Ganz weit draußen: Ecuador:Don Fabis Kampf um die Mitte der Welt

Mit allen Mitteln will ein Mann beweisen, dass der Äquator über seinen Acker verläuft - Satelliten benutzt er dazu genauso wie Totempfähle.

Roland Schulz

San Antonio de Pichincha, im August - Er hat diesen Flecken Erde mit Satelliten und Wünschelruten vermessen, er hat das Pendel Foucaults bemüht, Computer, Totempfähle, Präzisionsuhren, hat mit seinem Sextanten am Tag die Sonne gepeilt und in der Nacht die Sterne geschossen, auf alle bekannten und mindestens zwei zuvor unbekannte Arten prüfte er die Position dieses Fleckens.

Fabian Vera, Schulz

"Ich mache weiter, bis alle wissen, dass hier der Äquator liegt:" Fabian Vera vor seinem Museum in San Antonio de Pichincha.

(Foto: Foto: Schulz)

Aber am Ende, sagt er, brauche es diesen ganzen Krempel nicht. Am Ende genüge für die Wahrheit auf dieser Erde die Energie. "Die Energie", sagt Fabian Vera, "lügt nicht." Er steht genau auf der imaginären Linie, die von beiden Polen gleich weit entfernt ist, die die Welt in Nord und Süd teilt, in zwei Hemisphären und in seinem Fall auch in zwei Wahrheiten. "Die Energie", sagt Fabian Vera, "ist stark hier."

Er hat die Linie rot gestrichen, ein handbreiter Streifen, mit Farbe auf Stein gebannt, geographische Breite 00 Grad 00 Minuten 00 Sekunden, der Äquator. "Die Mitte der Welt", sagt Fabian Vera.

Er ist ein Mann von Masse, mit grauem Bart und vollem Bauch, der sich von Vertrauten "Don Fabi" rufen lässt, Direktor des Sonnenmuseums "Intiñan", für ihn genau auf der Mitte der Welt gelegen, Provinz Pichincha, Ecuador.

"Nur eine Mitte"

Er trägt die bügelfaltengezierten Hosen und blauen Hemden der Geschäftsleute dieser Gegend und dazu, wie einen Revolver, sein Handy am Gürtel, allzeit bereit, es für seine gute Sache zu ziehen. Die nächsten Worte wählt er mit Bedacht. "So wie es nur eine Sonne gibt", sagt Fabian Vera, "so gibt es nur eine Mitte der Welt. Und sie liegt hier, die Energie ist mein Zeuge." Mit verächtlicher Geste deutet er nach Süden. "Da drüben haben sie doch nur ein Denkmal aufgestellt."

Da drüben, dort liegt hinter einer Mauer die andere Mitte der Welt: noch eine Linie, noch ein Äquator, nur gelb gestrichen. Darüber erhebt sich turmhoch ein Pfeiler, der auf der Spitze einen Globus trägt, an den Seiten die Himmelsrichtungen und außerdem den stolzen Titel "Mitad del Mundo", Mitte der Welt - es ist das offizielle Äquatordenkmal Ecuadors, mit Museum, von Provinz und Staat als das einzig Wahre anerkannt.

"Alles Lüge", sagt Vera, "die drüben haben die Idee nur geklaut." Er speit die Worte aus. Er hat sie so satt, die dort drüben. Er kämpft schon so lang gegen ihre Wahrheit.

Sie sagen dort drüben, die Mitte der Welt liege auf ihrem Grund, hier und nur hier verlaufe der Äquator. Seit 1736 sei dies amtlich beglaubigt, als die hochwohlgeborenen Geodäten der Académie des Sciences aus Paris nach Ecuador kamen, um den Äquator zu suchen und ihn genau hier fanden, in San Antonio de Pichincha, Längengrad 78° 27' 08'', Breitengrad 00° 00' 00'', nirgendwo sonst, schon gar nicht 250 Meter weiter nördlich, auf dem Acker, der Fabian Vera gehört.

Sie sagen dort drüben, eine Sammlung schäbiger Hütten auf einem Acker sei kein Museum, sondern Schwindel. Sie sagen, Fabian Vera sei ein Spinner.

Fabian Vera sagt, diese verdammten Franzosen hätten lieber auf die Indianer auf dem Acker nebenan achten sollen als auf ihre wohlfeilen Instrumente. "Gelehrte", knurrt er, "sie wollen Gelehrte gewesen sein. Warum haben sie dann nicht auf die Legenden gehört?"

