Gesundheit:Utopia im Kühlregal

"Functional Food" verspricht gesunden Genuss ohne Reue.

Die Zeiten sind vorbei, in denen man in den Supermarkt ging und dort einfach einkaufte, wonach einem der Sinn stand. Die Mischung machte es schon und um das schlechte Gewissen zu beruhigen, legte man zum Schluss noch ein wenig Obst und Gemüse in seinen Einkaufswagen.

Gesundheit: Functional Food heißt heutzutage die Devise. Zusatzstoffe in den Lebensmitteln sollen die Gesundheit fördern.

Functional Food heißt heutzutage die Devise. Zusatzstoffe in den Lebensmitteln sollen die Gesundheit fördern.

(Foto: Foto: AP)

Inzwischen aber ist Einkaufen zur Wissenschaft geworden. Und das Gesundheits- Alibi kann man viel leichter bekommen. In Supermarktregalen, die mehr und mehr denen aus fernen Galaxien gleichen, wird das gute Gewissen gleich mitgeliefert. Da, wo man über Joghurts nicht mehr mit der Frage "Kirsch oder Erdbeer?" sinniert, sondern sich "LC1 oder Pro3+?" fragt, gibt es das wohlige Extra mit dazu. Was lecker ist, soll nicht mehr dick machen und schädlich sein. Leckeres soll vielmehr der Fitness erst so richtig auf die Sprünge helfen. So sollen "probiotische" Joghurts mit den flotten Kürzeln den Dickdarm auf Trab bringen, weil sie mit lebenden Michsäurebakterien angereichert sind. Die bunten "ACE-Drinks" mit ihren zugesetzten Vitaminen A, C und E, die freie Radikale fangen, sollen Herzinfarkt, Krebs und sogar das Altern verhindern. Den Cholesterinspiegel senkt die Margarine "pro activ" mit ihren Phytosterinen und der Joghurt "ProCult", in den Johanniskraut und Melisse hineingemischt sind, soll seinen Esser beruhigen.

Joghurt goes Hightech

All diese eigentlich unbezahlbaren Dinge kann man einfach kaufen, so die Botschaft der Hersteller. Um Herz, Darm und Nervenkostüm Gutes zu tun, muss man seine Lebensgewohnheiten kein bisschen ändern. Man muss sich nicht mehr bewegen oder einen Apfel essen, auf den man keine Lust hat. Es genügt, im Supermarkt auf die modernsten Verpackungen zu achten: Denn so technokratisch wie die Markennamen der neuzeitlichen Lebensmittel sind, so futuristisch sehen diese auch aus. Zusammen heißen sie "Functional Food" und ver- sprechen dem Verbraucher eben einen zusätzlichen Nutzen über die reine Ernährung hinaus. Wenn er sich vom meist hohen Preis nicht schrecken lässt.

Bessere Lebensmittel wären zweifelsohne ein lohnendes Ziel. Immerhin, so schätzt das US-Gesundheitsministerium, gehen fünf der zehn häufigsten Todesursachen auf schlechte Ernährung zurück. Herzkrankheiten, Diabetes und manche Krebserkrankungen gehören dazu. Die Nahrungsmittelindustrie tut derzeit alles dafür, die Menschen Glauben zu machen, dass ihre Hightech-Produkte das auf natürliche Weise ändern können. Und die Krankenkassen haben nichts dagegen. Denn wer seinen Cholesterinspiegel mit der selbstgekauften Drei-Euro-Margarine "pro activ" senkt, der lässt sich vermutlich nicht auch noch Cholesterinsenker vom Arzt verschreiben.

Dass Functional Food indes tatsächlich die Ernährung verbessert, halten Fachleute für unwahrscheinlich: "Der Verbraucher will weiter bequem essen, ohne sich viele Gedanken darüber zu machen und gleichzeitig sein Gewissen beruhigen", sagt der Ernährungspsychologe Volker Pudel von der Universität Göttingen. "Im Ergebnis ernährt man sich genauso ungesund wie vorher oder gar noch schlechter, weil man meint, dass man genug getan hat. Außerdem bekommen an sich ungesunde Lebensmittel wie Fanta durch Vitamin-C-Zusatz noch ein Gesundheitsimage."

