Schottland:Der Fish-and-Chips-Pionier

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Der Schotte Calum Richardson hat 2006 sein Restaurant "The Bay" eröffnet. (Foto: Stewart Attwood)

Schellfisch in Backteig ist das britische Nationalgericht. Besonders beliebt ist ein Imbiss in einem kleinen Ort in Schottland - wo auch schon Schokoriegel frittiert wurden.

Von Evelyn Pschak

Stonehaven in Schottland, 25 Kilometer südlich von Aberdeen gelegen, ist schon ein besonderes Küstenstädtchen. Erst einmal sieht alles ganz normal aus, oder besser gesagt wie aus dem Bilderbuch: Die trutzigen Bauten aus Granit oder Sandstein staffeln sich entlang einer perfekt geschwungenen Nordseebucht. Der "Haar", wie man hier den Nebel nennt, der vom Wasser aufs Land rollt, taucht die Uferpromenade in silbrig-körniges Licht. Etwas außerhalb steht Dunnottar Castle spektakulär auf einem Felsen aus rotem Sedimentgestein; durch die Gänge eilte im Mittelalter der Freiheitskämpfer William Wallace, später dann Mel Gibson in der Rolle des Hamlet. Es gibt ein Art-déco-Freibad mit auf 29 Grad geheiztem Meerwasser, das alljährlich im Juli zum Aqua Cèilidh lädt, einem Festival mit Live-Musik, bei dem die Teilnehmer im Wasser stehend traditionelle Tanzfiguren ausführen. Und am Cowie Shore, zwischen Golfklub und Altstadt, hat der Hobbyarchäologe und Busfahrer Mike Newman den Pneumodesmus newmani, eine Art Tausendfüßler aus dem Paläozoikum, gefunden.

Man sieht, der 11 000-Einwohner-Ort hat einiges zu bieten. Auch kulinarisch machte die Stadt schon in den 90er-Jahren von sich reden: Hier wurde der Deep Fried Mars Bar erfunden, der frittierte Marsriegel - DFMB unter Kennern. Was es nicht ganz einfach macht, zu glauben, dass in Stonehaven ausgerechnet ein Fast-Food-Laden vom Reiseführer Lonely Planet 2018 zum besten "Essenserlebnis" Großbritanniens gekürt wurde. Ein Schnellimbiss? Ja. Aber was für einer.

The Bay gehört Calum Richardson. Der Schotte ist in Stonehaven aufgewachsen und hat mit seinem 2006 eröffneten Fish-and-Chips an der Strandpromenade seines Heimatorts jetzt schon mehr Preise erhalten, als er in den schmalen Laden hängen könnte: "Viele Menschen halten es gar nicht für möglich, dass jemand gerne in einem Fish-and-Chips arbeiten würde - schon das wollte ich ändern", sagt der 46-Jährige.

Der enge Gang zur Theke ist durch Trennbänder unterteilt, um das Anstellen zu erleichtern, also stellt man sich in die Schlange für Schellfisch und Pommes für umgerechnet 5,30 Euro, die hausgemachte Tartar-Sauce zu 70 Cent oder den Erbsenstampf Mushy Peas zu 1,40 Euro, was fast normale Preise sind. Tag für Tag reichen 16 Angestellte mit schwarzen Häubchen rund 1000 Portionen "battered haddock", also Schellfisch in Backteig, mit grob geschnitzten Pommes über den Tresen. Der Teig, von einem Kritiker des Guardian als "geschmeidige Hülle, die leicht am Fisch haftet wie ein Hemd aus Seide" umschrieben, besteht hauptsächlich aus Mehl, Reismehl, Backtriebmittel und Salz und wird von Richardson an sämtliche Streitkräfte Großbritanniens geliefert, auch an die Navy, bei der er neun Jahre lang gedient hat. In seinem Shop am Strand von Stonehaven verkauft er die blauen Päckchen mit der pulverigen Teigmischung ebenfalls.