Fabian Veras Vater Humberto schenkte den Legenden Glauben, bald 50 ahre ist es her. Die Legenden sprachen von einem Festplatz und einem alten Volk, den Quitus-Cara, die an diesem Platz die Tagundnachtgleichen feierten, an jedem 21. März und jedem 23. September, wenn am Äquator die Sonne genau senkrecht steht und alle Schatten verschwinden. Die Legenden sagten, dieser Platz sei für die Quitus-Cara, älter noch als Inka oder Maya, der Nabel der Welt gewesen.

Erbleichte Schlangen

Humberto Vera begann den Platz zu suchen. Er befragte Inschriften und Indianer in ganz Ecuador, zog alte Aufzeichnungen heran, durchmaß das Land mit Karte und Kompass. 1970, er suchte längst mit seinem jungen Sohn, war sich Humberto Vera sicher: Er hatte den Platz gefunden.

Nur 250 Meter nördlich der Stelle, an der einst der französische Geodät Pierre Bouguer den Äquator ortete. Humberto Vera kaufte das Land und alles, was darauf stand: eine Ansammlung schäbiger Hütten.

Sie sind Fabian Veras Stolz. Er macht einen Schritt, quert so den Äquator, tritt auf die Nordhalbkugel, hier fühlt er sich am wohlsten, hier stehen an einem sanft ansteigenden Hang sein Haus und seine Hütten, in denen er bewahrt, was er Schätze nennt.

Die Hütten sind alt wie die Zeit, strohgedeckte Dächer und erdfahle Wände, wie mit einem Schleier von Staub bedeckt, allein die Agaven und Kakteen rundherum zeigen fettes, dunkles Grün. Hoheitsvoll schreitet Fabian Vera das halbe Dutzend Hütten auf seinem Grund ab.

Jede ist voller zersprungener Schüsseln, gefiederter Speere, verschrumpelter Kalebassen. Vater und Sohn Vera sammelten alles, was ihnen wertvoll erschien, es war viel.

Fabian Vera steigt über ein Holzgatter, steht in der höchstgelegenen Hütte, hebt Einmachgläser ans Licht. Schlangen ringeln sich darin, weiß wie Albinos, das hat der Alkohol gemacht, in dem sie eingelegt sind, er hat ihnen über die Jahre ihre Farben geraubt.

"Geschenke", sagt Vera. Indianer haben sie gebracht. Vera besitzt 24 Einmachgläser voll und noch ein Aquarium voller Schnaps, in dem er zwei Würgeschlangen zur Schau stellt, vier Meter lang, er hielt sie als Haustiere. An der Wand hängen Häute von Anacondas und ein Kopfschmuck aus Tukanfedern, dazu Blasrohre, Köcher, Beile, am Boden stehen Botanisiertrommeln voll getrockneter Käfer und Kakerlaken, in Glassärgen hält Fabian Vera Grashüpfer, in offenen Zigarrenkisten sind handtellergroße Spinnen aufgespießt, und aus der Ecke schaut mit gläsernen Augen eine ausgestopfte Riesenschildkröte von den Galapagos-Inseln, auch ein altes Haustier.

Vorsichtig öffnet Vera eine Kästchen und holt ein in Segeltuch eingeschlagenes Bündel hervor. Sein wertvollstes Stück. Ein Schrumpfkopf. Er war seines Vaters größter Schatz: ein Schädel, groß wie eine Faust, mit zugenähten Lippen und zugenähten Augen, Trophäe des Krieges.

Humberto Vera bekam ihn während seiner Suche nach der Mitte der Welt geschenkt, als Anerkennung für sein Interesse an den Legenden der Indianer Ecuadors. "Das Relikt eines Schamanen", sagt Fabian Vera. "Darin steckt noch der Geist des besiegten Feindes, und seine Erinnerungen."

Die Besucher des Museums stehen gerne schaudernd davor, weil sie ein 200 Jahre altes Antlitz anblickt. Für Fabian Vera ist der kunstvolle Schrumpfkopf mehr, Beweis für Können und Weisheit der Indianer. "Die Franzosen", sagt er, "dachten damals, nur sie allein wären Wissenschaftler. Sie dachten, die Indianer sind dumm, trinken immer nur Chicha und tanzen. Sie dachten, die Ureinwohner wissen gar nichts."

Kampf um die Wahrheit

Fabian Vera hat sich mit den Franzosen so lang beschäftigt wie mit den Legenden. "Das ist meine Aufgabe", sagt er. Er hat sie vom Vater, der 1995 starb.

Humberto Vera hinterließ Ecuador zwei Bücher über "Mythen und Legenden der Mitte der Welt", seinem Sohn aber das Stück Land mit der wahren Mitte der Welt und die Mission, diese zu verteidigen. 1975 hatten Vater und Sohn begonnen, ein kleines Museum einzurichten, es war die Idee Fabian Veras, der Tourismus studierte.

