Hafenstadt Marseille:Fischsuppe und große Kunst

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Viele Côte-d'Azur-Fans behaupten, das Schönste an Marseille sei die Nähe zu St. Tropez und Nizza. Was für ein Irrtum.

"Französische Großstadt mit zweifelhaftem Ruf, neun Buchstaben?" - das ist einfach: Marseille. Die Mittelmeer-Metropole haben viele deutsche Touristen gar nicht auf der Liste - es sei denn als Fährhafen oder als Einflugschneise in die Provence.

Dabei lohnt sich ein Zwischenstopp. Denn die älteste und zweitgrößte Stadt Frankreichs hat durchaus ihre charmanten Seiten, und in der Umgebung lässt sich einiges entdecken, was nicht alle anderen Südfrankreichurlauber längst auch schon gesehen haben.

Die Côte-d'Azur-Fans, die behaupten, das Schönste an Marseille sei die Nähe zu St. Tropez und Nizza, umfahren die Stadt gleich. Dabei gibt es bereits auf dem Weg ins Zentrum einiges zu sehen: Die heilige Maria mit Kind zum Beispiel leuchtet schon von weitem von der Spitze der Kirche Notre Dame de la Garde. Fast zehn Meter hoch ist die vergoldete Statue auf der Basilika, die in gut 155 Metern Höhe den La-Garde-Hügel überragt.

Angenehm bummeln lässt es sich rund um den Vieux Port, den alten Hafen, in dessen Nähe die Geschichte der Stadt um 620 vor Christus als Gründung griechischer Seefahrer begonnen hat. Heute haben dort zahllose Yachten festgemacht.

Auch die Ausflugsschiffe zu den Frioul-Inseln legen hier ab. Restaurants gibt es eins am anderen, nicht zuletzt solche, in denen Spezialitäten der Region serviert werden - wie die Original-Bouillabaisse mit Rouille genannter Knoblauchmayonnaise, die auf Brot gestrichen in die Fischsuppe gegeben wird.

Das Tolle an Marseille ist aber, dass die Stadt so viele Gesichter hat. Nur ein paar Schritte vom Vieux Port entfernt ist man schon in den Einkaufsstraßen, die kaum einen Wunsch offen lassen.

Und wieder nur fünf Minuten weiter haben Spaziergänger den Eindruck, in einem multikulturellen Paralleluniversum gelandet zu sein: Ein koscherer Schlachter hat seinen Laden gegenüber dem Händler mit "Spécialités orientals", der Datteln, Couscous und Basmatireis in großen Tüten verkauft. "Chez Salem" heißt das Geschäft in der Nachbarschaft. Und in der Patisserie nebenan gibt es sogar Baklawah - keine andere Stadt Frankreichs hat einen so hohen Anteil nordafrikanischer Zuwanderer wie Marseille. An den Marktständen um die Ecke werden Honigmelonen, Tomaten, Artischocken und Ingwer-Knollen aus großen Kartons verkauft.

Auch die Umgebung der Stadt hat ihre Reize, nicht nur wegen der mehr als 50 Kilometer Küste, davon rund 20 mit Calanques genannten Felsenbuchten. L'Estaque zum Beispiel ist nicht weit entfernt, im 16. Arrondissement noch auf Stadtgebiet. Viel los ist dort nicht. Die Ausflügler aus Marseille kommen nur am Wochenende an den Strand - und Touristen auch dann eher selten.

"Es ist eigentlich noch immer ein Dorf", sagt Isabelle Baudoin. Im 19. Jahrhundert war es ein Badeort, wo betuchte Bürger Urlaub machten. Dann erreichte die Industrialisierung die Küste. "Rund 300 Fabriken gab es in und um L'Estaque, für Zement, für Fliesen, zur Herstellung von Soda", erzählt die Kunsthistorikerin. Die meisten davon sind inzwischen geschlossen.

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