Frankreich: Gordes (SZ):Der Geruch des Goldes

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Gordes, so heißt es, sei eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Und weil das Profit verspricht, will der Bürgermeister sein Bergstädtchen dem Massentourismus öffnen.

Eva-Elisabeth Fischer

(SZ vom 21.08.2001) - Schön. Was heißt denn schon schön. Von Gordes aber heißt es, es sei eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Das sagt noch gar nichts darüber, wie es dort aussieht. Ist es der Blick, den man vom Dorf aus hat?

(Foto: N/A)

Ein Renaissance-Gemälde

Die eine sagt, und lässt das Auge frei übers Tal schweifen, dies sei doch ein von der Natur gemaltes Renaissance-Gemälde.Stimmt. Die von der schon heißen Morgenluft weichgezeichneten Konturen des Luberon im Hintergrund, das viele Grün, silbrig schimmernd das der Oliven, viel heller, manchmal apfelig frisch, manchmal ins hellgraue changierend das des Rosmarins, saftig das der Weinblätter und nahezu schwarz das der Zypressen. Das Lehmgelb des harten Bodens, das Ziegelrot der Felsen im Hintergrund, die einem anderen berühmten Ort den Namen gegeben haben: Roussillon.

Das Paradies hinter der Straßensperre

Die andere, der ein paradiesischer Garten am Rande des Dorfes gehört mit formgeschnittenem Bux, Lavendel und schwellenden Rosen, findet in der Landschaft um Gordes eben das Paradies. Stimmt auch. Zumindest für die, die hinter der Straßensperre am Marktplatz wohnen, welche ein örtlicher Flic nach Gutdünken schließt, wenn zu viele Touristen-Autos die Dorfmitte zustellen.

Das Paradies also. Ja, so könnte das Paradies riechen. Nach sonnenerhitztem Staub, nach stechendem Rosmarin und trockenen Lavendelstauden, nach weißen Rosen. Und so könnte es klingen: still, eigentlich, obgleich die Zikaden doch nie zu schaben aufhören, sich ihr Zirpen ausnimmt wie die Lautmalerei des Duftes.

Unverbaute Weite bis zum Horizont

Erhebend findet eine dritte die Weite, die einem zu Füßen liegt, die sich irgendwie im Horizont verliert, weil das pastellene Morgenlicht alle Konturen auflöst. Frei und groß und sicher macht solche Weite, wenn Erholungswert mal nicht als Blautannen-bewehrter Vorgarten in einer piefigen Vorstadt-Kleinbürger-Höllen-Siedlung begriffen wird.

Deshalb mögen Deutsche wohl die Toskana und den Süden Frankreichs so gern, weil man hier, weit um sich blickend, frei atmen kann, rundum die unverbaute Sicht genießend. Zu jeder Tageszeit ändert sich das Licht, bis es zum Abend hin golden wird und sich die Konturen schärfen, um dann endlich in der Dämmerung zu versinken.

Dorf mit zwei Ansichten

Und dann gibt es da noch diesen Blick von unten. Deshalb wohl nennt man Gordes eines der schönsten Dörfer Frankreichs, weil es diese zweifache Ansicht bietet. Die von oben aufs weite Land. Und die von unten, aus einer Straßenkehre her, der Straßenkehre, wo man die Gesamtübersicht über die Bergkuppe hat und die bauliche Struktur erkennen kann. Denn aus der Ferne wirkt Gordes wie eine abweisende Trutzburg, als die das Städtchen im Frühmittelalter erbaut wurde. Näher dran entdeckt man Platanen und Zypressen zwischen den Häusern und findet die Bebauung an den Berghängen ziemlich locker.

Auf alten Plänen wird deutlich, dass vom ursprünglichen Gordes nur mehr ein Drittel der Häuser übrig ist. Die sind aus Stein, wie alles Gebaute hier. Aus einem örtlichen, hellen und recht porösem Stein, den man am Ort "pierre sauvage" nennt. Dieser Naturstein, der hier gewachsen ist vor ungefähr 20 Millionen Jahren aus organischen Resten, die das Meer anschwemmte, ist Kalkstein. Bodenleger und die Hersteller von Küchen-Arbeitsplatten schimpfen über ihn, weil noch keine Imprägnierung, kein Fleckenschutz erfunden ist, die ihn daran hinderte, alles zu schlucken, was auf ihn fällt und tropft und hässliche Spuren hinterlässt.

