Süddeutsche Zeitung

Gegen den Strom:Volle Ostern

Die Ferien bringen dieses Jahr besonders viele Touristen. Manche Urlaubsorte gehen mit neuen Ideen gegen die Überfüllung an.

Von Jochen Temsch und Eva Dignös

Ostern ist die Zeit der Freude, und besonders großen Anlass dazu haben alle, die vom Tourismus profitieren. Mit den Feiertagen im Frühjahr beginnt die Urlaubssaison. Die zweiwöchigen Schulferien in den meisten Bundesländern nutzen viele Deutsche für ihre erste längere Reise des Jahres. Dieses Mal scheint die Lust darauf besonders groß zu sein. Weil die Feiertage auf einen relativ späten Termin fallen, der viel Sonne und warme Temperaturen verheißt, wagen sich auffallend viele auch in eher raue heimische Gegenden. Der Deutschland-Tourismus boomt. Im vergangenen Sommer war das Wetter so gut, dass viele Deutsche lieber zu Hause blieben als weiter weg zu reisen. Mit einem ähnlichen Effekt rechnen die Touristiker jetzt zu Ostern. Vergangenes Jahr hat es an den Feiertagen vielerorts noch geschneit. Dieses Jahr gab es in Mecklenburg-Vorpommern und in Schleswig-Holstein so viele Vorbuchungen und man erwartet dort so viele Kurzentschlossene, dass die Tourismusverbände von einer sehr hohen Auslastung an Nord- und Ostsee ausgehen. Auch die beliebten deutschen Metropolen stellen sich auf einen Besucheransturm ein. Berlin, das übers Jahr 13,5 Millionen Ankünfte zählt, erwartet allein im Zeitraum vom Karfreitag bis Ostermontag etwa zwei Millionen Touristen aus dem Inland und aller Welt.

Doch in Berlin wie auch in anderen europäischen Städten, etwa Barcelona, Florenz, Rom, Venedig, Amsterdam oder Dubrovnik markiert Ostern auch wieder den Auftakt einer neuen Runde Overtourism, also zu viel des Guten. Der Überdruss zeigt sich in diesen von Billigfliegern, Tagesausflüglern und Kreuzfahrtpassagieren gleichermaßen überrannten Orten in Lärm und Verschmutzung, steigenden Mieten, verstopften Straßen und überhaupt im schlechten Gefühl vieler Einheimischen, dass die Stadt nicht mehr ihnen gehört und dass sie keinen Nutzen, nur Lasten vom Tourismus haben. Auch Reiseveranstalter und Reedereien haben die Gefahr der Überfüllung inzwischen erkannt. Sie fürchten, dass genervte Urlauber als Kundschaft abspringen. Der Weltverband der Kreuzfahrtindustrie Clia ließ unlängst verlautbaren: "Eine Destination, die nicht gut für ihre Bewohner ist, kann auch nicht gut für ihre Besucher sein." Das Problem wird in Zukunft noch größer werden. Die Zahl der Touristen wächst weltweit aufgrund des steigenden Wohlstands - aber die Anzahl der Reiseziele bleibt ungefähr gleich. Der Städtetourismus ist das international am stärksten wachsende Segment der Branche. Die Überfüllung der Städte ist eine zwangsläufige Folge dieser Entwicklung.

Vielerorts gibt es dieses Jahr neue Lösungsversuche. Sie sind je nach Situation des Ortes unterschiedlich und reichen von Eintrittsgebühren, die über die Stadtreinigung und Investitionen in die Infrastruktur den Einheimischen zugute kommen sollen, über die Begrenzung von Kreuzfahrtschiffen und Ausflugsbussen bis zur Sperrung ganzer Stadtviertel und Sehenswürdigkeiten. Dazu soll die strenge Reglementierung der Vermittlung privaten Wohnraums über Internetportale wie Airbnb Abhilfe schaffen. Informationen für Touristen und die Lenkung der Besucher, etwa über Apps, sollen auf überlastete Sehenswürdigkeiten, auf ruhigere Besuchszeiten und alternative Aktivitäten aufmerksam machen. Hinter all diesen Maßnahmen steckt ein Gedanke: Destinationen sollen besser gemanagt, Touristen besser verteilt werden. Kein Urlaubsort will ganz auf Touristen verzichten, ihr Geld ist überall willkommen. Besonders viel geben die Bayern aus: im Schnitt pro Osterreise 2482 Euro, wie eine Erhebung des größten deutschen Reiseveranstalters Tui ergeben hat, die restlichen Deutschen investieren nur 2110 Euro.

