sand. Stattdessen sitzt man hier auf einem Antirutschbelag - eine Auflage der Stadt. "Sand auszubringen, haben wir tatsächlich mal überlegt, aber das wiegt zu viel", sagt Bastian Rößler, der Betreiber. Verständlich, denn der hölzerne Anleger steht lediglich auf Stelzen im Kanal. Aber auch so besitzt es für den 37-Jährigen mit Tattoos und Undercut die wichtigsten Attribute eines Beachclubs: "Es hat Urlaubsflair. Es ist grün. Es ist entspannt. Man kommt nur auf eine Stunde und vergisst die Zeit." Das sei überhaupt das größte Kompliment für ihn, "wenn die Leute die Zeit vergessen". Offenbar suchen die Gäste an diesem Ort genau das: eine lässige Zone statt eines schicken Cafés. Innovative Drinks, Sitzen in Bodennähe, Selbstbedienung. Als Rößler den Anleger 2018 übernahm, wollte er es anders machen als die eher schicken Vorgänger, und daher brauchte er auch unbedingt einen neuen Namen: Monkey Beach statt Fiedler's, wie es davor hieß.

Der Clubname versetzt einen direkt in die Tropen, außerdem steckt für Rößler eine Art Motto drin: Gastronomen sollten sich nicht zu ernst nehmen, das wirke affig. Also immer ganz entspannt bleiben. Mit Getränken kannte er sich aus. Immerhin hat er noch eine Bar in Eimsbüttel (Mr. Ape) und ist Sommelier. Fürs Essen holte er einen Restaurantbetreiber dazu, der im Obergeschoss Poke Bowls anbietet, die man sich, per Piepser erinnert, an die Liege holt. Das hawaiianische Nationalgericht, eine Reisschale mit rohem Fisch und Toppings, passt natürlich perfekt zu einem Beachclub, zu Getränketafeln in Surfboard-Form, zu exotischem Mobiliar und gesprayten Hibiskusblüten.

Verkannter Surfer? Wassersportfreak? Kommt er mit dem SUP zur Arbeit? Er lacht: "Nee, nee. Ich schaue gern aufs Wasser, aber das war's dann auch." Und da geht es ihm wie den meisten, die ihre Freizeit in den Beachclubs der Stadt verbringen. Das Wasser beruhigt, entspannt und lässt einen von den Ferien träumen. Die Clubs sind kleine Fluchten in der eigenen Stadt und Ruheinseln für pausebedürftige Touristen. Seit der Öffnung nach dem Lockdown werden sie auch gern genutzt, um die Pandemieblässe zu vertreiben. Auch das Monkey Beach war lange zu. "Wir haben Corona doll gespürt", sagt Rößler. Zwar konnten sie im vergangenen Sommer aufmachen, mit Beschränkungen und Abstand, aber das komplette Wintergeschäft ist ausgefallen.

Wintergeschäft für Beachclubs? Das Monkey Beach fährt im Winter die Markise aus, nutzt die Innenräume mit. Auch Strand Pauli braucht den Winter: "Wir richten im Grunde sieben Wochen lang Weihnachtsfeiern aus", sagt Olschewski, normalerweise. Nun darf man sich offenbar gleich von zwei Gedanken verabschieden: dass Beachclubs nur am Meer funktionieren. Und dass sie ausschließlich eine Sache des Sommers sind.

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