Am Anfang war es nur ein Gedankenspiel beim Blick von Bergstationen hinunter auf unberührte Hänge, die in Tälern endeten, aus denen es per Lift kein Zurück mehr gab. Daraus wurde der Plan, die Alpen von Skigebiet zu Skigebiet zu queren: Rauf per Lift, runter auf kaum befahrenen Tiefschneerouten, dazwischen allenfalls kurze Aufstiege mit Fellen oder mit geschulterten Skiern. Faszinierend wie Heliskiing, aber ohne teuren Helikopter - ein Traum für Freerider.Das Ergebnis: ein abenteuerlicher Entdecker-Trip in die unbekannten Ecken namhafter Skigebiete Vorarlbergs und der Schweiz, bei dem nicht alle ans Ziel kamen.Foto: Penning
Am Morgen des ersten Tages ziehen dicke Nebelschwaden um die Gipfel am Hochjoch im Montafon. "Nicht zu fassen, drei Wochen lang war es sonnig, und jetzt so etwas!" Der Schweizer Skilehrer und Erfinder des "Alpencross", Jürg Graf, und seine Begleiter haben sich den Start für ihre Traumtour anders vorgestellt. Auch der Wetterbericht für die nächsten Tage ist wenig ermutigend. Trotzdem fährt die Gruppe los.Am Kreuzjoch ist die Euphorie genauso gedämpft wie das diffuse Licht im Wolkennebel. Die rot-weiß-rote Fahne an der Hütte steht wie ein Brett waagrecht im Sturm. Schneefahnen peitschen am Grat senkrecht gen Himmel. Die einzig sinnvolle Entscheidung heißt: eine Pause einlegen.Jürg Graf. Foto: Penning
Durch die vereisten Fenster der Grasjochhütte schimmert von draußen nichts als milchiges Weiß. Jürg Graf zieht die Karte aus seinem Rucksack. "Erst mal müssen wir die Routen nach St. Gallenkirch finden", sagt er. Sein Finger wandert über eng beieinander liegende Höhenlinien, vorbei an Felsabbrüchen, doch: "Solange die Sicht so schlecht ist, wäre das russisches Roulette."Foto: Penning
Zwei Stunden später: Es stürmt immer noch, aber der Föhn reißt jetzt immer größere Löcher in die Wolkendecke. Nach schweißtreibender Kletterei am Grat endlich der erste Tiefschneehang. Auf der Abfahrt zur Zamangalpe (Zamangalm) ist die Welt wieder in Ordnung.Foto: Penning
Zuversicht macht sich breit, die Alpenquerer packen die Felle aus. Es gilt, den Nachmittag mit Kaiserwetter zu nutzen. Nach etwa einer halben Stunde Aufstieg ist das nächste Joch erreicht, die Traumabfahrt nach St. Gallenkirch versöhnt mit dem holprigen Start der Tour am Morgen.Foto: Penning
Kontrastprogramm am nächsten Tag: Die Rolltreppe zur Gondelbahn in Gargellen erinnert an die Münchner U-Bahn. Dafür entschädigt der Schnee, fast ...Foto: Penning
... einen Meter hat es über Nacht geschneit. Jeder Schwung gleicht Tauchen durch weiße Gischt. Es schneit und schneit, wie auf Watte schweben die Ski ins Tal, heben von riesigen Schneepilzen ab. Einziger Wermutstropfen: Nach dem Neuschnee ist ein Weiterkommen von Gargellen über das St. Antönier Joch ins Prättigau zu riskant - Lawinengefahr. Jetzt heißt es neu planen.Die Entscheidung ist hart aber vernünftig. Jürg Graf und seine Skibegleiter brechen die Tour ab, bei der Schneelage ist sie zu gefährlich. Eine Woche später trifft sich die Truppe in etwas veränderter Besetzung wieder. Das Wetter ist nun stabiler. Nach der Abfahrt vom St. Antönier Joch geht es mit dem Zug nach Klosters.Foto: Penning