Auslands-Reiseziel Nummer eins der Deutschen an Ostern ist - wie zu jeder anderen Jahreszeit auch - Mallorca, gefolgt von den Kanaren und anderen sonnigen Baderegionen Spaniens. Die Türkei und Ägypten sind ebenfalls wieder unter den aktuellen Favoriten der Deutschen, allerdings nicht so beliebt wie Urlaub in der Heimat.

Raus aus Amsterdam

Bierbikes sind jetzt verboten, ebenso Alkohol auf der Straße, Wildpinkeln, Grölen - und ab 2020 auch Gruppenführungen durchs Rotlichtviertel. Die Strafen kassieren Ordnungshüter an Ort und Stelle. Amsterdam reagiert damit auf Respektlosigkeiten, die der Massentourismus mit sich bringt. Ein bisschen erziehen und vor allem besser verteilen will man die Touristen auch. Die werden nun gelockt an den "Amsterdam Beach", die Nordseestrände von Zandvoort und Bloemendaal, eine halbe Fahrstunde außerhalb der Stadt. Auch Kastell Muiderslot, 15 Kilometer südöstlich gelegen, ist aufgepeppt zum "Amsterdam Castle". Und der selfietaugliche "I amsterdam"-Schriftzug steht nicht mehr vor dem Rijksmuseum, sondern wandert durch die Stadt.

Eintritt für Venedig

Die ganze Stadt ist ein einziges Museum - und dafür wird künftig Eintritt fällig. Drei Euro sollen Tagesbesucher in Venedig bezahlen, so ein Beschluss vom Februar. Ab 2020 können es je nach Saison und Gedränge bis zu zehn Euro werden. Mit dem Geld will Bürgermeister Luigi Brugnaro Instandhaltung und Reinigung der Stadt finanzieren. Vor allem die Kreuzfahrtpassagiere hat man wohl im Blick, die in großen Gruppen durch enge Gassen drängen, aber, so die Klage von Souvenirshop- und Restaurantbetreibern, kaum Geld ausgeben. Die lukrative Hochsaison scheint sich die Stadt aber entgehen zu lassen. Anstelle des zunächst genannten Starttermins 1. Mai ist nun vom 1. September die Rede. Touristen, die in Venedig übernachten, bezahlen bereits jetzt eine Ortstaxe.

Benehmen in Mallorca

Der Strandabschnitt Balneario 6 in Palma de Mallorca, besser bekannt als Ballermann, ist - je nach Sichtweise - Partyhimmel oder Saufhölle. Mit einer Reihe von Benimmregeln geht die Stadtverwaltung seit Jahren gegen Alkohol-Exzesse vor, zum Schutz der Anwohner und wohl auch mit Blick auf das Image der Ferieninsel, die der Saufgäste zunehmend überdrüssig geworden ist. Jetzt wurden die Vorschriften verschärft: An der legendären Schinkenstraße darf seit 1. April nur noch im Lokal und nicht mehr auf der Straße getrunken werden. Entlang der Playa de Palma gilt ein Werbeverbot für Alkohol, eine "Happy Hour" darf es nicht mehr geben. Strafen von bis zu 3000 Euro können verhängt werden - man werde allerdings "mit Augenmaß vorgehen", erklärte ein Sprecher der Stadt.

