"Habana Libre" in Kuba:Im Hotel der alten Kämpfer

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Hier sind alle Gäste gleich, nur Fidel nicht: Das "Habana Libre" war einst Hauptquartier der kubanischen Revolution - ein Rückblick auf 50 Jahre Geschichte.

Christoph Oellers

Breitbeinig und mit verschränkten Armen steht Raúl Trelles im Foyer des "Habana Libre". Gerade so, als gehöre ihm das Hotel: rotes Sakko, schwarze Hose, rot-blau gestreifte Krawatte über gletscherweißem Hemd, das sich bäuchlings mächtig spannt. Aufmerksame Augen hinter Goldrandbrille und nass nach hinten gekämmtes, pechschwarzes Haar verstärken den direktorialen Habitus. Dabei ist er nur einer von 530 Angestellten.

Trelles ist aber der Einzige, der schon dabei war, als Kubas Diktator Fulgencio Batista zusammen mit dem damaligen Hausherrn Conrad N. Hilton vor fünfzig Jahren ein rauschendes Fest zur Einweihung gab. Nationale wie internationale Prominenz - etwa Elizabeth Taylor - reisten damals an. Drei Bands spielten in den Tanzsälen auf, die Tische bogen sich vor Kaviar und Champagner.

Batistas Diktatur, die korrupt und brutal zusammen mit der italo-amerikanischen Mafia das Volk seit mehreren Jahren niedergehalten und ausgebeutet hatte, ging zu Ende. Die Eröffnungsansprache geriet Hotelier Hilton unfreiwillig zum Abgesang nicht nur auf Batista, sondern auf die vergangenen 60 Jahre, auf Jahrzehnte, in denen die USA maßgeblich die Geschicke Kubas bestimmten: Der Hotelier bezeichnete sich in seiner Rede als zweiten Entdecker Kubas - nach Columbus versteht sich.

Gewiss: Er schuf 1300 neue Arbeitsplätze in einem Jahr, in dem die Arbeitslosenquote auf 18 Prozent gestiegen war. Auch Trelles war damals froh, dass er als Schulabgänger hier untergekommen ist, gerade mal 16 geworden. Dennoch: Von den 21 Millionen Dollar Baukosten des neuen Hotels - das luxuriöseste, größte und modernste Kubas, das höchste Gebäude Lateinamerikas - hat Hilton gerade mal 1,3 Millionen aus eigenen Mitteln finanziert. Fast das Fünffache hat der Rentenfond der Hotelangestellten aufgebracht.

Nummern statt Namen

Trelles macht eine wegwerfende Handbewegung. "Von dem kamen doch nur die Tischdecken und die Servietten, auf denen überall sein Name stand." Die erste Zeit war für Trelles hart, zumal er nur auf Probe eingestellt worden war. Statt Namensschildern wie heute trugen die Angestellten an ihren Uniformen Nummern. "Wenn wir einen Fehler gemacht haben, hat der Vorgesetzte nur die Nummer aufgeschrieben."

Sein Herz schlug schon in dieser Zeit weniger für seinen Arbeitgeber als für die Guerilleros um Fidel Castro, die seit Ende 1956 in den Bergen der Sierra Maestra ihren Kampf gegen das Batista-Regime führten. Er hörte heimlich Radio und tauschte mit Freunden Neuigkeiten vom Frontgeschehen aus. Selbst als Castro am 8. Januar 1959 in Havanna einzog, entfernte er sich nicht von seinem Arbeitsplatz. Er bekam Castro in der Nacht noch zu Gesicht.

Der hatte sich das avantgardistische und unverbrauchte Hilton als Hauptquartier ausgesucht. Auf Fotos in der Eingangshalle sieht man seinen Voraustrupp: müde, bärtige Krieger, die sich mit ihren Gewehren in den Sesseln und Sofas des Foyers fläzen. Die Bilder erinnern an Fotos von GIs aus Saddams erobertem Präsidentenpalast in Bagdad 2003. Nur: die GIs schliefen nicht.

Trelles war 1959 in der Cafeteria tätig, die damals wie heute rund um die Uhr geöffnet hat. Er reichte dem Comandante en Jefe einen Kaffee mit einem Glas Wasser. "Er war sehr nett", sagt er. Von seinen Augen sei etwas Besonderes ausgegangen. Trelles spricht vom 8. Januar wie von einem Tag der Erlösung. "Das war der beste Tag überhaupt. Wir waren glücklich." Und Castro war für ihn der Gast, der bis heute alle überragt hat. Sonst seien alle Gäste gleich, egal ob berühmt, bedeutend, reich oder ganz normal. Nur Fidel nicht.