Als Krönung der Variantenabfahrten in der Skiregion Klosters/Davos wartet am Abend die Abfahrt vom Weissfluhjoch ins einsame Sapüntal.Foto: Penning
Im letzten Licht der blauen Stunde erscheint eine kleine Bergsiedlung namens Dörfli wie eine Märchenwelt: Es ist ein Dorf wie vor hundert Jahren und illustriert perfekt das "Heidi"-Bild von der Schweiz. Die Holzhäuser sind tief verschneit, Straßen gibt es hier oben auf 1900 Metern nicht, nur Stapfspuren im Schnee. Zwischen den Holzkreuzen der Fenster strahlt warmes Licht aus urigen Stuben.Foto: Penning
Doch die Freerider folgen einem Forstweg weiter talauswärts. Bei der Ankunft am Bahnhof in Langwies ist es bereits dunkel, vor den Alpencrossern liegen noch 20 Minuten Bahnfahrt bis nach Arosa.Foto: Penning
Das Arosa Weisshorn ist am nächsten Morgen Ausgangspunkt für die nächsten Skiabenteuer. Nicht auf den präparierten Pistenautobahnen, sondern nordseitig auf "Schleichwegen" in 50 Zentimetern Pulverschnee. Da ist selbst nach großen Hüpfern die Landung weich.Foto: Penning
"Hier entdeckst du Skigebiete, die du in keinem Skiatlas findest", schwärmt Jürg Graf über die Besonderheiten eines Alpencross auf Skiern. Am Ende der Abfahrt wartet das nächste Kleinod: das Örtchen Tschiertschen.Foto: Penning
Von der Bergstation des Skigebiets Tschiertschen ist der Gipfel des Girgaletsch nach einer guten Viertelstunde Stapfen erreicht. Die Mühe wird mit Tiefschneeabfahrten durch anspruchsvolle Couloirs (schmale Felsrinnen, Anm. d. Red.) in Richtung Churwalden und Lenzerheide belohnt.Foto: Penning
Dass das Fahren abseits der Pisten nicht ungefährlich ist, bekommt einer der Teilnehmer schmerzhaft zu spüren: Ein Steinblock, unsichtbar unter der Pulverauflage versteckt, bremst die Ski in Sekundenbruchteilen auf null. Er überschlägt sich, knallt mit dem Oberschenkel auf den nächsten versteckten Felsen. Während einer kleinen Pause im Tal wird es zur Gewissheit: Für den verletzten Freerider ist der Trip vorbei.Foto: Penning
Das Farbspektakel am Abendhimmel kann die gedrückte Stimmung der Gruppe wieder etwas heben. Sie fahren durch eine bizarre Landschaft auf Hügeln und Wechten von der Bergstation der kleinen Skistation Pradaschier bei Churwalden in gemütlichem Tempo ins Bergdorf Feldis.Foto: Penning
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln lässt sich schnell das nächste Skigebiet erreichen, wenn im Tal mal kein Lift ist: Nach einer kurzen Busfahrt am nächsten Morgen beginnt die nächste Etappe im Skigebiet Flims/Laax. Ein paar Gondelfahrten später heißt es wieder: Pistenzirkus, ade!Foto: Penning
Am Vorabgletscher werden erneut die Tourenfelle übergestreift. Ein letztes Mal geht es hinein in unberührte Natur. Ein halbe Stunde Aufstieg erschließt ein traumhaftes Panorama.Foto: Penning