Alles aus Stein

Zu Mauern gefügt, segmentiert der Stein die Landschaft in unregelmäßige Feldstücke. Die Besonderheit hier: Die Mauern sind aus Steinen ohne Mörtel geschichtet, und ihre Kronen bilden senkrecht gereihte Brocken wie scharfkantige Zähne. Aus dem heimischen Stein wurde das Schloss am höchsten Punkt des Berges erbaut, viereckig, mit Zitadellen an allen vier Ecken und wohl gegen allerlei feindliche Angriffe gefeit. Die Wohnhäuser sind aus diesem Stein, kühle Refugien vor der Sonne, die, wie es zurecht so schön heißt, in den Sommermonaten wirklich gnadenlos auf Mensch und Tier herunterbrennt.

Deshalb geht, wenn die Sonne steigt, niemand freiwillig ins Freie. Es verwundert kaum, dass die vorgeschichtlichen fensterlosen Stein-Iglus, die nahegelegenen "Bories", noch vor 150 Jahren bewohnt wurden, denn wie alle anderen Steinhäuser schützen sie vor der Hitze. Vom Leben dort zeugen zerbrochene Steintröge in den Schaf-und Ziegenställen, der Ruß an den Wänden und zum Teil gut erhaltenes Arbeitsgerät. Auch an diesen Häuschen keine Spur von Mörtel oder einem ähnlichen Material, das die Steine zusammenhielte.

Lavendel für alle

Aber wie kunstvoll sich Steine ohne Kitt fügen und zu Rundbögen wölben, zu glatten Rundtürmen auch, und welche zugleich schlichten und erhabenen Muster die Steinmetze den Kapitellen mittels Meißel abtrotzten, das lässt sich etwa vier Kilometer nordwestlich von Gordes an Plänen und Rekonstruktionen über den Bau der Abtei von Sénanque studieren. 1148 als Zisterzienserkloster gegründet und erbaut, bildet Sénanque den wuchtigen Riegel in einem verwunschenen Tal der Vaucluse.

Hier ist Ende, Sackgasse. Hier will man auch gar nicht weiter. Im Juli blüht der Lavendel. Dann legt sich der Duft bienensummend um einen herum, dann hat man vor Augen nur mehr dieses merkwürdig irisierende Blau der Felder. Und es macht offenbar gar nichts aus, dass hier jeder Besucher - und es kommen ganze Busladungen - sich mindestens einen Blütenkolben abrupft. Der Lavendel in Sénanque reicht wunderbarer Weise für alle und wächst dennoch dicht.

Gewinne aus dem Kloster-Shop

Hinter den Feldern liegt schwer und behäbig das Kloster, eindrucksvoll in seiner Wucht. Schmucklos, Ehrfurcht gebietend, dunkel und kühl. Die Mönchen gehen vielleicht doch ganz gern vor die Tür, auch wenn es heiß ist. Um Lavendel zu ernten oder die Oliven, die dann zu mönchischem Öl verarbeitet werden. Lavendel-Blüten, -Honig, -Essenz, -Seife sowie Olivenöl aus eigener Herstellung kann man neben CDs mit gregorianischen Gesängen, worin die Zisterzienser Meister sind, im Kloster-Shop zu Goldpreisen erwerben. Die Mönche wollen leben, das Kloster will erhalten sein, soll also der Tourist teuer kaufen.