"Ich kann mir aussuchen, wo ich hier arbeite", sagt Trelles. Er sei ja nur geblieben, weil ihn die spanische Hotelführung vor einigen Jahren inständig darum gebeten habe. Seit 1997 ist das Hotel wieder in ausländischen Händen, wenngleich das kubanische Tourismusministerium noch 51 Prozent der Anteile hält. Trelles verzieht sein Gesicht. Das "Habana Libre", das seit der Hilton-Enteignung im Juni 1960 so heißt, habe in den 1990er Jahren seinen Status als erstes Hotel der Stadt verloren. An das "Plaza" und an das "Cohiba", das auch zur Solmelia-Gruppe gehört, und an das "Nacional", den Koloss aus den 1930er Jahren.

Das "Habana Libre" ist nur noch ein Abglanz alter Herrlichkeit. Bis vor einem Jahr war Trelles Chef des Nachtdienstes und musste sich ständig mit Beschwerden der Gäste herumschlagen: da eine Dusche ohne Wasser, dort ein Fenster, das klemmt. Das Hotel ist trotz Hochsaison nur mäßig besetzt. Es ist lieblos und etwas billig in den 1990er Jahren renoviert worden. Im Foyer ist der gemusterte Marmorboden einem einfarbigen gewichen, der Ebenholzlauf an der Treppe zum oberen Stockwerk schlichtem Edelstahl, die Ledermöbel haben rattanartigen Stühlen Platz gemacht.

Dazu passt, dass die Suite, die Castro am 8. Januar 1959 bezogen hatte und von der aus er die ersten drei Monate das Land regierte, auch heute nur schwer für Gäste zugänglich ist. Man muss davon wissen und sich mühsam durchfragen, um sie besichtigen zu dürfen.

Der inoffizielle Mietpreis für eine Übernachtung soll im vierstelligen Euro-Bereich liegen, denn die Suite "La Castellana" ist die einzige, die noch im Originalzustand von 1958 belassen ist: sieben Zimmer mit drei Balkonen, die einen phantastischen Ausblick über die Stadt gewähren; bunt bezogene Möbel auf zarten Beinen, ein Schreibtisch, der ein bisschen nach schwedischer Importware aussieht, ein riesiges Bett, das etwas barock wirkt. Hier soll Castro die ersten Revolutionsmonate über die Geschicke des Landes befunden haben, hier soll er bis in die 1960er Jahre gewohnt, hier seine deutsche Geliebte geschwängert haben?

"I am Cuba"

Trelles schüttelt den Kopf und zuckt mit den Schultern: "Es ist das falsche Stockwerk. Ich habe es den Spaniern damals gesagt." Castro habe im 23. und nicht im 22. Stock residiert, wo man die Castellana-Suite heute gezeigt bekommt. Aber so ist das, wenn historische Wahrheit vom jahrhundertelangen Beherrscherland der Insel einfach mal tiefer gelegt wird. Von Marita Lorenz hingegen will Trelles nichts wissen.

Castro hat Ende Februar 1959 die deutsche Kapitänstochter im Hafen von Havanna mit den Worten "I am Cuba" erobert und sie dann wenig später zu sich ins Hotel geholt. Ansonsten seien nur Celia und Fidelito da gewesen: Castros Kombattantin, Privatsekretärin und Lebensgefährtin Celia Sánchez und der Sohn aus seiner einzigen ehelichen Beziehung. Castros engste Vertraute - Bruder Raúl, Camilo Cienfuegos und Ernesto Guevara - hätten hingegen der Sicherheit wegen woanders genächtigt.

Trelles weist mit seinem Kinn hinüber zur Treppe, die gerade ein junger Mann im weißen Anzug besteigt, umringt von einem halben Dutzend Bodyguards. Ein Sänger aus der Reggaeton-Szene, der gleich einen Auftritt im Hotelclub hat. "Lächerlich, wie wichtig die sich nehmen." Raúl Castro etwa sei, bevor er die Amtsgeschäfte und die Ämter von seinem Bruder übernommen hat, nur mit Fahrer und Enkel als Bodyguard unterwegs gewesen. Fidel, sagt Trelles, habe das "Habana Libre" auch deswegen so geschätzt, weil es für ihn sicher gewesen sei. Er habe das Foyer meiden können, indem er vom Parkdeck, wo er seinen Jeep abstellte, mit dem Aufzug direkt in seine Gemächer gefahren sei.

Dennoch ist Castro Anfang der 1960er Jahre hier vermutlich zwei Anschlägen entgangen. Einmal wollte sich Marita Lorenz im Auftrag der CIA bei ihrem früheren Geliebten, den sie für ihre Abtreibung verantwortlich machte, mit zwei todbringenden Schellfischkapseln rächen, brachte es jedoch nicht übers Herz. Das andere Mal wollte ein Hotelangestellter in der Cafeteria zwei Pillen in Fidels Milchshake mixen. Die Pillen waren jedoch im Gefrierschrank festgefroren. Für Trelles ist es unglaublich, dass der Attentäter mit zwanzig Jahren Haft davonkam.

© SZ vom 20.03.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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