Sie öffneten ihre Hütten, sammelten Schätze, zeigten ihren Äquator. Damals stand auf der anderen Mitte der Welt nur ein kleiner Obelisk, zum Gedenken an die französische Expedition. Doch 1982 wurde ein neues Denkmal errichtet und die "Mitad del Mundo" zur Touristenattraktion gemacht.

Der Kampf um die Wahrheit begann. Fabian Vera forschte über die Geodäten um Pierre Bouguer, die den Äquator suchten, um das Maß des Meters bestimmen zu können, er verfolgte ihre Methoden, verglich sie mit dem, was er für die Wahrheit hielt. "Ich fing an, die Kräfte der Erde zu untersuchen, Gravitation, Magnetismus, auch die Astrologie."

Energie, die Zweifel beseitigt

Dabei wuchs seine Sicherheit, die Franzosen hätten sich geirrt. Fabian Vera prüfte die Position seiner Mitte der Welt mit Sextanten, sah sich bestätigt, erfuhr vom Pendel Foucaults und dass sich seine Schwingungsebene am Äquator nicht dreht, auch dies trat ein. Schließlich besann er sich auf Methoden abseits der Wissenschaft.

Er rammte Totempfähle in den Boden, um zu prüfen, ob sie zur Tagundnachtgleiche Schatten werfen, sie taten es nicht. Er hieß Wünschelrutengänger, Spiritisten und Sterngucker willkommen, sie bestätigten ihn.

Er untersuchte die Schwänze neugeborener Schweine, sie kringelten sich, wie erwartet, auf seinem Grund nicht. Eines Tages spürte er die Energie. Jetzt war für ihn jeder Zweifel ausgeschlossen. Es war just zu der Zeit, da die von der anderen Mitte der Welt dem Ärger auf dem Acker nördlich von ihnen Beachtung zu schenken begannen.

Mit jedem bisschen Wissen hatte Fabian Vera auch sein Museum erweitert. Die Totempfähle ließ er stehen, dazu stellte er noch Sonnenuhren auf seine Linie, die je nach Jahreszeit nur im Norden oder nur im Süden die Zeit anzeigen, der Sonne über dem Äquator wegen. Sein Wissen über die Gravitation brachte ihn auf die Idee, zwei Nägel in die Spitze eines auf seiner Linie stehenden Pfeilers zu schlagen, auf ihren Köpfen ließ er mit Leichtigkeit rohe Eier balancieren, um die schwächere Schwerkraft am Äquator zu zeigen.

Als er die Coriolis-Kraft kennen lernte, kaufte er eine Baby-Badewanne, mit Stöpsel, seither beweist er jedem Besucher, dass Wasser nördlich seiner Linie in einem Strudel gegen den Uhrzeigersinn abläuft, südlich davon im Uhrzeigersinn.

Fabian Vera war geschickt. Er hatte Experimente und eine erstklassige Geschichte von Legenden, Schätzen, Schrumpfköpfen. Die dort drüben auf der anderen Mitte der Welt hatten nur ihr Denkmal, umgeben von geschleckten Läden, wo gelangweilte Verkäufer überteuerte Ponchos und gebratene Meerschweinchen anboten.

Als Veras Museum um 1990 in Reiseführern auftauchte, immer mehr Besucher der "Mitad del Mundo" vom Denkmal zum alten Acker der Veras spazierten, begannen sie dort drüben, sich Sorgen zu machen. Sie versuchten, Fabian Vera zu verleumden.

"Sie sagten, ich sei eine Gefahr, ich sei verrückt", sagt er, inmitten seiner toten Tiere stehend, einen Schrumpfkopf in der Hand. Doch Kritik an seiner Mitte der Welt lässt er nicht gelten. "Ich könnte ja alles erzählen", sagt er entrüstet. "Aber ich habe Beweise."

Er öffnet eine in die Wand eingelassene Tür, die in sein Haus führt, direkt ins Wohnzimmer, in dem er zu arbeiten pflegt. Das Wohnzimmer, so groß wie ein Strafraum, ist der Albtraum jeder Ordnung. Felle am Fußboden, an den Wänden Pferdezaumzeug, ein Stierkopf hängt neben einem alten Stutzen und zwei Duellpistolen, Regale voller Bücher im Stadium verschiedenster Vergilbung, zwischen denen Trinkschläuche, Waagen und Rechenschieber verstauben, "nun ja", sagt Fabian Vera, "wir waren schon immer eine Familie von Sammlern."

Er setzt sich an seinen Schreibtisch aus edlem Holz, an dem ein Schraubstock angebracht ist, und sucht in einem überquellenden Aktenkoffer etwas. Ein Buch.