Auch wenn er dienstags in Gordes ebenso Gutes am Wochenmarkt preiswerter bekäme, Gewürze beispielsweise bei einem, dessen Qualität und Auswahl jeden Händler im Orient anerkennend mit der Zunge schnalzen ließen. Und ach, die Seifen. In einem Garten liegen sie aus an zwei, drei, vier, fünf, vielen Ständen, rund und leicht und eckig und schwer, manche aus Lavendel, andere aus reinem Olivenöl. Und das Öl selbst? Fruchtig trüb? Oder klares, flüssiges Gold? Solches aus der direkten Umgebung, mit dem man des zivilen Preises wegen großzügiger hantieren wird als mit dem sündhaft teuren aus dem Tal von Les Baux, von dem man am besten nur mit der Pipette etwas auf die Tomaten träufelt.

Spießrutenlauf der Sehenswürdigkeiten

In Gordes immerhin konkurrieren drei edle Ölläden miteinander und existieren offenbar gut dabei. Am Wochenmarkt also verführt alles, was gut schmeckt und duftet. Und die Touristen stehen am einzigen Geldautomaten am Schloss, um das nötige Bare für ein paar Köstlichkeiten oder die lokale Volkskunst, die bunten Stoffe, die Keramik flüssig zu haben.

An manchen Tagen entledigt sich Bus um Bus zischend seiner Fracht, und Menschengruppen deutscher, englischer oder holländischer Zunge zwängen sich durch die engen Gassen, rauf und runter von einem Aussichtspunkt zum nächsten, rein in die Folklore-Boutiquen und wieder raus. Husch, durchs Schloss, die Wendeltreppe rauf und wieder runter.

Museum der Scheußlichkeiten

Wer dort war, der mag sich mit der Illusion auf den Heimweg machen, er habe hier außer dem imponierenden Renaissance-Bau aus dem frühen 16.Jahrhundert selbst reine Kultur in sich aufgenommen. Denn schließlich ist das Schloss ein Museum. Einst wohnten hier die bunten Op-Art-Gemälde von Victor Vasarély, der dann aber sämtliche Exponate seiner Stiftung in Aix-en-Provence übereignete.

Nun hängen allüberall, auch im Ehrensaal, wo Bürgermeister und Stadtrat tagen, mit musealen Ehren versehen die variopinten Pop-Art-Collagen des Holländers Pol Mara, montierte Scheußlichkeiten, die ihr Verfallsdatum schon Mitte der 70er Jahre hatten.

Maurice Chobert, der Bürgermeister von Gordes, hat diese Wahl getroffen, ein Mann, der offenbar ganz genaue und nicht gerade glücklich stimmende Vorstellungen davon hat, wie die Zukunft seines Städtchens, dem er seit 18 Jahren vorsteht, auszusehen habe.

Massentourismus als Geldquelle

Die Sonne von Gordes wird bald auf noch ganz andere Steine brennen, nämlich auf neue Wohnungen für die Gäste. Denn die Besucher sollen bald nicht mehr nach einer Kurzvisite von ihren Bussen aufgesammelt werden. Die Leute sollen bleiben. Es gibt in Gordes zwar seit ungefähr 20 Jahren einen Campingplatz. Aber das ist offenbar nicht die gewünschte Klientel. Der Bürgermeister meint auch nicht die Käufer von Luxusimmobilien zu Höchstpreisen (denn der Süden ist Frankreichs begehrtester Zweitwohnsitz). Obgleich der Mann Gold durchaus schätzt. An seinem gewichtigen Körper jedenfalls glänzt es mächtig: Brille mit Goldrand, goldenes Panzerarmband, goldene Uhr, goldener Siegelring.

Chobert wittert im organisierten Massentourismus das große Geld für die Gemeinde und gibt sich, gegen das elitäre Denken weniger Reicher wetternd, populistisch. Dem entsprechend soll alles allen zugänglich und für alle habhaft sein. Weshalb im Tal unter der Stadt, der Vallée du Cavalon, zwei Dörfer mit Ferienappartements gebaut werden sollen.

Die Abschaffung der Exklusivität

Immerhin 300 Bürger protestierten in einer Petition gegen diese Belagerung ihres Ortes. Dem Bürgermeister liegt offenbar überhaupt nicht daran, die Exklusivität des landschaftlichen und baulichen Solitärs Gordes zu wahren. Er setzte seinen Servus unter die Baupläne und gab damit sein Plazet für die Vermassung. Die Stadtratsversammlung mit 14 Stadträten und Stadträtinnen leitet er lässig, hakt schnellstens die Tagesordnungspunkte ab, emotionslos, routiniert - vier Stück in 30 Minuten.