Ungeachtet dessen ist der vermeintliche Genuss ohne Reue der Verkaufsschlager der Lebensmittelindustrie. In Deutschland werden schon heute rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr mit Functional Food umgesetzt, vor 15 Jahren wechselte dagegen noch kaum eine Mark wegen aufgepeppter Lebensmittel den Besitzer. Im Jahr 2010 sollen die Designer-Lebensmittel gar ein Viertel des gesamten Nahrungsmittelmarkts ausmachen.

Utopia im Kühlregal

Die Deutschen sind damit zufrieden. Die meisten von ihnen sind dafür, sich tagtäglich den Eindruck von ein bisschen Gesundheit im Supermarkt zu kaufen. Die besten Kunden der Food-Designer sind die Töchter und Söhne der Öko- Generation, die keine Lust mehr auf die Müslis und Rohkostteller ihrer Eltern haben. Sie ernähren sich lieber von den verbotenen Obsessionen ihrer Kindheit, den Tiefkühlpizzas und Fischstäbchen; gleichzeitig aber wissen sie, dass das frische Gemüse, das ihre Eltern ihnen predigten, seinen Sinn hatte. Gesund werden durch Designer-Essen findet diese Generation deshalb immer noch besser, als Pillen zu schlucken. Gleichgültig, dass Functional Food genauso künstlich ist, wie es klingt.

Gesundheit: Margarine wie "pro activ" helfen, den Cholesterinspiegel zu senken.

Margarine wie "pro activ" helfen, den Cholesterinspiegel zu senken.

(Foto: Foto: DPA)

Die Hersteller träumen derweil von japanischen Verhältnissen. Denn im Land der aufgehenden Sonne wird Functional Food schon seit über 50 Jahren begeistert konsumiert. Schokolade gegen Durchblutungsstörungen ist dort ebenso im Angebot wie Fertigsuppen gegen Haarausfall und Kaugummi gegen Darmkrebs. Der Marktführer ist bezeichnenderweise ein Pharma-Unternehmen namens Otsuka Pharmaceuticals. Vor einem solchen Mischmasch graut Hans Konrad Biesalski, Ernährungswissenschaftler an der Universität Hohenheim. "Solange es nur eine cholesterinsenkende Margarine auf dem Markt gibt, ist alles in Ordnung. Aber wenn auch noch der Joghurt, der Müsliriegel und die Fertig-Paella Phytosterine enthalten, muss man den Gehalt der einzelnen Produkte senken." Sonst drohe die Gefahr, dass ein besonders gesundheitsbewusster Techno-Food-Kunde mehr als die verträgliche Dosis aufnimmt. Seit kurzem nehmen Biesalskis Sorgen reale Formen an: Neben der Diätmargarine gibt es jetzt auch Milchgetränke, Joghurts und Joghurtdrinks mit pflanzlichen Cholesterinsenkern im Kühlregal.

Je mehr Functional Food auf den Markt kommt, desto eher werden nach Ansicht des Forscheres auch gesetzliche Regelungen erforderlich. Schnell nämlich könnte das Essen mit Zusatzwirkung auch ein Essen mit Nebenwirkung werden. Schließlich weiß niemand, was die hoch dosierten Beimengungen im Kör- per alles anrichten. Manche Fachleute warnen bereits vor den negativen Folgen der aufgepeppten Lebensmittel. Zwar müssen in der EU die neuen Lebensmittel ab dem 21. Oktober gekennzeichnet werden. Höchstmengen für Zusatzstoffe aber sind nicht vorgesehen.

