Fußball:In der Unterwelt

Fußball: Die mit dem Totenkopf sind anders, als es auf den ersten Blick wirkt: Der Sportdirektor war in der Friedensbewegung, ein Aufsichtsrat ist Streetworker.

Die mit dem Totenkopf sind anders, als es auf den ersten Blick wirkt: Der Sportdirektor war in der Friedensbewegung, ein Aufsichtsrat ist Streetworker.

(Foto: Thorge Huter/imago)

Hamburg, die Große, ist im Fußball zweitklassig, mindestens ein Jahr lang. Ein Jammer. Und bald auch zu sehen als Drama in den Kammerspielen.

Von Peter Burghardt

Der Hamburger Sportverein war schon längst ein Fall fürs Theater, jetzt ist es endlich so weit. "Heiß auf 2. Liga" heißt das Stück von Jörg Menke-Peitzmeyer, Premiere am 24. September in den Kammerspielen im Grindel-Viertel unweit der Uni. Es geht darin um den HSV. Genauer: Es geht um den HSV, der erstmals in diesem Leben tatsächlich in die 2. Liga abgestürzt ist, für das Selbstwertgefühl seiner Freunde eine Art dantesker Vorhölle. "Steigen Sie ein in das turbulent bunte Fußballkarussell aus Misswirtschaft, Intrigen und Vereinsmeierei", heißt es in der Vorschau der Bühne. "Für alle Theaterbegeisterten und für Liebhaber des Ballsports, ob mit der Raute oder dem Totenkopf im Herzen."

Regisseure und Schauspieler konnten sicher aus dem Vollen schöpfen, der HSV hatte zuletzt ja mehr Dramen und Komödien zu bieten als Kombinationen und Tore. Aus älteren Zeiten gut im Bilde ist unter anderem der Inhaber der Hamburger Kammerspiele: Jürgen Hunke war mal Präsident des HSV und saß im Aufsichtsrat. Richtig loslegen durften die Kammerspieler mit ihrer Idee aber erst ab dem 12. Mai 2018 gegen 17.15 Uhr. Da materialisierte sich am letzten Spieltag der vergangenen Saison der historische Abstieg der Institution mit der Raute, diesem urzeitlichen Unikum.

19 985 Tage, so lange hatte es sonst keiner in der Bundesliga ausgehalten

Der einstige Europacupsieger gewann zwar vor 57 000 Augenzeugen im ausverkauften Volksparkstadion 2 : 1 gegen Borussia Mönchengladbach, musste aber als Tabellenvorletzter trotzdem das Feld räumen. Hooligans zündeten am Ende der Ära Böller und Leuchtraketen. Polizisten besetzten mit Helmen, Pferden und Schäferhunden den Rasen, draußen standen Wasserwerfer. Es war gruselig, ein wenig G 20. So endete diese Epoche. Nach 54 Jahren, 261 Tagen, 00 Stunden, 36 Minuten und 02 Sekunden, wie bei Schlusspfiff auf der sehr speziellen Uhr hinter Rauchschwaden an der Nordtribüne zu lesen war.

19 985 Tage, so lange hatte es sonst keiner in der Bundesliga ausgehalten. Der spätere Serienmeister FC Bayern war zu Beginn 1963 noch in der Regionalliga unterwegs, 2017 / 18 sammelte der HSV dann binnen 34 Spielen 54 Punkte weniger als die Münchner und verspielte endgültig seinen Ruf als Dino. Wobei das Sauriermaskottchen "Hermann", benannt nach dem verstorbenen HSV-Masseur und Oberbayern Hermann Rieger, weiter über den Rasen wackeln darf. Und auch die Geschichtsuhr in der Arena wurde nicht abgebaut, sondern nur umgestellt, eine feine Volte.