Elegant schrauben sich die Spuren durchs Jetztal hinab nach Elm. Diese Abfahrt wird sonst weder bei einer normalen Skitour noch beim traditionellen Freeriden gewählt. Denn um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, müsste man stundenlange Autofahrten auf sich nehmen. Für uns dagegen liegt hier das Ende unserer Skireise. Und die Entdeckung der Einsamkeit macht gerade den Reiz einer Alpendurchquerung auf Skiern aus.Foto: Penning
Die RouteTraumhafte Abfahrten wie auf einer Skitour, aber kaum mehr als insgesamt vier Stunden Aufstieg an vier Tagen. Beim Freeride-Alpencross entdeckt man das Skifahren von einer ganz neuen Seite. Hier die Route im Detail:1. Tag: Schruns (700 m) - Kreuzjoch (2395 m) - Zamangspitze (2387 m) - Zamangalpe (1859 m) - St. Gallenkirch (878 m) - Silvretta Nova (Bella Nova, 2101 m) - Rüti (1100 m) - Bus nach Gargellen (1423 m).Bergbahnen: Silvretta Nova Bergbahnen AG, Übernachtung: Montafon Tourismus2. Tag: Gargellen (1423 m) - St. Antönier Joch - Silbertäli - St. Antönien - Bus nach Schiers, Bahn nach Klosters (1194 m) - Gotschnagrat (2285 m) - Weissfluhgipfel (2844 m) - Sapün - Langwies (1377 m) - Bahn nach Arosa (1775 m).Bergbahnen: Silvretta Nova Bergbahnen AG; Davos Klosters Bergbahnen AG Übernachtung: Arosa Tourismus3. Tag: Arosa (1775 m) - Arosa Weisshorn (2653 m) - Tschiertschen (1350 m) - Gürgaletsch (2440 m) - Churwalden (1230 m) - Paradaschier - Windegga (2230 m) - Feldis (1470 m)Bergbahnen: Arosa Bergbahnen AG,Pradaschier AG,Feldis Bergbahnen Übernachtung: Gästeinformation Thusis: feldis.ch4. Tag: Feldis (1470 m) - Rhäzuns (657 m) - Bus nach Laax (1100 m) - Vorabgletscher (3018 m) - Häxenseeli (2224 m) - Elm (977 m).Bergbahnen: Films, Laax, Falera, laax.com, Sportbahnen ElmÜbernachtung: Laax Mountain Vision AG, Ferienregion ElmDie Route ist so geplant, dass in den Skigebieten Zeit für zusätzliche Freeride-Abfahrten bleibt.Bahnverbindungen unter sbb.chKarte: sueddeutsche.de
Auf Nummer sicherBei einem Alpencross auf Skiern ist eine komplette Notfallausrüstung für jeden Teilnehmer unverzichtbar. Checken Sie jeden Tag vor dem Start Wetter- und Lawinenlage. Worauf Sie sonst noch achten sollten:Risiko: Die meisten Abfahrten verlaufen im ungesicherten Gelände. Sie sollten deshalb alpine Erfahrung mitbringen und die Lawinengefahr realistisch einschätzen können. Es empfiehlt sich dringend, einen Bergführer zu buchen.Ausrüstung: Ein LVS-Gerät und ein Rucksack mit Schaufel und Lawinensonde gehören zur Pflichtausstattung. Wählen Sie den Rucksack nicht zu klein. Ein Rucksack mit etwa 40 Litern Volumen bietet Platz für etwas Wechselwäsche, eine Thermosflasche für warme Getränke und persönliche Utensilien. Mindestens ein Mitglied pro Gruppe sollte einen Biwaksack und ein Erste-Hilfe-Set mitnehmen.Foto: Penning
Orientierung: Besorgen Sie sich vor der Tour genaue Karten der Gebiete im Maßstab 1:25.000. Auch ein GPS-Gerät ist sinnvoll.Route: Verzichten Sie bei schlechter Sicht oder Lawinengefahr auf Abfahrten in unbekanntes Gelände abseits der Pisten. Brechen Sie die Tour notfalls ab oder bleiben Sie in dem Skigebiet, in dem Sie gerade sind.Lawinengefahr: Checken Sie täglich vor dem Start unbedingt den Lawinenlagebericht: lawine.at, slf.ch(sueddeutsche.de/kaeb/dd)Foto: Penning