Griechenland:See ohne Grenzen

Reeds along the shore of Lake Prespa

Der große Prespasee scheint unendlich, trotzdem wähnten sich viele Einheimische am Ende der Welt. Ein komplizierter Konflikt, aufgeladen mit Ängsten und Nationalismen, hemmte die Entwicklung der Region.

(Foto: All mauritius images)

Prespa in Griechenland war ein vergessener Landstrich und gefangen im Namensstreit um Mazedonien. Doch die Pelikane scherten sich nicht um Schlagbäume - und jetzt sehen auch die Menschen neue Chancen.

Von Christiane Schlötzer, Prespa

Eines ist geblieben, etwas, das selten geworden ist in unserer Zeit: ein Gefühl, dass hier alle Wege enden. Wer nach Prespa kommt, die schier unendliche Wasserfläche von oben erblickt, von der gewundenen Bergstraße aus, die von Florina herführt, der wundert sich erst über die unerwartete Weite dieser Landschaft im Norden Griechenlands. Wer dann aber hinunterfährt in dieses flache Becken, zu dem großen und dem kleinen See, der befindet sich auf einmal in einer abgeschlossenen Welt, beschützt von hohen Bergen, die auf mehr als 2000 Meter ansteigen.

"Es schien selbst mir so, als sei hier die Welt zu Ende, wenn ich nach einer kurzen Reise zurückkehrte", schrieb der griechische Biologe Giorgos Catsadorakis in seinem Buch "Prespa". Da lebte der Mann aus Athen schon Jahre in diesem lange fast vergessenen Landstrich, dessen Abgeschiedenheit einst Fluch und auch Segen war.

Zuletzt war viel von Prespa die Rede, weil am Ufer des großen Prespasees im Dorf Psarades ein Abkommen unterzeichnet wurde, das einen fast 20 Jahre währenden Streit belegte. Es war ein komplizierter Konflikt, aufgeladen mit alten Ängsten und neuen Nationalismen. Die Griechen lehnten den Staatsnamen Mazedonien für ihren Nachbarn ab, weil so auch ein großer Teil Griechenlands heißt. Seit Februar heißt das benachbarte Balkanland offiziell Nordmazedonien. Die Wiese, wo das Zelt für die feierliche Unterschriftszeremonie stand, ist wieder eine leere sattgrüne Fläche. Die Fischrestaurants nebenan servieren Karpfen, eine lokale Spezialität.

Die Pelikane standen kurz vor der Ausrottung. Heute gibt es schon mehr als 1000 Paare

Die Fische haben sich nie an die Grenzen im Wasser gehalten, nicht an die nach Norden, und auch nicht an die nach Westen, zu Albanien. Drei Länder teilen sich diese Region, die Dreiteilung war oft ein Problem. Aber alle nennen das ganze Gebiet Prespa, wie auch den großen und den kleinen See. Die Griechen sagen auch Prespes, so heißt eine Gemeinde am Ufer.

Bevor man sich mit der Historie beschäftigt, lohnt ein Blick in den Untergrund, auf die Geologie, denn auch hier verlaufen unsichtbare Grenzen. Sie wirken wie ein Spiegel der Geschichte. "Das mediterrane Plateau trifft hier auf das zentraleuropäische, für das Klima gilt das Gleiche", sagt Myrsini Malakou, die Direktorin der Society for the Protection of Prespa, kurz SPP. Das ist ein Zusammenschluss von griechischen und internationalen NGOs, die sich dem Schutz der Region verschrieben haben. "Diese Seen existieren seit sechs bis sieben Millionen Jahren, sie gehören zu den ältesten in Europa, Pflanzen und Tiere haben hier über lange Zeit hinweg ihre eigenen Formen entwickelt, und viele sind gefährdet", sagt die Biologin.

Die SPP hat ihren Sitz in einem sorgfältig restaurierten Natursteinhaus in der Ortschaft Lemos. Malakou verteilt Wanderkarten, die Beschriftung in Englisch und Griechisch. Auch mit dem Fahrrad sind viele Trails befahrbar. Sie führen ans Wasser und in die Berge, in alte Zedern- und Eichenwälder. Höhlen, in die sich orthodoxe Mönche während der langen Herrschaft der Osmanen zurückzogen, sind mit dem Schiff erreichbar.

Zu Fuß über eine Pontonbrücke wiederum geht es auf die Insel Agios Achillios im kleinen Prespasee, wo eindrucksvolle byzantinische Kirchenruinen stehen. Auf der kleinen Insel gibt es keine Autos. Auch wer die Höhle sehen will, die in den letzten Monaten des griechischen Bürgerkriegs als Feldhospital diente, muss zu Fuß gehen. Der Bürgerkrieg dauerte von 1946 bis 1949, in den schwer zugänglichen Bergen von Prespa verlief die letzte Front der Kommunisten. Am Ende blieb den Andarten, den kommunistischen Partisanen, nur die Flucht nach Norden, in die Länder des Ostblocks auf dem Balkan, und viele Dorfbewohner zogen mit, aus Angst vor Vergeltung.

