Wer so viel Geld für eine Übernachtung zu zahlen bereit sei, müsse natürlich designbesessen sein, sagt Hubert Bonnet. "Und dann muss man morgens trotzdem erst durch den Garten, um ins Badezimmer zu kommen." Der Kunstsammler Bonnet, der in Brüssel die Kunststiftung "Fondation CAB" betreibt, hat seit vergangenem Sommer einen Teil seiner Sammlung an die Côte d'Azur verlegt, in den Ort Saint-Paul-de-Vence. In den schönen Galerieräumen mit geschwungener 50er-Jahre-Architektur lassen sich nicht nur Installationen und Werke betrachten. Man kann hier auch übernachten.
Und zwar entweder in den mit originalem Mid-Century-Design eingerichteten vier Gästezimmern im Haupthaus, zwischen Samtsesseln von Fritz Hansen, geschlitzten Stahllampen von Alvar Aalto und Spiegeln des Brasilianers Sergio Rodrigues. Oder in einem der Ausstellungsstücke selbst: im hölzernen Maison Prouvé im Garten des Stiftungsanwesens - wo eben das Badezimmer außerhalb des kleinen Blockhäuschens liegt.
Benannt ist es nach seinem Schöpfer, dem 1984 in Nancy verstorbenen Jean Prouvé. Der Kunstschmied, der der Résistance angehörte, übertrug industrielle Produktionstechniken in die Architektur. Von 1939 an entwickelte er eine Konstruktionsweise für zerlegbare Bauten aus standardisierten, vorgefertigten Holzmodulen. Das erste Gebäude wurde 1944 konstruiert; die Bauten sollten helfen, die damalige Wohnungsmisere in Lothringen und der Franche-Comté zu entschärfen. Auch die Hütte, die inzwischen in Saint-Paul-de-Vence aufgebaut ist, entstammt jener Zeit. Hubert Bonnet ließ den 36 Quadratmeter großen Holzbau mit dem Wellblechdach über den Wasserbecken seines Stiftungsanwesens aufbauen, kleine Goldfische tauchen unter dem Fundament hindurch. Hell und zeitgenössisch wirkt das Haus und kein bisschen in die Jahre gekommen. Nur das Interieur bezeugt die Entstehungszeit: Ums Tischchen mit gelber Resopalplatte stehen rot gepolsterte Lederstühle, ebenfalls Originale von Prouvé.
Die Kunststiftung Fondation CAB hat in Saint-Paul-de-Vence in einem Haus mit geschwungener 50er-Jahre-Architektur ihren Sitz.
(Foto: Antoine Lippens/Antoine Lippens)Übernachten kann man hier beispielsweise im hölzernen Haus Prouvé, einem der Ausstellungsstücke.
(Foto: Antoine Lippens/Antoine Lippens)Oder in den mit originalem Mid-Century-Design eingerichteten vier Gästezimmern im Haupthaus.
(Foto: Antoine Lippens/Antoine Lippens)Elektrizität, Isolierungen oder eine Nasszelle waren in den 1940er-Jahren nicht vorgesehen - daher wurde das Badezimmer im Pumpenhäuschen untergebracht, das zuvor die Springbrunnenanlage der überbauten Bassins beherbergte. Heutigen Übernachtungsgästen stehen zudem eine Klimaanlage und elektrisches Licht zur Verfügung, Steckdosen wurden kunstvoll in Holzdielen eingelassen, hinter der Bettenwand entstand Platz für einen Kühlschrank. Kompliziert sei das mit der Elektrizität gewesen, seufzt Bonnet. Und auch wenn das Haus inzwischen heutigen Ansprüchen angepasst wurde - an den Kleiderhaken, ebenfalls von Prouvé entworfen, hängen zwei flauschige Bademäntel, die Bettwäsche ist mit den Initialen der Stiftung bestickt - sollte man wenig Luxus und eben viel Design erwarten in einer Nacht in der Maison Prouvé: "Das Erlebnis zählt", sagt der Sammler.