Der Laden brummt. Und das hat natürlich auch mit den Auszeichnungen zu tun: 2013 erhielt der Autodidakt den "National Fish and Chips Award" - sein Laden wurde damit zum besten unabhängigen Take-away des Königreichs gekürt. Dazu kamen mehrfach Preise für Nachhaltigkeit im Restaurantbetrieb sowie die Wahl zum schottischen Food and Drink Pioneer 2018. Es ist eine reife Leistung, sich als Neuerer in einem Gewerbe hervorzutun, dessen Erzeugnis, eingeführt vor rund 160 Jahren, als Nationalgericht der Briten gilt - bereits Charles Dickens schrieb in "Oliver Twist" über frittierten Fisch. Derzeit gibt es rund 10 500 "Chippies" im Vereinten Königreich. Das sind fast zehnmal so viele wie McDonald's dort Filialen unterhält.

Der Laden "The Bay" liegt an der Strandpromenade des Fischerdorfes Stonehaven. (Foto: imago/alimdi)

Wenn man ihn fragt, wie er zum Fish-and-Chips-Pionier werden konnte, wird Calum Richardson erst einmal antworten, "das wüsste ich auch gern", aber natürlich ist er sich seiner Vorreiterrolle bewusst: 2012 war seiner der erste britische Fast-Food-Laden überhaupt, der lokalen, MSC-zertifizierten Schellfisch ins Angebot nahm. Seit rund drei Jahren ist auch sein Kabeljau zertifiziert, als nächstes sollen die Scampi folgen. Im Laden gibt es nur kompostierbares Bio-Einweggeschirr. Das ist im Ankauf teurer: Eine aus Pflanzenstärke produzierte Verpackung kostet 25 Pence, herkömmliche Schnellimbisse investieren in ihre Wegwerfschachteln nur acht Pence. Geputzt wird mit speziellen Reinigungsfasertüchern und Wasser, ohne Chemikalien. Außerdem teilt er sein Wissen als Tutor beim Nationalverband der Fischfrittierer und unterrichtet hin und wieder bei der School of Frying Excellence in London, einer Trainings-Akademie für angehende Chippie-Besitzer.

Seit sieben Jahren unterhält Calum Richardson zudem eine eigene App, über die man Informationen zu seinen Zulieferern auf dem Fischmarkt von Peterhead aufrufen kann, sich das Fischerboot finden lässt, mit dem die Tagesware reinkam, oder man die Herkunft der Kartoffeln bis zur Abbey Farm in der englischen Grafschaft Lincolnshire zurückverfolgt. Wer sich den Tag verderben will, fragt über die App auch gleich die Kalorien ab: Eine kleine Portion Pommes schlägt mit 671 Kilokalorien zu Buche, ein kleiner Schellfisch im Backteig hat 322 Kilokalorien.

2012 war sein Restaurant der erste britische Fast-Food-Laden überhaupt, der lokalen, MSC-zertifizierten Schellfisch ins Angebot nahm. (Foto: Martin Chiffers)

Wenn man mit der Schachtel voll goldgelb Frittiertem den Laden wieder verlässt und kein Plätzchen mehr an den schweren Holztischen vor dem Eingang findet, setzt man sich eben runter an den Kieselstrand.

Vor ein paar Wochen, erzählt Richardson dort, den Blick aufs sacht schwappende Meer gerichtet, sei die BBC da gewesen, diesmal nicht, um über Backteigschellfisch zu berichten, sondern um das Rätsel des mysteriösen Künstlers zu lösen, der seit einigen Jahren seine Skulpturen entlang der Strandpromenade auf Stahlpfählen im Boden verankert. "Stonehavens Banksy" würde man ihn inzwischen schon nennen, freut sich der Schotte. Aber auch das Reporterteam habe nicht herausgefunden, wer der Urheber der geschweißten Schiffskörper ist, auf denen seefahrende Nage- und Meerestiere allerlei nautische Aufgaben übernehmen. Das sei inzwischen ein Dauerwitz im Städtchen, fügt der Ladenbesitzer hinzu: Fragt einer, "Weißt du, wer es ist?", müsse man auf jeden Fall entgegnen, "Ah, ich weiß es nicht". Vermutlich lebe der Künstler ein paar Häuser weiter Richtung Cowie Shore, sagt Calum Richardson. Ach, wo denn genau? "Ah", sagt er grinsend. "I don't know."

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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