Vera klappt es auf, tippt auf eine Seite, neongelbe Leuchtfarbe hebt hier Namen hervor. Seine Gästeliste. "Es waren ja schon so viele da", sagt er. Der Konsul von China, der Umweltminister von Costa Rica und neulich erst, hier steht er, General John Craddock, Combatant Commander USSouthcom, der Befehlshaber aller amerikanischen Streitkräfte in Südamerika, tief beeindruckt sei er gewesen, schrieb er in Fabian Veras Buch, aber um solche Anerkennung geht es jetzt nicht. Er sucht einen Computerausdruck.

Muss hier irgendwo sein. Ist er aber nicht. Fabian Vera wirft das Buch zurück, wühlt im Aktenkoffer. 1995 hatte er von den Satelliten gehört, GPS, ganz neu damals, jeder Ort, so verstand er, lasse sich jetzt in seiner Position genau wie nie bestimmen.

Sofort organisierte er so ein Gerät. Die Messung ergab: Mitte der Welt. "Zwölf Satelliten waren es", murmelt Vera und schichtet einen Stapel mit Ausführungen über die Kräfte der Pyramiden Ägyptens um, ein Nebenprojekt von ihm. Aber der Computerausdruck ist auch nicht bei den Ägyptern.

Egal, er hat andere Beweise. Ihm und jedem anderen Vernünftigen, sagt er, genüge ja die Energie, um die Wahrheit zu erkennen, aber leider sei die Sache nach seinem Einsatz der Satelliten etwas eskaliert.

Ein Schatten als Beweis

Vera ließ damals Schilder anfertigen, die darauf hinwiesen, dass die Position allein seines Äquators mit GPS überprüft sei, die Schilder ließ er auch an der Straße zur "Mitad del Mundo" anbringen. Statt den Streit zu beenden, schürten ihn die Satelliten: Zweifler wiesen darauf hin, dass GPS-Messungen damals bis zu 100 Meter abweichen konnten, weil das Militär in der Anfangszeit das Signal absichtlich verschleierte. Fabian Vera fühlte sich beleidigt, seine Gegner bestätigt, so herrscht bis heute Zwist, wo genau die GPS-Satelliten von ganz weit draußen die "Mitad del Mundo" erkannten.

Es war aber egal. Fabian Veras Werbung war in der Welt, und die Wut schlug Wogen. Es dauerte nicht lang, da kamen Bauarbeiter und zogen zwischen die zwei Mitten der Welt eine Mauer. Fabian Vera war abgeschnitten. Auf einmal hatte er, der an guten Tagen 600 Besucher begrüßte, die von einem Museum zum nächsten gewandert waren, nur noch spärlich Erfolg.

Er versuchte zu verhandeln. Sie boten ihm an, ein Tor in die Mauer zu brechen, wenn sie dafür 40P rozent seiner Eintrittsgelder bekämen. Er lachte ihnen ins Gesicht. Die Wahrheit, sagte er, verkauft man nicht. Die Zeit danach war hart.

Er stellte sich jeden Tag vor die Tore ihrer Mitte der Welt und pries seine an. Und er beschloss, ihnen ihre Niedertracht heimzuzahlen, indem er mehr Beweise seiner Wahrheit sammelte. "Ich habe gekämpft", sagt Fabian Vera stolz, "und ich habe überlebt."

Er zieht ein Foto aus dem Dickicht seiner Unterlagen. Darauf: ein Schatten. Sonst nichts. Triumphierend wedelt Fabian Vera mit dem Foto, "Schatten", ruft er, "wir sehen hier eindeutig einen Schatten, das ist der Beweis!"

Sechs Jahre ist es her, da schlich er sich, mit einer Kamera bewaffnet, zur Tagundnachtgleiche auf die andere Mitte der Welt, erklomm, als Tourist getarnt, das verhasste Denkmal, richtete seine Kamera senkrecht nach unten, es schlug genau zwölf Uhr mittags, als er den Auslöser drückte und festhielt, was nicht hätte sein dürfen - das Denkmal warf einen Schatten.

Fabian Vera bemühte sich, der Welt den Beweis bekannt zu machen, er informierte, wieder einmal, Presse und Rundfunk, "niemand hat mir zugehört", sagt er.

Es befeuerte nur seinen Willen. "Ich gebe nicht auf", sagt er. Dann steht er auf, stößt die Tür auf, steigt hangabwärts, dorthin, wo die Energie stark ist, wo es keine Beweise braucht. Als er an der roten Linie anlangt, die die Welt in Nord und Süd teilt, in seine und ihre Wahrheit, bleibt er stehen.

"Ich mache weiter", sagt er, nach drüben blickend, zur Mauer vor der anderen Mitte der Welt. "Bis sie alle wissen, dass hier der wahre Äquator liegt. Bis sie alle fühlen, dass sie nur hier richtig sind." Dort drüben die Mauer schweigt.

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