Süddeutsche Zeitung

Garküchen in Vietnam:Ritter der Kokosmilch

Es gibt zwar genug Restaurants für Touristen in Ho-Chi-Minh-Stadt. Viel besser lernt man die Küche Vietnams aber bei einer Tour mit Einheimischen kennen - auf dem Rücksitz eines Mofas.

Von Martina Miethig

Die Nacht beginnt mit einem Hupkonzert. Eben noch lag die Hitze wie ein feuchter Lappen auf allem. Jetzt streift eine Brise den Sozius auf dem Motorroller, wenn endlich alle Zweiräder an der Ampel losbrausen, alle gleichzeitig hupend. Man lässt den Touristenbezirk von Ho-Chi-Minh-Stadt mit seinen französisch-kolonialen Bauwerken, das Rathaus, das Theater und das kurze Zwielicht hinter sich und taucht ein ins nächtliche Gewusel. Nguyen Tien ist sichere Fahrerin und Reiseleiterin zugleich: "Wir fahren jetzt durch Chinatown", sagt sie in perfektem Englisch. Kaum ist das ausgesprochen, hängt der medizinisch-modrige Duft von Kräutern und Wurzeln aus den traditionellen Apotheken in der Luft. Die Kamera am Helm der Fahrerin nimmt alles für zu Hause auf. Schade, dass man Gerüche nicht filmen kann. Die muss man sich merken, ebenso die vielen Geschmacksrichtungen auf der "Foodie Tour" durch Ho-Chi-Minh-Stadt, das ehemalige Saigon.

Natürlich hat auch Ho-Chi-Minh-Stadt ein Nachtleben mit Gourmet-Restaurants, durchgestylten Etablissements und luftigen "Sky Bars", wo sich die vietnamesische Metropole aus der Vogelperspektive präsentiert. Wer mit Nguyen Tien unterwegs ist, bekommt einen anderen Blick auf die Stadt: einen von ganz unten, raus aus dem klimagekühlten Wohlbefinden mitten rein ins Chaos zwischen Nachtmärkten und hell glitzernden Shoppingmeilen.

Moped-Guides wie Nguyen Tien kommen bis vor die Hoteltür, leicht zu erkennen an den langen, weißen Áo-dài-Hosenkleidern mit keckem Schlitz bis zur Hüfte und den 125er-Motorrollern in Bonbonfarben. Nach Sonnenuntergang treffen sich die Saigoner in Tausenden Garküchen und Open-air-Lokalen. Aber erst einmal wird die obligatorische Runde durch den Bezirk gedreht. Vor allem freitags und samstags bricht seit den 1990ern das Chay Vong Vong aus: ein zielloser Schaulauf auf zwei Rädern mit Zickzack-Manövern, Dauergehupe und Platz-da-jetzt-komm-ich-Gehabe. Jedes Jahr wird es voller, enger und langsamer auf der Straße.

Nguyen Tien steuert mit hundert anderen Honda-Piloten geradewegs in das Knäuel mitten auf der Kreuzung hinein. Wie von Geisterhand öffnet sich eine Schneise, und man erreicht die Suppenküche Dong Ba im 1. Bezirk. Sie ist spezialisiert auf nur ein Gericht: Bun Bo Hue aus der Kaiserstadt im Zentrum des Landes. In die dampfende Suppenschüssel mit langen Nudeln, Rindfleischstreifen und Zwiebeln mischt man mit den Stäbchen noch Sojabohnensprossen, Bananenblütenstreifen und spinatartiges Grünzeug namens Morning Glory, dazu ein bisschen Chili- oder Fischsoße. Während seine Gäste vor sich hin schlürfen, gibt ein weiterer Begleiter, Tai Dang, kulinarische Erläuterungen und zeigt mundwässernde Fotos auf dem Tablet - natürlich spielt er mit den Grusel-Klischees der vietnamesischen Küche. Das letzte Bild zeigt einen niedlichen kleinen Hund. Die Gäste stöhnen entsetzt auf. Tai Dang selbst mag gar keinen Thit Cho, das überlässt er seinen Landsleuten im kühleren Norden - er musste nur ein einziges Mal "wärmendes" Hundefleisch essen, weil ein Kunde es probieren wollte.

