Georgiens alte Städte:Im Schatten des großen Nachbarn

Georgiens Kulturstätten erzählen von der reichen Geschichte und dem Erbe des Landes vor der Sowjetzeit.

Von Irene Helmes

Wenn Sturmböen über die Felsen von Uplisziche fegen, passiert es leicht, dass Besuchern etwas davonfliegt. Auch deshalb, weil das Panorama zu sehr ablenkt, um auf Mitgebrachtes zu achten. Der Blick reicht weit von diesem Plateau im Kaukasus, auf das Tal des Flusses Kura bis zu den Bergketten am Horizont. Und in der Mitte: die vom Wetter geschliffenen Reste einer der ältesten Siedlungen Georgiens.

Von der Bronzezeit bis in die Neuzeit lebten Menschen in den Höhlen, die sie in die Felsen geschlagen hatten. Schon vor der Christianisierung wurden verschiedenste Götter dort angebetet. Immer wieder war der strategisch wichtige Ort umkämpft, im 13. Jahrhundert fielen die Mongolen ein. Heute klettert man fast ungestört durch die erdfarbene Geisterstadt. Läge all das mitten in Europa, würden sich längst Besuchermassen drängeln.

Georgiens alte Städte: Seit 1994 gehören die religiösen Bauten von Mzcheta zum Unesco-Weltkulturerbe - darunter auch das Dschwari-Kloster.

Seit 1994 gehören die religiösen Bauten von Mzcheta zum Unesco-Weltkulturerbe - darunter auch das Dschwari-Kloster.

(Foto: Irene Helmes)

Viele Reisende interessieren sich vor allem für Georgiens wilde Natur. Seine Geschichte wiederum liegt verstreut zwischen den Gipfeln und Weinbergen, der sonnigen Schwarzmeerküste und der Hauptstadt. Aber schon während einer einzigen Tagesfahrt von Tiflis aus ist eine kleine Zeitreise durch die Ex-Sowjetrepublik möglich.

Nördlich von Uplisziche liegt Gori - so nah an der umstrittenen Region Südossetien, dass die Stadt 2008 Ziel russischer Luftangriffe war. Ausgerechnet hier steht auch eines der irritierendsten Relikte der Sowjetherrschaft: das Josef-Stalin-Museum. Das ärmliche Häuschen, in dem der spätere Diktator 1878 als Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili zur Welt kam, wurde noch zu seinen Lebzeiten von Schutzmauern umgeben, dahinter erhebt sich ein bombastischer Bau. Dort überdauern in schummrigen Sälen historische Objekte wie seine Büroeinrichtung, eine der originalen Totenmasken sowie teils unbeschreiblicher Sowjetkitsch - eine Tischlampe zum Beispiel, auf deren Sockel ein Soldatenfigürchen die Fahne aus einem goldenen Panzer hält. Die Georgier haben seit 1989 heftig gestritten, was aus dem Ort des einstigen Personenkults werden soll. Bisher wurde wenig verändert, sodass das Museum selbst als Zeitdokument gelten darf. Ein zwiespältiger Anblick, der zeigt, wie das 20. Jahrhundert das Land immer noch umtreibt.

Georgiens alte Städte: SZ-Karte

SZ-Karte

Umso größer ist in Georgien der Stolz auf die Welterbestätten. Auf einem Berg am Zusammenfluss von Kura und Aragwi etwa steht das Dschwari-Kloster schwindelerregend nah am Abgrund. Es ist doppelt sehenswert: wegen der ältesten Kreuzkuppelkirche des Landes, erbaut um 600, und der Aussicht auf die historische Hauptstadt Mzcheta. Deren wunderbare Lage wird von oben besonders deutlich, ihre Silhouette ist - anders als bei ihrer Nachfolgerin Tiflis - von der Moderne nahezu unberührt. Unten, in der fast tausendjährigen Swetizchoweli-Kathedrale, zeigen vergoldete Wandgemälde, Mosaike, feine Schnitzereien und Grabplatten die ganze Pracht orthodoxer Sakralkunst. Priester schreiten singend durch Seitengänge. Nur wenige Hügel weiter kommen in Tiflis alle Kontraste der Jahrhunderte in einem wilden Mix zusammen. Es gibt noch viel zu lernen über das lange fast übersehene Georgien.

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