"Diese Region", sagt Myrsini Malakou, "hat viele Kriege erlebt, immer wieder wurden Menschen vertrieben, andere wanderten zu, hier haben sich viele Kulturen vermischt." Es kamen nomadische Viehzüchter, die mit den Seen nichts anzufangen wussten, sie wollten auf die Bergweiden. Griechen vom Schwarzen Meer wiederum, die einst aus dem heute türkischen Trabzon vertrieben wurden, interessierten sich in Prespa für das Ackerland, sie nahmen das Wasser aus den Seen. Das erboste die Fischer. In den 70er-Jahren emigrierten viele nach Deutschland, weil es schien, als habe Prespa in seiner Abgeschiedenheit überhaupt keine Chance.

Dass es anders kam, hat mit den Pelikanen zu tun, majestätischen Vögeln, die vor der Ausrottung standen. Sie hatten hier Zuflucht gesucht. Der Schweizer Zoologe Luc Hoffmann, einer der Gründer des WWF, entdeckte in Prespa in den 70er-Jahren die wohl letzte Kolonie Krauskopfpelikane, 50 Paare. Hoffmann war ein Mäzen, sein Großvater der Gründer des Pharmaunternehmens Hoffmann-La Roche. "Er überredete die griechische Regierung, damals die Militärjunta, hier den Prespa-Nationalpark einzurichten." Dies geschah, aber die Obristen in Athen hatten sich nicht darum bemüht, den Leuten in Prespa zu erklären, was ein Nationalpark ist. "Feuchtgebiete hatten für die Menschen hier keinen Wert, sie wurden als Abfallhalden benutzt." Die Regierung baute eine Fischfabrik, um die Abwanderung aus der Region zu stoppen. "Das ging alles schief", sagt Malakou.

Bald soll es wieder einen Übergang zum Nachbarn geben. Der heißt jetzt Nordmazedonien

Auch die NGOs hatten es am Anfang schwer, den Naturschützern wurde unterstellt, sie folgten "fremden Interessen". Die Biologen aber suchten das Gespräch, und Myrsini Malakou kann nicht vergessen, wie sie einen Fischer beobachtete, der auf eine seiner Fischfallen zufuhr. Dort hatten Pelikane ihr Nest gebaut. Gewöhnlich haben die Fischer die Vögel vertrieben. "Auf einmal machte er den Bootsmotor aus und nahm die Ruder." Der Fischer ließ das Nest in Ruhe. "Das war sehr berührend, nach so viel Aggression und Konflikten, die wir erlebten."

Heute gibt es 1300 Pelikanpaare, und die Art ist nicht mehr vom Aussterben bedroht. Es gibt Kolonien an vielen Orten auf dem Balkan und in Griechenland. Im Jahr 2000 haben die drei Staaten, die sich die Region Prespa teilen, gemeinsam einen grenzübergreifenden Park errichtet. Geschaffen wurde auch ein Koordinationskomitee aus NGOs, Vertretern von Gemeinden und Ministerien. Die Luc-Hoffmann-Stiftung, der Mäzen starb 2016, unterstützt die Naturschützer bis heute. "Prespa war ein großes Problem, nun hat die Region viele Chancen", sagt Myrsini Malakou.

"Wo kommst du her?" - "Vom Ende der Welt"

Ein paar Probleme bleiben aber noch. Die Abwanderung zum Beispiel. 1200 Menschen leben im griechischen Teil von Prespa, verteilt auf zehn Dörfer. "Für die Kinder ist es nicht einfach", sagt Irini Koutseri. Ihr Sohn ist neun Jahre alt, die Tochter zwölf, ihre Klassenkameraden leben über verschiedene Dörfer verteilt. "Immer mit denselben Kindern zusammen zu sein, das macht sie stark als Team", sagt Koutseri, "aber ihr soziales Leben ist doch sehr begrenzt." Irini Koutseri und ihr Mann Giorgos Diakopoulos haben in Lemos eine alte Wassermühle restauriert und in ein Gästehaus verwandelt. Es war eines der ersten kleinen Hotels hier, inzwischen gibt es noch ein paar mehr. Die Mühle hat der Großvater von Giorgos 1922 gebaut, einst gab es hier viele Mühlen, weil es so viele Bäche gibt.