Statt "In der Bundesliga seit" steht dort nun "Tradition seit", demnach knapp 131 Jahre. Als Geburtstag verwendet wird der 29. September 1887, gegründet wurde damals der SC Germania, der sich mit dem Hamburger FC von 1888 und FC Falke 06 1919 zum HSV zusammen schloss. Der FC Falke hat sich unterdessen wieder selbständig gemacht, als der HSV seine Profiabteilung 2014 als AG ausgliederte. Da flüchteten wütende Romantiker und schufen im Stadtteil Eimsbüttel den HFC Falke, Motto: "dankbar rückwärts, mutig vorwärts". Die Falken begannen 2015 / 16 in der Kreisklasse und sind inzwischen in der Bezirksliga Nord gelandet - 7. Liga, nur noch fünf Ligen unter dem guten, alten HSV und dessen Erzrivalen, dem FC St. Pauli.

Diese beiden berühmtesten Hamburger Sportklubs sind nun also wieder auf einer Ebene, aber halt nicht wie früher in der Bundesliga, sondern in Liga zwei. Der Abstieg des Nachbarn führte zu großer Heiterkeit auf dem Kiez, wo der elitäre HSV traditionell verachtet wird. Die Freude auf ein Derby in der Unterwelt steigt. Am 30. September ist es zunächst im Volkspark so weit - Gastgeber HSV langt dabei kräftig zu, der billigste Sitzplatz kostet 37 Euro. Die Polizei wird reichlich vertreten sein.

Randalierer vom HSV teerten und federten vor Jahren das Wappen des FC St. Pauli am Millerntor. Ein Trupp vom FC St. Pauli bemalte daraufhin den riesigen Bronzefuß der HSV-Legende Uwe Seeler am Volksparkstadion braunweiß, das sind die Farben des FC St. Pauli. Der nette und dem HSV ewig treue Uns Uwe hat das alles nicht verdient, findet der HSV-Anhänger Olli Dittrich, das kann man nach einem Besuch bei Seeler im Büro bestätigen.

Bei den Sympathiewerten hat der FC St. Pauli den ehemaligen Meister weit überflügelt

So begegnen sich wieder zwei sehr unterschiedliche Hamburger Fußballwelten. Der FC St. Pauli ist das Alternativmodell mit dem Totenkopf im Herzen, mit der Piratenflagge, dem Spruch "kein Fußball den Faschisten" an den Rängen, der Kita Piratennest im Haus, Fanshop auf der Reeperbahn, Hilfsaktionen für Flüchtlinge. Auf einem T-Shirt steht seit einem bereits etwas angestaubten Sieg der Underdogs gegen die Bayern "Weltpokalsiegerbesieger". Der aktuelle Technische Direktor Ewald Lienen war in der Friedensbewegung, der Präsident Oke Göttlich kam aus dem Fanblock und leitet ein unabhängiges Musiklabel, ein Aufsichtsrat ist Streetworker.

Als Marke und bei den Sympathiewerten hat der FC St. Pauli den ehemaligen Meister weit überflügelt, wie wieder eine Studie der TU Braunschweig bestätigte. Da belegten die weltweit umschwärmten Totenköpfler bei der letzten Studie der 36 deutschen Profiklubs Rang vier und fünf, der HSV Platz 24 und 32. Bei den Gummienten dagegen wirken die bunten Modelle des HSV in der Badewanne mittelfristig stabiler. Man wird sehen, wie sich das Verhältnis auf dem Platz fügt, jetzt, da die Weltstadt Hamburg im Fußball zweitklassig ist, ein Jammer, mindestens ein Jahr lang.

Beim FC St. Pauli beginnen Heimspiele stets mit "Hells Bells", beim HSV singt Lotto King Karl "Hamburg, meine Perle". HSV-Mäzen ist der Spediteur und Milliardär Klaus-Michael Kühne, einer der reichsten Erdenbürger, der gerade eines der teuersten Hamburger Hotels (Fontenay, an der Alster) gebaut hat und seine Anteile beim HSV gerne los werden würde. Die Mitgliederzahl dagegen schnellte auf 85 000 Mitglieder empor. Alles weitere wie gesagt bald in den Kammerspielen. Tags zuvor spielt der HSV gegen Regensburg, 2. Liga.

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