Frankreich:Biarritz, die launische Schönheit

Frankreich: Stadt der Wellen: Normalerweise schaut man von Biarritz' Strand aufs Meer, die umgekehrte Perspektive ist aber auch reizvoll.

Stadt der Wellen: Normalerweise schaut man von Biarritz' Strand aufs Meer, die umgekehrte Perspektive ist aber auch reizvoll.

(Foto: Kirstin Scholtz/AFP)

Die baskische Stadt an Frankreichs Atlantikküste hat einen rauen Charme - und gerade deshalb so viele Verehrer.

Von Marlene Weiß

Das Meer und die Küste gehören zusammen auf Gedeih und Verderb. Ist der Ozean ein lauwarmes, wellenloses Süppchen, sehen auch die Strände schlapp aus; ist er rau und wild, wird die Küste es auf Dauer auch. Wenn man von Biarritz aus aufs Meer schaut, sieht man, dass der Atlantik es hier schon immer bitterernst gemeint hat. Die bizarr geschliffenen Felsen, die steilen Klippen sind sein Werk; sie stehen wie Warnungen vor den langen, weißen Sandstränden. Ich kann auch anders, soll das wohl heißen.

Nur, dass hier in Biarritz der Einfluss des Meeres nicht am Strand aufhört. Die ganze Stadt ist ein Abbild des Ozeans. An jedem idyllischen Sandstrand erinnert ein scharfkantiger Felsklotz unsanft daran, dass man bitte schön an der Biskaya ist und nicht in der Karibik; und in fast jeder Jugendstil- oder Second-Empire-Häuserzeile tritt einem eine Bausünde brutal vors Schienbein. Der alte Hafen ist mit seinen Fischerhütten sehr malerisch, aber für allzu nostalgische Gefühle ist er dann doch zu rostig und abgerockt. Herber Charme, deine Heimat heißt Baskenland.

Und wenn das Meer sich eine ganze Stadt zu eigen gemacht hat, warum sollte es bei den Menschen aufhören? Tut es nicht. Jedenfalls nicht bei René Sibers, einem drahtigen, ergrauten Rentner, der morgens bei grauem Wetter die Küstenpromenade entlangjoggt, vorbei an prächtigen Palästen und Siebzigerjahre-Klötzen, aber wer hier nicht aufs Meer schaut, ist sowieso selber schuld. "Also meine Meinung ist: Die haben zu viel Werbung für die baskische Küste gemacht", sagt er, noch etwas atemlos. "Jetzt kommen immer mehr Touristen." Streng genommen ist außer der Reporterin allerdings kein einziger zu sehen, jetzt, an einem Morgen in der Vorsaison, aber zugegeben, im Hochsommer werden es mehr.

Nicht, dass das nicht verständlich wäre. "Wenn man hier lebt, dann bleibt man, ist doch klar", sagt Sibers. Schließlich sei es nirgendwo schöner als in Biarritz. 1962 hat er hier mit Surfen angefangen. Da war Biarritz gerade der erste Surf-Spot Europas geworden. Angeblich nachdem die Hollywood-Schauspielerin Deborah Kerr ihren Ehemann mit herbrachte und der seinerseits ein Surfbrett. Bis heute ist die Gegend ein bekannter Spot. Es soll sogar Australier geben, die hier nach Abwechslung suchen; und ganze Bettenburgen am Strand sind offensichtlich auf Surfer ausgerichtet. Südlich von Biarritz bricht zuweilen - wenn die Bedingungen passen - Belharra, eine der größten Wellen der Welt.

Besser nicht googeln: In dem Hotelzimmer wohnte schon einmal ein Diktator

Taucher-Neoprenanzüge hatten René Sibers und seine Kumpels damals beim Surfen an, weil es noch keine Surf-Anzüge gab, die Bretter baute der Schreiner. Inzwischen kann er nicht mehr aufs Wasser, die Schulter. "Aber jetzt sind es eh zu viele geworden", sagt er missmutig. "Mit diesen neuen Brettern meint ja jeder, dass er surfen kann." Dann muss er weiter, "Ciaociao", sagt er, schon im Davonjoggen, und winkt. Das Meeresrauschen übertönt ihn.