Dabei ist längst belegt, dass diese sehr wohl auch unerwünschte Folgen haben können. Zu hohe Dosen an Vitamin B erhöhen zum Beispiel bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko; Phytosterine können bei regelmäßigem Konsum den Spiegel an wertvollem Beta-Carotin im Blut senken und selbst die so harmlos erscheinenden probiotischen Joghurts haben mitunter negative Folgen: Bei manchen Menschen mit einem geschwächten Immunsystem schädigt die Invasion der zugefütterten Lebewesen die körpereigene Darmflora.

Die Ernährung des Menschen ist viel zu komplex, als dass Wissenschaftler sie gut genug verstehen würden. Das aber wäre eine Voraussetzung, wenn man sie gezielt beeinflussen will. "Schon bei den althergebrachten Lebensmitteln ist kaum bekannt, welche ihrer Inhaltsstoffe dem Körper wirklich gut tun", sagt Biesalski.

Utopia im Kühlregal

Gesundheit: Lecker soll nicht mehr dick machen, sondern fit. Ob es irgendwann einmal die Fitness-Currywurst gibt, bleibt eine offene Frage.

Lecker soll nicht mehr dick machen, sondern fit. Ob es irgendwann einmal die Fitness-Currywurst gibt, bleibt eine offene Frage.

(Foto: Foto: AP)

Bis heute weiß man nicht einmal, ob die viel gepriesenen Ballaststoffe wirklich das Risiko für Dickdarmkrebs senken. Schon aber werden sie in alle möglichen Lebensmittel gemischt. "Es gibt sogar ein Mineralwasser, das mit Ballaststoffen angereichert ist", weiß der Ernährungswissenschaftler. Selbst auf der Suche nach dem bekannten Krebsschutz aus der Tomate sind die Forscher noch nicht wirklich fündig geworden. Schon lange ist bekannt, dass Tomaten vor Prostatakrebs schützen können und vermutlich ist der Stoff Lycopin aus dem Gemüse der Wunderheiler. Aber ob isoliertes Lycopin wirklich Gutes tut, wenn es der Nahrung künstlich beigemengt wird, ist völlig unklar. "Bevor wir Lebensmittel mit allem möglichen anreichern, sollten wir erst einmal herausfinden, was überhaupt die wirksamen Bestandteile sind", sagt Biesalski.

Von der Margarine zum Arzneimittel

So lässt sich denn auch kaum eines der hehren Versprechen der Functional-Food- Hersteller halten. Zu jeder Studie, die einem Lebensmittelzusatzstoff eine Wirkung bescheinigt, gibt es auch eine Gegenstudie. Eine Ausnahme bildet da die gut untersuchte "pro activ"-Margarine. Der Hersteller Unilever hat Millionen aufgewendet - schließlich konnte er beweisen, dass die in der Margarine enthaltenen Phytosterine tatsächlich den Cholesterinspiegel um gut zehn Prozent senken können. Allerdings bleibt offen, ob dadurch auch das Infarktrisiko sinkt. Das will Unilever auch gar nicht so genau wissen. Denn sonst müsste der Konzern seine Margarine als Arzneimittel verkaufen: ein langer und aufwändiger Zulassungsprozess wäre die Folge und "pro activ" gäbe es nur noch in der Apotheke.

Wie bei den meisten Produkten bleibt somit auch bei der Anti-Cholesterin- Margarine offen, worauf sich der Verbraucher einlässt. "Im Grunde wird ein Medikament als Lebensmittel verkauft", kritisiert der Ernährungspsychologe Pudel. "Wenn die Entwicklung so weitergeht, muss man künftig vor der Fahrt zum Supermarkt einen Arzt konsultieren."

Vor allem sei unklar, wie sich der Cholesterinsenker auswirkt, wenn man ihn jahrzehntelang mit Frühstück und Abendbrot zu sich nimmt. "Wir wissen viel zu wenig über die Langzeitwirkung", beklagt Biesalski. "Am besten für die Gesundheit ist es, vor dem Frühstück an seinen zu hohen Cholesterinspiegel zu denken, zum Supermarkt zu laufen, um sich die Phytosterin-Magarine zu kaufen, dort zu denken ,Die ist mir zu teuer' und wieder zurück zu laufen."

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