Frisch bezogen:In Bewegung

Das Hotel Amerikalinjen im Gebäude einer ehemaligen Reederei in Oslo erinnert an Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Und integriert die Auswanderer von heute.

Von Evelyn Pschak

Als Norwegen noch ein armes Land war und gerade erst, nach Jahrhunderten politischer Fremdbestimmung unter dänischer und dann schwedischer Krone, in die Unabhängigkeit entlassen, entstand die Reederei Den norske Amerikalinje. Die "Norwegische Amerikalinie" wurde 1910 in Oslo gegründet, das damals nach einem dänischen König Kristiania hieß, und stellte Norwegens erste Linienverbindung nach New York. Mit ihr verließen rund 900 000 Auswanderer ihre Heimat in der Hoffnung, dass sich für sie der amerikanische Traum erfüllt.

In den ehemaligen Hauptsitz der Reederei in Oslo ist nun das Hotel Amerikalinjen eingezogen. Die Hotel-Cocktailbar "Pier 42" ist nach dem Anlegesteg in Manhattan benannt, an dem die Auswanderer zum ersten Mal amerikanischen Boden betraten, und im Untergeschoss wird im Jazzclub Gustav, dessen Name an den Gründungsdirektor der Reederei erinnert, an die Musikhistorie der USA angeknüpft. Elegante Kugellampen hängen gebündelt von der Decke, leuchten den Weg ins Souterrain und zu den 122 Gästezimmern des Hotels. Produziert wurden sie von Hadeland Glassverk. Die Glasbläserei, die mehr als 60 Jahre lang Glasware für Amerikalinjen herstellte, fertigt seit 1762 nördlich von Oslo Glasobjekte und gilt damit heute als ältestes Industrieunternehmen des Landes. Die Mitarbeiter sind für ihr Geschick bekannt. Auch Norwegens größter Kronleuchter, der 8,5 Tonnen schwer ist und mit sieben Metern Durchmesser das nur einen Steinwurf vom Hotel entfernte Opernhaus Oslos ziert, entstand bei Hadeland.

Wilhelm Hartwigs Vater hatte für eine Überfahrt bei der Reederei angeheuert: "Er spielte Saxofon und wollte unbedingt mal nach New York, um all die Jazzklubs zu sehen", erzählt der 37-jährige Direktor des Hotels. Was dem Vater dann auch gelang. Allerdings musste dieser Kartoffeln schälen, um die Passage bezahlen zu können.

Das Herz des Hauses: einst Auswanderer, heute Touristen und Flüchtlinge

Fast jeder Norweger, da ist Hartwig überzeugt, sei über seine Familiengeschichte mit der Reederei verknüpft, die es seit 1995 nicht mehr als eigenständiges Unternehmen gibt. "Das ist ein emotionales Erbe. Und ich möchte, dass dieses Haus wieder im Selbstverständnis der Norweger verankert ist", sagt Hartwig. Er bedauert, dass die Geschichte des Gebäudes dem Vergessen anheim gefallen war, seit die Reederei 1983 - Flüge über den Atlantik hatten das Geschäft zunehmend unrentabel gemacht - Büroeinheiten weichen musste. "Als ich meinen Osloer Freunden erzählte, welche Stelle ich annehmen würde, musste ich ihnen genau erklären, von welchem Gebäude ich sprach. Dabei waren die Menschen einst so stolz darauf, für Amerikalinjen zu arbeiten."

Wie viel Prestige in diesem Bau von 1919 steckte, ist der neo-barocken Fassade noch immer abzulesen: Granitplatten und Tünche in Ochsenblutrot umspannen den Haupteingang, den die Skulpturen zweier Hafengötter flankieren. Im Innern zeugen hohe Gewölbe, Holzschnitzarbeiten und Stuckapplikationen von der Reedereirolle als Stolz der Nation. Diesen Stolz empfinden heute offensichtlich auch die Mitarbeiter für ihr Hotel, was sich wohl am Eindrücklichsten an Chefkoch Steffen Hansen festmachen lässt.

Natürlich ist Hansen tätowiert, einem untätowierten Koch würde er nicht über den Weg trauen, sagt der Mittdreißiger lachend. An einem seiner Tattoos allerdings lässt sich ein besonderes Bekenntnis zum neuen Arbeitsort ablesen: Gleich unter dem Porträt von Kate Moss prangt am rechten Unterarm das A-Logo des Hotels. Gerade steht der vollbärtige Nordnorweger mit seiner Mannschaft in der Küche und bereitet das Frühstück vor. Von den Holztischen des Restaurants aus hat man freien Blick auf die hinter der chromblitzenden Ausgabe aufgereihte Küchenbrigade. Sie arbeiten an Platten mit rohem Lachs oder Blauschimmelkäse aus Stavanger neben Smoothies aus Erdbeeren und Kurkuma.

Was das Küchenteam sich zudem ausgedacht hat, freut Hoteldirektor Wilhelm Hartwig besonders: In Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz von Oslo teilen Migrantinnen ihre besten Rezepte mit dem Chefkoch. Diese Mama's Dishes kommen samt Kurzbiografie der Köchinnen auf die Restaurantkarte, ein Teil der über sie erwirtschafteten Einnahmen wird wieder ans Rote Kreuz gespendet. Das Rote Kreuz sei überhaupt ein wichtiger Partner des Hotels, sagt Hartwig. So konnte er über eine durch die Hilfsorganisation organisierte Personalvermittlung drei Geflüchtete für Restaurant und Küche anstellen. Schließlich seien Menschen in Bewegung das Herz des Gebäudes, so der Norweger. Und dazu zählten die damaligen Auswanderer, die heutigen Touristen und die Menschen mit Flüchtlingshintergrund, die in Norwegen landen: "Wir ließen das Land vor 100 Jahren mit den haargenau gleichen Träumen hinter uns. Inzwischen leben wir privilegiert - und können die Menschen, die heute das Gleiche durchleben, darin unterweisen, Teil dieser Gesellschaft zu werden."

Amerikalinjen, Jernbanetorget 2, 0154 Oslo, DZ/Nacht ab 220 Euro, amerikalinjen.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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