Ein paar Schritte weiter liegt der alte Aussichtspunkt, an dem die Fischer einst nach Walen Ausschau hielten, wenn sie nicht gerade mit Schmuggeln über die nahe spanische Grenze beschäftigt waren. Wurde ein Wal gesichtet, rannte man zu den Booten und fuhr hinaus. Biarritz war bettelarm.

Irgendwann blieben sie weg, die Wale. Stattdessen kam Eugénie, die junge, hübsche und legendär fromme Gattin von Napoléon III. Sie überredete ihren Mann, in Biarritz eine Residenz zu bauen, und Biarritz wurde zum Badeort. Eugénies Palast ist heute das Hotel du Palais, ein elegantes Haus direkt am Strand. In den prachtvollen Zimmern voller antiker Möbel hängt die Geschichte so samtig und schwer wie die Vorhänge, aber man muss nur ein Fenster öffnen, um direkt über dem Meer im Wind zu stehen wie ein siegreicher Flottenadmiral. Im eigenen Zimmer, so liest man im Archiv der New York Times, residierte einst Mobutu Sese Seko, langjähriger Kleptokrat von Zaire. Lehre für die Zukunft: Nicht das Hotelzimmer googeln. Diktatoren müssen eben auch irgendwo schlafen.

Biarritz

SZ-Karte

Später kommt die Sonne heraus, es wird doch noch ein heißer Sommertag, der Wetterbericht hatte Kälte und Dauerregen vorhergesagt. Typisch, sagt jeder, bei dem man sich darüber beschwert, die irren sich hier immer. Muss an der Biskaya liegen. Immerhin ließen die tückischen Verhältnisse hier früher reihenweise Schiffe untergehen, was will man da vom Wetterbericht erwarten. Egal, auf welche Witterung man eingestellt ist - ein Besuch im Aquarium lohnt sich bei Sonne oder Regen. Es ist eine erstaunliche Erfahrung.

Stéphane Connole, der hier arbeitet, führt an springenden Rochen, zauberhaften Seeanemonen und einer meterlangen grünen Muräne vorbei, die dem Basilisken bei Harry Potter beängstigend ähnlich sieht. Aber dann kommt das meterhohe Becken mit den Haien, und Connole erzählt, wie die Tierpfleger zu zweit tauchen, um die Wände zu reinigen; einer putzt, einer achtet auf die Tiere. Wie friedlich die Haie sind. Dass andere Fische in dem Becken viel gefährlicher sind, weil sie einfach so angreifen, was Haie nie tun würden.

Skandalös unangekündigt erscheint schon wieder die Sonne

Am Stadtrand liegt dann gleich noch ein Meer-Museum: Die Cité de l'Océan, ein schickes, wellenförmiges Gebäude. Man kann virtuell surfen und in einem 3-D-Film erleben, wie es ist, im U-Boot von einem Riesenkraken angegriffen zu werden. Alles sehr elektronisch, nicht immer funktioniert es so ganz, aber sehr praktisch, wenn man schon immer mal trockenen Fußes den Ozean besichtigen wollte.

Am nächsten Tag scheint schon wieder skandalös unangekündigt die Sonne. An der kleinen Bucht zwischen den beiden langen, sehr langen Stadtstränden treffen sich am späten Vormittag die "Eisbären", der lokale Ganzjahres-Meeresschwimmklub. Betty kommt gerade aus dem Wasser, die Haare noch feucht, sie ist mit 87 Jahren gleich alt wie der Schwimmverein und schwimmt noch immer jeden Tag, im Sommer wie im Winter. Auch im Winter? "Gerade im Winter!", sagt sie triumphierend.

