Süddeutsche Zeitung

Reisegepäck:Folge mir unauffällig, treuer Rollkoffer!

Vier Studenten aus Saarbrücken haben einen selbstfahrenden Koffer entwickelt - er soll nicht nur all jenen das Leben erleichtern, die immer zu viel Gepäck dabei haben.

Interview von Eva Dignös

Koffer sind gegen technische Innovationen erstaunlich resistent. Seit Jahrhunderten - oder vielleicht auch schon seit Jahrtausenden, niemand weiß es so recht - packen Reisende ihre Habseligkeiten in verschließbare Kisten. Immerhin, dieser Fortschritt sei nicht unterschlagen, müssen sie ihr Gepäck nicht mehr schleppen. 1972 meldete der US-Amerikaner Bernard Sadow den Rollkoffer zum Patent an, damals noch mit Schlaufe zum Hinterherziehen. Ein Update bekam der Trolley in den 80ern mit dem Teleskopgriff. Und seitdem? Fanden die technischen Revolutionen des digitalen Zeitalters eher in anderen Lebensbereichen statt.

Das könnte sich bald ändern. Vier Studenten der Universität des Saarlandes in Saarbrücken haben einen Koffer konstruiert, der nicht mehr gezogen oder geschoben werden muss, sondern seinem Besitzer ganz automatisch auf Schritt und Tritt folgt. In dieser Woche präsentieren sie ihn in Berlin bei einem Technikwettbewerb für Studenten. Warum diese Entwicklung mehr sein könnte als ein originelles Gadget, erläutert Joshua Summa, Student im Fach "Systems Engineering", der den "Smartcase" zusammen mit seinen Kommilitonen Till Mertin, Nick Kempel und Joshua Arens gebaut hat.

SZ: Herr Summa, wollen Sie die wenigen Gepäckträger, die es noch gibt, arbeitslos machen? Oder wie entstand die Idee für den selbstfahrenden Koffer?

Joshua Summa: Ganz am Anfang stand eigentlich nur die Idee, ein Modul zu entwickeln, das einen Nutzer verfolgen kann.

Das klingt jetzt noch ziemlich theoretisch. Wie kam der Koffer ins Spiel?

Es sollte eine Anwendung sein, mit der möglichst viele Menschen etwas anfangen können. Reisende haben oft alle Hände voll mit Reiseunterlagen, Handgepäck, Jacken. Da ist es doch praktisch, wenn sie nicht auch noch den Koffer ziehen müssen. Oder denken Sie an Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer. Ihnen könnte das System den Gepäcktransport enorm erleichtern.

Wie bringe ich einen Koffer dazu, mir zu folgen?

Das System beruht auf den Messungen mehrerer Sensoren: Eine Kamera erkennt denjenigen, dem sie folgen soll, und erfasst seine Bewegungen. Drei Ultraschallsensoren messen permanent Entfernungen und helfen, Hindernisse zu erkennen. Die Messdaten werden von einem Mikroprozessor ausgewertet, der entsprechende Befehle an die Elektromotoren in den Rädern des Koffers weitergibt.

Aber bleibt dann überhaupt noch Platz für Hose, Hemd und Unterwäsche?

Das geht schon, die Technik braucht nicht so viel Raum. Alle Teile zusammen nehmen ungefähr den Platz von zwei nebeneinander gelegten Händen ein.

Es ist ja schon für einen Menschen nicht ganz leicht, sich in einem vollen Flughafen oder Bahnhof unfallfrei durchs Gedränge zu bewegen. Der intelligente Koffer kann da Schritt halten?

Ganz so weit sind wir noch nicht, den Prototypen haben wir bisher nur unter Laborbedingungen und nicht an einem Flughafen oder Bahnhof getestet. Vor allem die Bilderkennung der Kamera müssen wir noch weiterentwickeln. Im Moment erkennt sie nur einen Farbcode und noch keine Personen.

Also nur blaue Pullover zum Beispiel?

Eine Folge von Farben. Wenn man die auf seiner Kleidung trägt, dann fährt der Koffer hinterher. Wir haben uns im ersten Schritt vor allem auf den Antrieb und die Abstandsmessung konzentriert. Die Personenerkennung wird der nächste Schritt.

Mein Koffer fährt mir also nicht in die Hacken, wenn ich plötzlich stehenbleibe?

Ja, dafür gibt es die Ultraschallsensoren. Sie sorgen dafür, dass der Koffer abbremst.

Hat die Kofferindustrie schon Interesse signalisiert?

So weit sind wir noch nicht. Wir müssen jetzt erst einmal den Prototypen zur Marktreife bringen.

Und in ein paar Jahren rollt niemand seinen Koffer mehr selbst?

Das wäre doch praktisch! Wir können uns auch noch eine ganze Reihe weiterer Funktionen für einen smarten Koffer vorstellen.

Zum Beispiel?

Eine Diebstahlsicherung würden wir noch gern einbauen. Wird der Koffer im Fahrtmodus entwendet, geht ein Alarm los. Mit einem integrierten GPS-Signal könnte man den Koffer tracken. Auch ein Fingerabdrucksensor zum Entsperren ist vorstellbar. Und vielleicht können Koffer irgendwann sogar miteinander kommunizieren.

Und was teilen die sich dann mit?

Denkbar wäre, dass mehrere Koffer hintereinander herfahren. Das erste Gepäckstück folgt dem Besitzer und die anderen bilden dahinter eine "Koffer-Schlange".

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