"Di thoi, let's go!" Alle wieder aufsitzen, festhalten und ab ins motorbrummende Gewimmel durch die Bui Vien im Backpacker-Viertel, entlang an Kebab-Läden, Massage-Salons und Tattoo-Shops bis nach Chinatown, dem 5. und ältesten Bezirk von Ho-Chi-Minh-Stadt. Nach einem Foto-Stopp am Binh-Tay-Markt, dem Saigoner Großmarkt, schildert Tai Dang am Straßenrand die Geschichte von Cho Lon, was übersetzt "großer Markt" heißt: Seit 300 Jahren treiben die aus Südchina geflohenen Chinesen und ihre Nachfahren hier Handel - auf legalen und illegalen Märkten, in Gassen und auf Bürgersteigen. Mittlerweile hat auch hier das Smartphone den Abakus abgelöst, und nach süßlichen Opiumschwaden schnuppert man heute vergebens. Da aber beim Handeln stets Glück und finanziell gestützte Wünsche an die Götter, also Spenden und Opfergaben, eine Rolle spielen, gibt es in Cho Lon besonders viele Pagoden, Tempel und traditionelle Versammlungshallen - allesamt Oasen im Verkehrsgetümmel.

Wenn die Vietnamesen ihre Einkäufe verrichten, dann steigen sie nur selten vom Moped ab. Zum Beispiel auf dem Nachtmarkt: Die Kunden manövrieren durch die enge Gasse zwischen den Tragestangen mit Körben voller Obst und Gemüse, Hühner und Küken. In Plastikschüsseln stapeln sich Fische und Krebse. Es zwitschert aus den Käfigen der "Glücksvögel", Marktfrauen rufen ihre Ware hinein ins Mofa-Geknatter.

Informationen

Anreise: Vietnam Airlines fliegt achtmal wöchentlich nonstop von Frankfurt nach Ho-Chi-Minh-Stadt, ab 563 Euro, www.vietnamairlines.com

Übernachtung: Happy Inn: Freundliches Gästehaus auf der Travellermeile: 19 unterschiedlich große und günstige Zimmer, www.happy-inn.net, DZ ca. 20 bis 40 Euro. Ma Maison: Ein etwas abgelegenes Boutiquehotel in einer Villa aus den 1940ern, mit knarrenden Dielen oder Bodenmosaik, Wifi und Garten. 656/52 Cach Mang Thang Tam, 3. Bezirk Saigon, www.mamaison.vn, DZ ca. 75 Euro.

Weitere Auskünfte: Die viereinhalbstündige "Foodie Tour" des Anbieters XO Tours kostet pro Person 56 Euro, www.xotours.vn

Auch der 8. Bezirk empfängt seine Besucher mit einer Geruchswolke, und was für einer: Pfeffer, Chili und anderes die Nasenschleimhaut Reizende. In der Trung Son reiht sich ein Barbecue- und Hot-Pot-Lokal ans nächste, alle mit 300 Plätzen unter einem Blechdach und jeder Menge Bahnhofshallen-Charme. Im "Lau de 3 Q" landet bevorzugt Ziegenfleisch mit Okra-Schoten auf dem Kohle-Tischgrill, dazu tunkt man Minze- und Basilikum-Blätter in einen Dip aus Salz, Pfeffer, Chilipaste und Zitrone oder Sojasoße. Danach munden gegrillte Garnelen und Tintenfisch am Spieß, im Bierglas mit "Saigon Bia" klimpert das Eis.

20 Minuten später. Der Stadtteil Phu My Hung ist klinisch sauber und schick: 20-stöckige Apartmenthäuser und Town Houses mit Tennisplatz und olympiareifen Pools, daneben Parkanlagen mit Joggingpfaden an künstlichen Seen. Zwei Millionen Menschen leben hier. "Vor 15 Jahren war das noch Sumpf", sagt Tai Dang in einer Pause vor einem Springbrunnen. Die Straßen sind verwaist, keine Mofas, kaum Autos oder Menschen. Die Ampeln geben Lichtzeichen ins Leere. Eine Geisterstadt.

Man sollte sich während der Tour nicht zu viel auf den Teller laden lassen, immer nur ein bisschen von jedem, so wie die Vietnamesen das tun. Denn der letzte Foodie-Stopp, wenn man fast schon "no qua", "bin so voll", stöhnen möchte, überrascht im ärmsten, dem 4. Bezirk mit dem besten Essen. Eine unscheinbare, düstere Gasse. Ein paar rote Hocker werden vor einer weiß gekachelten Hauswand zusammengeschoben zum langen Tisch, gleich neben dem Mofa-Parkplatz. Die Angestellten bringen Plastikstühle, Plastikgeschirr, Servietten in Plastikfolie. Dann wird aufgetischt: Wachteln, Berge von Krabbenzangen in Chili und Knoblauch und: Jakobsmuscheln. Das Muschelfleisch ist garniert mit Frühlingszwiebeln und fein gehackten Erdnüssen, fünf Stück kosten gerade mal zwei Euro. Nach diesem Leckerbissen preist Tai Dang noch das Entenei mit Embryo an ("viel Protein, gut für Männer") - aber nur einer traut sich, bevor es auf zwei Rädern durch die Nacht zurück ins Hotel geht, fröhlich-sinnlos hupend im Schwarm.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2015/ihe
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