Frankreich:Düfte einer Stadt

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Auf den Spuren von Patrick Süskinds Roman "Das Parfum" - ein Spaziergang durch Grasse.

Anne Goebel

Grasse stinkt. Die Stadt des Parfums, das Zentrum der Duftmischer mieft. Nach säuerlichen Küchenabfällen, nach kalter Nässe, die in sonnenlosen Fassaden hockt.

Ein Hinterhof an der Rue de la Lauve. Hier ist nichts zu spüren von der aufgeräumten Flanier- und Einkaufsstimmung, in der sich die Leute ein paar Meter weiter durch die Hauptachse der Stadt schieben. Ein Junge biegt durch einen Torbogen in die vergammelte Nebengasse, wirft zwei Tüten in einen Müllcontainer und spuckt zweimal auf den Boden.

Hochburg des Parfum-Gewerbes

Es ist genau die Art von Gegend, in der man ihn vermuten würde, den verwachsenen Parfumeurgesellen Jean-Baptiste aus Paris, besser bekannt als Grenouille. An seiner Werkstatt, Rue Lauve 5, steht die Tür offen. "Vive la vieille ville" hat jemand draufgesprüht, es lebe die Altstadt. Eine verwahrloste Ecke. Kein schlechter Unterschlupf für einen, der 24 junge Frauen auf dem Gewissen hat.

"Dieser zugleich unansehnliche und selbstbewußte Ort war die Stadt Grasse, unumstrittene Produktions- und Handelsmetropole für Duftstoffe, Parfumeriewaren, Seifen und Öle. Giuseppe Baldini hatte ihren Namen immer mit schwärmerischer Verzückung ausgesprochen. Ein Rom der Düfte sei die Stadt, das gelobte Land der Parfumeure, und wer nicht seine Sporen hier verdient habe, der trage nicht zu Recht den Namen Parfumeur."

Patrick Süskinds Beschreibung des südfranzösischen Städtchens Grasse im Hinterland von Cannes im Roman "Das Parfum" fehlt in keinem Reiseführer der Côte d'Azur. Hier hat der Autor des Megasellers - seit dem Erscheinen 1985 wurden weltweit 15 Millionen Exemplare verkauft - den dramatischen letzten Teil der bizarren Geschichte von Jean-Baptiste Grenouille angesiedelt.

Der von Düften besessene, selbst geruchlose Einzelgänger perfektioniert in der Hochburg des Parfum-Gewerbes die Kunst der Essenzengewinnung. In Paris von Meister Baldini geschult, produziert er in dem mediterranen Bergnest Pomaden, die nach Tieren riechen, ermordet Frauen, um ihren Geruch zu konservieren, und reüssiert am Ende mit seinem mörderischen Plan, aus dem schönsten Mädchen der Stadt das perfekte Parfum zu destillieren.

Grasse, gesegnet mit besonders aromareicher Blütenernte auf seinen sonnenbeschienenen Feldern, ist seit dem 17.Jahrhundert berühmt für seine Duftstoffe. Daran hat sich bis heute nichts geändert, und die Touristen kommen in Scharen, um sich in Manufakturen mit delikaten Souvenirs einzudecken. Der Erfolgsroman aus Deutschland, in 45 Sprachen übersetzt, lässt die Geschäfte zusätzlich florieren.

Die Adresse des Duftmischers

Ein Rundgang auf den Spuren des legendär scheuen Romanciers - auch in Grasse ist, einer kleinen Umfrage zufolge, nichts bekannt über Aufenthalte von Süskind - und seines verkorksten Helden funktioniert nur auf eigene Faust.

Es gibt für Literaturspaziergänger kein Hinweisschild am östlichen Tor, durch das Grenouille an einem Märztag des Jahres 1764 nach einer Wanderung unter blühenden Aprikosenbäumen die Stadt erreichte, oder auf der großartigen Place du Cours, die wie eine riesige Terrasse mit Meerblick über dem Land thront und auf der Süskind die bacchantische Hinrichtungsorgie als grausiges Finale inszeniert hat.

Im übrigen besteht in Grasse, das versichert eine Dame aus dem "Département culture" des stolzen Rathauses, keine Lektürepflicht bezüglich des Romans. "Nicht jeder hat ihn gelesen, Madame, das sage ich Ihnen."

Der Autor selbst gibt in seinem Buch genügend Hinweise für eine Spurensuche, die allein deshalb Vergnügen macht, weil Grasse ein anmutiger Flecken ist. "Rue droite", so wird die geschäftige Hauptachse noch heute in der Umgangssprache genannt.