Schuhe in Cinque Terre

Fünf malerische Orte kleben an der ligurischen Steilküste, bunte Häuser ziehen sich die Hänge hinauf. Schmale Wanderwege verbinden die typischen Dörfer der Cinque-Terre-Region an der italienischen Riviera - in der Hauptsaison herrscht dort gern auch mal Fußgängerstau. Das liegt nicht nur am Andrang, sondern manchmal auch an der falschen Ausrüstung: Immer wieder müssen überforderte Flip-Flop-Träger mit dem Hubschrauber gerettet werden. Wer im Nationalpark Cinque Terre mit Badeschlappen erwischt wird, solle deshalb künftig zwischen 50 und 2500 Euro Strafe zahlen, kündigte der Parkdirektor an. Man wolle allerdings nicht gleich kassieren. Zunächst sollen die Touristen über eine angemessene Wanderausrüstung aufgeklärt werden.

Moos-Schutz in Island

Der Name der Schlucht klingt so verwunschen, wie sie aussieht: Fjaðrárgljúfur heißt der rund zwei Kilometer lange Canyon im Süden Islands. Moos und Flechten hüllen die Felsen in einen grünen Pelz, für Touristen ein höchst fotogenes Ziel. 2015 ließ sich Justin Bieber dort für das Video zu seinem Song "I'll Show You" in Szene setzen. Seit seinem Tanz über die grünen Felsen verdoppelte sich die Zahl der Besucher in der Schlucht auf fast 300 000 im Jahr. Solange sie auf den Wegen bleiben, ist das für das Ökosystem gerade noch zu verkraften. Im Frühjahr aber, wenn der Schnee taut, das Wasser jedoch noch nicht abfließt, wenn die Schuhe tief im Matsch versinken, dann zerstören die Besucher das Grün abseits der Wege - die Schlucht wurde deshalb jetzt bis 1. Juni geschlossen.

Zahlen für Komodo

Die Attraktion von Komodo ist bis zu drei Meter lang und eine beeindruckende Erscheinung mit grimmigem Blick: Komodowarane sind die größten Echsen, die es auf der Erde gibt. 5000 von ihnen leben auf der indonesischen Insel, rund 10 000 Besucher im Monat kommen, um sie zu sehen - meist als Tagestouristen. Zu viele für ein fragiles Ökosystem? 2018 gab es Überlegungen, ihre Zahl zu halbieren. Allerdings sind die Warane auch eine gute Einnahmequelle. Deshalb gab es auch die Idee, den Eintritt in den Nationalpark von neun auf 440 Euro zu erhöhen. Momentan fährt man einen Schlingerkurs: Anfang April kündigte die Regierung an, die Insel 2020 für Urlauber zu sperren. Wenige Tage später ruderte man zurück: Frühestens im Juli werde die Entscheidung fallen.

Bustickets für Hallstatt

779 Einwohner, eine Million Besucher: das Dorf im Salzkammergut, unweit von Salzburg, ist bei Busreisenden aus Asien beliebt, noch mehr, seit es 2012 in China nachgebaut wurde. Einmal die Hauptstraße rauf und runter, Fotos von sich vor den pastellfarbenen Häusern, vom Hallstätter See, von den umliegenden Bergen, so sieht ein typischer Hallstatt-Besuch aus. Die Zahl der Busse soll nun deutlich reduziert werden. Veranstalter müssen, wie in Salzburg bereits üblich, vorab ein Zugangsticket buchen, das für ein bestimmtes Zeitfenster und eine Mindestdauer von zweieinhalb Stunden gültig ist. Auch die Gebühren sollen von jetzt 40 Euro auf einen noch nicht festgelegten Betrag angehoben werden. Salzburg verlangt 24 Euro. Dort denkt man nun auch über eine Erhöhung nach.

Qualität für Berlin

Die Hauptstadt ist das beliebteste Städtereiseziel in Deutschland. 33 Millionen Übernachtungen zählten die Statistiker im Jahr 2018 in der Statistik, - damit hat sich die Zahl seit 2003 fast verdreifacht. Bei den Berlinern weckt das zwiespältige Gefühle: War man früher stolz auf das Image als europäische Partyhauptstadt, soll das neue Tourismuskonzept stärker auf Qualität setzen. Das bedeutet: Man will lieber zahlungskräftige Kulturtouristen und Geschäftsreisende ansprechen als feierfreudiges, aber chronisch klammes Jungvolk aus aller Welt. Bereits seit 2014 gilt ein Gesetz, das die Vermietung von Ferienwohnungen reglementiert, eine "Going local"-App soll Touristen in weniger bekannte Kieze locken. Gefeiert wird trotzdem immer noch in Kreuzberg - und nicht in Spandau.