Die Stadträte sagen wenig; und das Häuflein von 14 Bürgern aus Gordes, das sich an diesem Abend eingefunden hat, hat sowieso nichts zu melden. Denn Monsieur le maire hat ihnen nicht das Wort erteilt. "Eine Katastrophe", sagt nach der Versammlung eine Frau über die Feriensiedlungspläne. Und der nette Herr mit den strahlend blauen Augen, der alles, was bisher über die beiden Projekte veröffentlicht worden ist, gesammelt hat, verlässt im Eilschritt den Rathaussaal. Er findet, was sich derzeit in Gordes abspiele, sei ein "Lehrstück über die Demokratie". Denn was der Bürgermeister mehr oder weniger autokratisch verfügt, ist absolut legal und deshalb nicht anfechtbar.

Ein Steinhaufen ist ein Steinhaufen

Für das Projekt der Immobiliengesellschaft Mazets de Provence, 20 Wohneinheiten mit 60 Wohnungen, sprich 300 Betten zu errichten, hat Chobert bereits am 12. Mai die Baugenehmigung erteilt. Dass Pierre et Vacances den Startschuss bekommen, auf einem Terrain von 5000 Quadratmetern ihr Dorf zu bauen mit 140 Wohnungen, bestehend aus jeweils 70 Häusern und 70 Apartments mit drei bis vier Zimmern, ist nur mehr eine Frage der Zeit.

Der Bürgermeister verteidigt die geplanten Feriendörfer mit geradezu zynischen Argumenten. Da ja offenbar Steinhaufen gleich Steinhaufen ist, egal ob unbewohnt oder bewohnt, wolle er verhindern, dass aus Gordes ein "Dorf-Fossil" wie Les Baux würde. (Les Baux ist übrigens ein Haufen antiker Steine, die Ladungen von Touristen gern bei sengender Mittagshitze erkraxeln.) Außerdem würde durch den Bau der Feriendörfer das heimische Handwerk gefördert, denn die Häuser seien in der traditionellen Steinbauweise geplant.

Nichts mehr wird sein wie es war

Alles gut also? Mitnichten. Die Kritiker des Projekts, die sich gegen die "Côte-Azurisierung" von Gordes zusammengeschlossen haben, bezeichnet er als "Zwei-Monate-im-Jahr-Gordiens", was leider nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Denn auch deren Initiator und Präsident Michel Henochsberg ist ein Professor aus Paris mit Zweitwohnsitz Gordes. Aber die Gordiens auf Zeit führen in ihrer Petition stichhaltige Gründe gegen die beiden Projekte an, denn diese Form des konzentrierten Tourismus laufe dem Geist und dem Gleichgewicht der Region zuwider. Sie fordern einen Streu-Tourismus, der sich einfügt in den natürlichen und kulturellen Gegebenheiten.

Aber natürlich werden die beiden Dörfer am Fuß des Berges den Fernblick von der Terrasse eines paradiesischen Gartens aus nicht beeinträchtigen. Der Flic am Marktplatz wird die Straßen vielleicht noch ein wenig öfter sperren. Der Lavendel wird auch weiterhin duften, auch wenn sich in die Gerüche des Südens dann häufiger Benzingestank mischen wird. Eine Frau sieht die Zukunft schwarz, und sie steht gewiss nicht allein: "Es wird nichts mehr so sein, wie es war." Das ist dann nicht mehr schön, sondern ganz schön schlimm.

INFORMATIONEN

Anreise: Flug München - Avignon über Paris ab 665 Mark.Zugverbindung: Von Avignon nach Cavaillon und von dort weiter mit dem Bus nach Gordes. Oder von Avignon etwa 50 Kilometer mit dem Leihwagen. Weitere Informationen: Französisches Fremdenverkehrsamt, Westendstr. 47, 60325 Frankfurt, Tel. 069/97580131, www.franceguide.com.

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