Im schattigen Innenhof erzählen die beiden von den schwierigen Anfängen in Prespa. Diakopoulos hat als Lehrer an Gymnasien Technikunterricht gegeben, bevor er beschloss, an seinen Geburtsort zurückzukehren. Er baute dann Bohnen an, was viele hier machen. Und er stellte auf biologische Produktion um, was noch eher selten ist. Dicke Bohnen sind eine Grundzutat der mediterranen Küche, die aus Prespa gelten als besonders schmackhaft, sie sind weit über die Region hinaus bekannt. Irini Koutseri hat in Großbritannien als Biologin gearbeitet, bevor sie sich hier in die Landschaft und in Giorgos verliebte. Sie ist heute für die Gesellschaft zum Schutz von Prespa tätig.

"Das war hier ja wie in einer Sackgasse", sagt Giorgos Diakopoulos. Um auf die andere Seite der Grenze zu kommen, in das Land, das nun Nordmazedonien heißt, "musste ich 150 Kilometer fahren". Eigentlich ist es immer noch so, weil es keinen direkten Grenzübergang gibt, der soll aber bald entstehen, nur ein paar Kilometer von der alten Mühle entfernt.

Giorgos Diakopoulos erzählt, wie er einmal "drüben" war, in einem Dorf auf der nordmazedonischen Seite. Da saßen ein paar alte Männer am Straßenrand, auf ihre Stöcke gestützt, "so wie unsere Großväter". Er hat einen der Alten gefragt, ob man in der Nähe etwas essen könne, er hatte ja eine lange Reise hinter sich. "Wo kommst du her?", fragte der Alte zurück. Giorgos sagte: "Vom Ende der Welt." Da sagte der Alte: "Und ich bin vom anderen Ende der Welt." Auch die Naturschützer müssen bislang noch lange Umwege nehmen, wenn sie ihre Kollegen im Norden treffen wollen. Deshalb warten nun viele auf die Öffnung der Grenze, die mit dem griechisch-nordmazedonischen Abkommen versprochen worden ist. Bis Mitte der 60er-Jahre gab es sogar einen Übergang, nah am Ufer des großen Sees. So sagt Diakopoulos. Er ist 55 Jahre alt, er weiß es von seinem Vater.

Man kann den alten Schlagbaum noch finden, er ist krumm und schief, aus Metall, aber gebogen wie ein verwitterter Ast. Daneben steht ein grauer Grenzstein, aus der Zeit, als es noch das Land Jugoslawien gab. Man kann auf die Betonstraße hinter den Schlagbaum treten und einfach ein Stück laufen. Irgendwann kommt ein flaches Gebäude, es beherbergte einst die Zollstation. Dann links ein Flaggenmast mit der Fahne Nordmazedoniens, eine stilisierte Sonne in Gelb und Rot. Und rechts ein blaues Grenzhäuschen. Es ist leer. In der Wiese daneben liegt ein Jeep, ohne Räder.

Es taucht dann doch ein Grenzbeamter auf, fragt verdutzt: "Und wohin wollen Sie?" Wer fürchtet, nun werde es ungemütlich, hat sich getäuscht. Der Grenzschutzbeamte lädt zum Kaffee ein, ins Dienstgebäude. Drinnen bullert ein Ofen, die Tage in Prespa können auch im Sommer kühl sein. Auf einem Flachbildschirm läuft eine Musikshow. Der Beamte heißt Alexander, er hat eine freundlich-füllige Figur. Er bringt den Kaffee in Mokkatassen, süß und stark, erzählt von seinem Sohn, der in Deutschland studiert, die Tochter hat auch große Pläne. Grenzen, so meint der Grenzer Alexander irgendwann, seien doch eigentlich überflüssig. Wichtiger sei, dass Menschen einander begegnen könnten.

Für den Rückweg nach Griechenland bietet Alexander seine Begleitung an, als Schutz nimmt er Sweety mit. So heißt sein Hund, der Mischling ist ihm vor fünf Jahren zugelaufen. Von der anderen Seite. Zurück wollte Sweety nicht mehr. Alexander ist froh über den griechischen Freund.

Reiseinformationen

Anreise: Flug nach Thessaloniki. Von dort auf der gut ausgebauten Egnatia-Autobahn bis Kozani, weiter Richtung Florina, wo die Cafés am Fluss einen Besuch wert sind. Danach Richtung Prespa.

Übernachtung: Ganzjährig geöffnet ist das Xenonas (Gasthaus) in Lemos, in einer umgebauten alten Mühle, ab 50 Euro mit Frühstück, milos_prespa@yahoo.gr;

Wanderkarten gibt es bei der Society for the Protection of Prespa in Lemos, www.spp.gr Sehenswert: Der Ort Agios Germanos neben Lemos mit restauriertem Dorfkern und schönen alten Kirchen.

Essen: Berühmt sind die Prespa-Bohnen. Gerichte daraus gibt es im Restaurant Agios Achillios auf der gleichnamigen Insel im kleinen Prespa-See. Lokale Karpfen serviert man in Psarades, am großen See.

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