Bonnets Stiftung komplettiert den Kunstparcours der Gemeinde. Etwas weiter die Straße hoch befindet sich die Fondation Maeght, die als Frankreichs erste privat initiierte Kunstinstitution gilt. Am 1964 durch ein Galeristenpaar eröffneten Museum mit Skulpturengarten arbeiteten herausragende Künstler mit: Georges Braque verzierte die Wasserbecken mit Mosaiken, Marc Chagall die Wände, Joan Miró entwarf Keramiken für ein Labyrinth entlang der Garten- und Terrassenwege. Das Museumscafé wurde von Diego Giacometti gestaltet, dem jüngeren Bruder von Alberto Giacometti, dessen schlanke Bronzen ebenfalls in der Museumssammlung zu finden sind.
Ein weiteres Hotel ist wie ein Tête-à-Tête mit der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts
Dass dieser kleine Ort auf einer felsigen Anhöhe, eingefasst vom Rund der Wehrmauern aus dem 14. und 16. Jahrhundert, sich bereits seit den 1920er-Jahren zum Treffpunkt der Künstler entwickelte, ist dem Hotel La Colombe d'Or zuzuschreiben. Die Wände und Decken der beiden Speisesäle zeugen von den illustren Hausgästen der vergangenen Jahrzehnte: Man sitzt unter einem Blumenbouquet aus der Hand Picassos, einem Hummerbildnis von Georges Braque, einer großen Abstraktion Joan Mirós oder einem Mobile von Alexander Calder neben weiteren Arbeiten von Matisse, César oder Pierre Bonnard. Es ist wie ein Tête-à-Tête mit der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Von der gemauerten kleinen Terrasse des Hotelzimmers Nummer 26 aus fällt der Blick auf Zypressen und Bruchsteinmauern in hellem Grau, auf die Platanen am Bouleplatz des Dorfes, gleich beim Café de la Place, wo sich mittags Touristen zum Mittagstisch einfinden. Irgendjemand spielt hier immer gerade Pétanque. Wer beim Spiel keinen einzigen Punkt erlangt, der wird ins Café geschickt, um den Po von "Fanny" zu küssen, einer Skulptur des Bildhauers César, diskret hinter einem rotem Theatervorhang versteckt. Blankpoliert ist er, vom Geschmatze der Generationen - und natürlich vom Desinfektionsmittel der letzten zwei Jahre, wie ein Kellner launig erklärt.
In der Fondation CAB übernachten bis heute Künstler
Ein lokaler Künstler hat im Zimmer 26 eine auf Leinwand gebannte Boule-Szene hinterlassen, aber auch ein kleines Ölbild des Hotelgründers Paul Roux, dessen Enkel François inzwischen das Haus führt, ist hier zu sehen, eine provenzalische Landschaft mit schmalen, windgebeugten Zypressen und einem kleinen Häuschen, wohl nicht viel größer als die Maison Prouvé. Seinerzeit tüftelte Paul Roux mit seinen Künstlerfreunden Henri Matisse und André Derain die Idee aus, im Ort eine Malschule zu eröffnen, die jedes Jahr einen jungen Künstler kürte - der Preis war ein Aufenthalt in der Colombe d'Or.
Auch die Fondation CAB lässt Künstler bei sich übernachten, heute heißt das eben Artist-in-Residence-Programm. Die Amerikanerin Tessa Perutz etwa zeigt hier ihre leuchtenden Gouachen. Die 33-Jährige begab sich dafür auf die zahlreichen Spuren der großen Künstler, die in den vergangenen Jahrzehnten herkamen, der Magie des Südens folgend. Am Ende landeten sie alle in Saint-Paul-de-Vence. Schon die Avantgarde liebte es lieblich. Und der Tourist liebt es eben auch.
Informationen
Fondation CAB, DZ ab 200 Euro, Übernachtung in der Maison Prouvé ab 600 Euro, www.fondationcab.com
La Colombe d'Or, DZ ab 380 Euro, www.la-colombe-dor.com
Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.