Den am Anfang gelegenen "camouflierten Palazzo" des reichen Kaufmanns Antoine Richis, dessen märchenhaft schöne Tochter Grenouille in olfaktorische Extase versetzt, lässt sich in dem Hôtel Luce wiedererkennen: Ein eleganter Bau mit Türen aus Walnußholz und Gittern an den Fenstern - wie die, welche Richis anbringen ließ, um Laure zu schützen, "sein einziges Kind, mit dunkelroten Haaren und grünen Augen".

Grenouilles Atelier in der Rue de la Louve schließlich könnte die Rue de la Lauve meinen, die modrige Gasse mit den feuchten Fassaden, deren heruntergekommenste die Hausnummer fünf ist. Weshalb sie natürlich, man ist schließlich auf Romantour, perfekt geeignet scheint als düstere Adresse des besessenen Duftmischers.

Es ist Merkmal einer Grenouille'schen Besichtigungsrunde durch die Altstadt, dass sich bei jedem erschnupperten Geruch automatisch der Versuch einstellt, ihn genau zu benennen. Der Muff aus den Kellerfenstern der weniger herausgeputzten Häuser: Wattig? Stumpf? Wie den Geschmack der aromatischen Pistou-Soße in einem Lokal an der baumbestandenen Place aux Aires in Worte fassen, welchen Begriff finden für das Gemisch aus Lavendel und Moschus, das den überall feilgebotenen Seifen und Wässerchen entströmt?

Süskinds wiedergelesene sprachgewaltige Kaskaden haften im Gedächtnis, sein "kühl-schimmliger Geruch" eines Messingknaufs, der "warme, massiv aufquellende Duft" der schlafenden Laure, die Wucht der "narkotischen Narzissen": Am Ende läuft man bloß noch schnüffelnd durch die Straßen.

Aufgeknüpfte Mädchenleiber

Es sei denn, man hat Marieken Boccaron an seiner Seite, eine resolute Fremdenführerin in den Fünfzigern mit bequemen Schuhen und kulturellem Schwerpunkt. Sie kennt noch andere Grenouille-Plätze.

Das kleine Fenster in einem abweisenden Bau neben der Kathedrale, in dem der Mädchenmörder dem rasenden Volk zur Schau gestellt wurde. Davor der Platz mit Kriegerdenkmal. "Hier haben sie die Leiber der Mädschen aufgeknüpft, zur Erkennung", erklärt Madame.

Sie führt zur hübschen Place des Fainéants, "wo der Arme sich ausruhen musste nach den ganzen Emotionen wegen Laure". Zu sehr habe ihn bekanntlich die erste Duftbegegnung aufgewühlt.

Grenouille sieht sie ganz gegenwärtig, als einen der Ihren, einen Grassois. Zum Abschluss empfiehlt Mme. Boccaron den Supermarkt Monoprix. "Vom Parkhaus können Sie das Tal sehen, wo er wohnte."

Dass man hingeht, hinaufsteigt, mit den Augen einen Olivenhain absucht nach der Hütte einer Romanfigur aus dem 18.Jahrhundert, sagt einiges über die Magie eines Weltbestsellers.

"Dennoch, bei aller Schmuddligkeit, barst die Stadt vor gewerblicher Betriebsamkeit. Nicht weniger als sieben Seifenkochereien machte Grenouille aus, ein Dutzend Parfumeriemachermeister, unzählige kleinere Pomadeateliers."

Noch heute lebt Grasse vom Geschäft mit Essenzen. Im Tal produzieren hoch technisierte Fabriken Zutaten aus Jasmin und Rosen für Saint Laurent oder "Chanel No5".

Oben in der Altstadt offerieren alteingesessene Häuser Rundgänge durch ihre altertümlichen Manufaktur-Museen mit gläsernen Destillationsapparaturen, Kupferkesseln, zierlichen Flakons.

Die berühmteste Firma ist Fragonard, am Eingang sitzt Béatrice Kozubek und ordnet Rosencreme-Proben. Sie ist seit 26 Jahren hier angestellt und sagt, die Arbeit mit Parfum sei ein Job wie jeder andere. Süskinds Roman hat sie gelesen.

Letztlich handelt er davon, dass die Kreatur erst zum Mensch wird, wenn sie ihren eigenen Geruch hat. So würde das Madame Béatrice vielleicht nicht ausdrücken. Aber sie sagt das selbe wie der Schriftsteller, nur einfacher.

"Ein Parfum von Fragonard würde ich nie auflegen", erklärt sie. Nicht, weil sie es nicht mag. Sondern weil hier alles danach duftet. "Ich muss mich selber riechen, damit ich weiß, wer ich bin. Sonst ist es, als würde ich mich verlieren."

© SZ vom 7.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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