Sie hat mal hier und mal da gelebt, aber seit sehr langer Zeit immer an der Küste, in Nizza und Antibes an der Côte d'Azur, seit 15 Jahren in Biarritz. Und jeden einzelnen Tag ist sie im Meer geschwommen, "die Disziplin tut mir gut". Es wird Mittag, die zweite Schwimmschicht der "Eisbären" trudelt am Strand ein. Jean-Bernard zum Beispiel, der behauptet, 73 Jahre alt zu sein, was man nicht glauben kann, so vital wirkt er; Claire, der man das viele Schwimmen ansieht; und Michel, der das Rentenalter auch schon lange erreicht hat, aber würdevoll in der Badehose heranschreitet, ein baskisches Lied trompetend. Wahrscheinlich handelt es von einer tragischen Liebesgeschichte, es klingt jedenfalls nach mehreren Todesfällen.

Die "Eisbären" sind nicht mehr die Allerjüngsten, der Altersdurchschnitt liege bei 62 Jahren, will Jean-Bernard mal ausgerechnet haben. Junge Schwimmer haben vielleicht nicht so viel Zeit, aber tatsächlich ist die Demografie in Biarritz generell nicht ganz einfach: Die Mieten steigen und steigen, Zweitwohnungen treiben die Preise hoch, und mehr Bauland gibt es kaum. Viele jüngere Leute kommen da nicht mehr mit und ziehen weg. Seit Jahren schrumpft daher die feste Bevölkerung, obwohl die Stadt wächst und wächst.

Man wassert gemeinsam in der wellenlosen Bucht, die einen schnell und prustend, die anderen gemächlich; es ist, als sei man schon immer dabei gewesen, im Meer sind alle gleich. Die "Eisbären" müssen danach schon wieder irgendeinen Geburtstag feiern, jemand hat Wein und etwas zu essen mitgebracht. Bei ein paar Hundert Mitschwimmern steht alle paar Tage ein Anlass an. Aber es ist leider schon Zeit, sich zu verabschieden, Samir wartet.

Samir, dem neben seinem zum Pferdeschwanz gebundenen Haar auch der Schalk im Nacken sitzt, ist Surflehrer an der Côte des Basques, der Küste der Basken, die jedoch gerade fest in der Hand der Surfanfänger ist. Ein endlos langer Strand, am anderen Ende ist Frankreich fast schon Spanien. Schnurgerade Wellenkämme, kalifornisch-baskische Tiefenentspannung, ein gelbes Anfänger-Surfbrett neben dem anderen. An wen wohl der joggende René Sibers dachte, als er sich über Leute beschwerte, die meinen, surfen zu können? Hier glaubt das keiner. Es kann aber auch keiner. Macht nichts, jede halbwegs erwischte Welle ist ein gefeiertes Erfolgserlebnis, und wenn man wieder einmal untergeht, hat wenigstens Samir etwas zu lachen. Er lacht viel an diesem Tag.

Mittendrin schlägt das Wetter um: Aus goldenem wird grau-fahles Licht, plötzlich regnet es in Strömen, ein Gewitter zieht auf. Langsam wird es ungemütlich, die Surfer rennen geschlossen aus dem Wasser, Bretter unter dem Arm. Ach, Biskaya, die nächste Welle wäre es gewesen, bestimmt.

Reise-Informationen

Anreise: Mit Air France zweimal täglich über Paris/Charles de Gaulle, sechsmal täglich über Paris/Orly, ca. 300 Euro, www.airfrance.de

Unterkunft: Hotel du Palais, 1 Avenue de L'Impératrice, 64200 Biarritz, DZ ab 400 Euro, www.hotel-du-palais.com; Hotel La Réserve, 1 Avenue Gaëtan De Bernoville, Pointe Sainte Barbe, 64500 Saint-Jean-de-Luz, DZ ab 195 Euro, www.hotel-lareserve.com

Surfen: Association des Ecoles de Surf Biarritz, www.aesb.fr; Surfschule Lagoondy, Tel. 0033 609 74 25 19, www.lagoondy.com

Weitere Auskünfte: www.biarritzocean.com, www.tourisme.biarritz.fr, http://de.france.fr

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