Baustopp in Barcelona

Touristen sind die wichtigste Einnahmequelle der Stadt und - so eine Umfrage aus dem Jahr 2017 - für die Mehrheit der Bewohner zugleich ihr Hauptproblem. Ihrem Ärger über die Touristenmassen und über Airbnb-Quartiere, die den Mietmarkt aus dem Gleichgewicht bringen, hatten im selben Jahr Anwohner mit einer Menschenkette am Strand Ausdruck verliehen. Oberbürgermeisterin Ada Colau gewann die Wahl mit dem Slogan "Die Stadt den Bürgern zurückgeben" - und schritt zur Tat: Sie annullierte die Genehmigungen für 30 Hotelprojekte, Privatvermieter brauchen nun eine Lizenz, Airbnb musste 600 000 Euro Konventionalstrafe zahlen. Eine hohe Dunkelziffer an illegalen Quartieren gibt es jedoch nach wie vor, vermuten Beobachter: Es fehlen Kontrolleure.

Verteilen in Dubrovnik

Gerade einmal 400 mal 300 Meter misst die Altstadt von Dubrovnik. In ihren engen Gassen wurden Szenen der Fantasy-Serie "Game of Thrones" gedreht. Seitdem drängen neben den Kreuzfahrtpassagieren - die kroatische Küstenstadt liegt entlang der Hauptroute auf dem Mittelmeer - auch Filmtouristen durch die Tore der mittelalterlichen Stadtmauer. Aussperren will man die Urlauber nicht, aber den Andrang in Bahnen lenken. Nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe sollen pro Tag anlegen dürfen, früher waren es bis zu zehn. Wer nicht nur andere Menschen, sondern auch die Stadt sehen möchte, bekommt mit der Webseite www.dubrovnik-visitors.hr ein hilfreiches Instrument an die Hand: Sie liefert Prognosen, wann wie viele Besucher zu erwarten sind.

Inselsperrung in Asien

Palmen, weißer Sand, türkisfarbenes Meer: 2,1 Millionen Besucher zog es 2017 auf die Insel Boracay, ins "Paradies der Philippinen". Leider sammelte sich im Paradies viel irdischer Müll, Hotels leiteten Abwasser ungeklärt ins Meer, von einer "Jauchegrube" sprach der philippinische Präsident Rodrigo Duterte - und verbot Touristen den Zutritt. Zwischen April und Oktober 2018 mussten Hotels, Restaurants und Vergnügungsparks schließen. Ein halbes Jahr lang wurde aufgeräumt. Die Strände sind inzwischen wieder geöffnet, Partys dort nun verboten. Nach wie vor gesperrt ist ein anderer Traumstrand: Seit Juni 2018 dürfen Thailandurlauber die Maya-Bucht auf Kho Phi Phi, Kulisse für den Film "The Beach", nicht betreten. Die schwer geschädigten Korallenriffe sollen sich erholen.

Vorbuchen in Galicien

Steil ragen Felswände auf, Wasser und Wind haben Bögen, Fenster, Tore geformt - sieht aus wie in einer gotischen Kirche. Playa de las Catedrales, auf Galicisch Praia as Catedrais, heißt deshalb der Strand an der spanischen Nordküste. Nur bei Ebbe kommt der helle Sand zwischen den Schieferfelsen zum Vorschein. Ein spontaner Besuch ist im Sommer jedoch nicht nur wegen der Gezeiten schwierig. Von Juli bis September sowie zu Ostern muss der Platz am Strand vorab online gebucht werden. Früher kamen pro Tag schon mal 20 000 Menschen, jetzt sind maximal an die 5000 Besucher erlaubt. Tröstlich vielleicht für alle, die keinen Platz bekommen: In der Nachbarschaft gibt es noch mehr Strände.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4411936
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.04.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.