Frankreich:Ein halber Platz, dem Verkehr abgetrotzt

Anführer der Spitzhacken-Bewegung ist Pablo Georgieff, der seinen Arbeitsplatz vorübergehend in einen Container mitten auf dem Platz verlegt hat und nun nachmittags Blumen bewässert oder übrig gebliebene Pflanzen einsetzt, wenn wieder einmal ein Kindergarten den Vormittag beim Gärtnern im Park verbracht hat. "Mit den Leuten zu arbeiten, das hat hier auch eine physische Dimension. Sie reden nicht nur mit, sondern legen auch mit Hand an", erklärt der Architekt und Landschaftsplaner, der mit seinem Büro Coloco den Bürgerbeteiligungsprozess begleitet.

Für ihn ist dieser bereits jetzt ein Erfolg: "Durch die Mitarbeit der Bürger wird alles billiger. Die Leute äußern realistische Wünsche, niemand will sich ein Denkmal setzen. Außerdem ist Urbanität doch auch genau das: gemeinsam etwas gestalten." Mit teils ungeplanten Ergebnissen: Eigentlich sollten die vier abgetrennten Fahrspuren komplett begrünt werden. "Irgendjemandem ist dann aber aufgefallen, dass die innerste Bahn genau vierhundert Meter lang ist. Seither kommen viele zum Trainieren hierher." Kinder auf Rollern oder Fahrrädern sorgen dafür, dass die Atmosphäre nicht allzu verbissen sportlich wird. "Wir werden also den Asphalt teilweise belassen, dafür wird der breite Weg im Park zur Liegewiese", sagt Georgieff.

Natürlich habe es auch Ängste gegeben, viele befürchteten ein riesiges Chaos. "Das Jammern ist eine alte Gewohnheit", sagt der Landschaftsplaner. "Früher hatten Bürger gar keine andere Möglichkeit, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen, als sich zu beschweren. Jetzt müssen sich manche noch daran gewöhnen, dass sie sich auch anders einbringen können." Ein paar Rentner, die auf den Inseln zwischen den ebenfalls verkehrsberuhigten Nebenfahrbahnen ihre Nachmittage verbringen, zeigen sich denn auch tatsächlich wenig begeistert vom Umbau.

Dass nicht jeder über die Fähigkeit oder den Willen verfügt, sich an der Diskussion zu beteiligen, bremst den Enthusiasmus eines der zuständigen Politiker kaum: François Vauglin ist Bürgermeister des 11. Arrondissements, das sich zwischen den Plätzen République, Bastille und Nation erstreckt. "Gerade war das noch ein achtspuriger Kreisverkehr, und jetzt bringen dort Eltern ihren Kindern das Fahrradfahren bei. Das ist herrlich!" Er war bereits unter Bürgermeister Delanoë für Bürgerbeteiligung zuständig und erinnert sich an die Anfänge: "Es war für uns Neuland und ein totaler Kulturwandel, so viel Kompetenz abzugeben." Vauglin ist stolz darauf, dass künftig 57 Prozent des Platzes von Fußgängern genutzt werden können; er spricht von "wiedereroberter" Fläche. Und erinnert an den Wahlkampf der Parteikollegin Anne Hidalgo: "Sie stand auf der Place de la Bastille und sagte: 'Ich sehe zwar unzählige Autos, aber wo ist hier der Platz?'" Nun könne dieser geschaffen werden.

Reiseinformationen

Anreise: Paris wird von allen größeren deutschen Flughäfen angeflogen, oft von verschiedenen Linien. Günstige Flüge hin und zurück zum Teil ab 120 Euro. Mit dem Zug von München in weniger als sechs Stunden, von Frankfurt / M. in reichlich vier Stunden, von Hamburg und Berlin in acht bis neun Stunden.

Weitere Auskünfte: Leihradsystem Vélib', www.velib.fr. Wer keine Kreditkarte mit PIN hat, registriert sich unkompliziert online - das Sieben-Tage-Abo kostet acht Euro, dreißig Minuten Fahrzeit sind gratis. An Sonn- und Feiertagen sind viele Verkehrsachsen und Stadtviertel autofrei, Pläne dazu unter www.paris.fr/parisrespire. Allgemeine Informationen gibt es beim Office de Tourisme Paris, www.parisinfo.com (auch in deutscher Sprache).

Bei aller Aufbruchsstimmung sind auch kritische Töne vernehmbar - wie immer, wenn es um die Beschränkung des Autoverkehrs geht. Oliver Körber, ein deutscher Architekt, der seit 1996 in Paris lebt, spaziert mit kritischem Blick über die nun für Kraftfahrzeuge gesperrte Schnellstraße an der Seine. Seiner Meinung nach fehlen ausreichende Alternativen: "Es gibt kein vernünftiges Park & Ride-System. Man hat einfach eine Hauptachse herausgenommen und sagt: Und jetzt schaut, wie ihr zurechtkommt." Öffentliche Verkehrsmittel seien jetzt schon überfüllt, die neuen Metrolinien Zukunftsmusik. "Auf Französisch nennt man so etwas: Sie spannen den Pflug vor den Ochsen ein", so der Architekt. Für ihn war die Schnellstraße die falsche Wahl: "Warum hat man nicht oben verkehrsberuhigt, wo es Cafés, Leute und schöne Architektur gibt? Jetzt sind die verbleibenden Achsen wie der Boulevard Saint Germain völlig überlastet. Dort wohnen aber Menschen, hier unten nicht."

Bummelt man über die neue Flaniermeile am rechten Seine-Ufer, überwiegt der Eindruck, dass sowohl Anwohner als auch Touristen die zahlreichen Café-Terrassen, Sport- und Spielgeräte durchaus schätzen. Eine der Timescope-Stationen steht nun auf Höhe des Rathauses - wie zum Beweis dafür, dass das Seine-Ufer auch in früheren Jahrhunderten eine Fußgängerzone war.

Davon ist die Place de la Bastille derzeit noch weit entfernt. Bald wird man dort wohl auch mit dem Timescope einen Blick in die Zukunft werfen können, wenn sich klarer zeigt, wie der Platz umgebaut werden soll. Der Vergangenheit entkommt man dort ohnehin nicht: "Die Demokratie zum Leben zu wecken, bedeutet, Plätze und Bürgersteige zu schaffen", sagte bereits 1789 ein gewisser Emmanuel Joseph Sieyès, einer der Vordenker der Französischen Revolution.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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