Frankfurt am Main:Der neue Wein soll schon beim ersten Glas schmecken, nicht erst beim dritten

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Der Apfelwein gilt als Getränk des kleinen Mannes. Na ja. Als die Rebstöcke vor zwei Jahrhunderten in Frankfurt starben, die Reblaus soll schuld gewesen sein, kelterte man den Wein eben aus Äpfeln. Sachsenhausen war ein Viertel kleiner Leute. Aber in den Wirtschaften, den kleinen und später großen, traf sich die Stadtgesellschaft. Der Gerichtspräsident saß neben dem Handwerker, der Student neben der Frau des Bankdirektors. Frankfurt war - und ist - eine offene Gemeinschaft, in der jeder mit jedem gern ein Schwätzchen hält. Dass Apfelwein ein biederes Image hat, ist diesen Fans schnurzegal.

Anderen nicht. Michael Rühl etwa, gebürtiger Sachsenhäuser und Marketing-Mann im Hauptberuf. Seit 2012 führt er zusammen mit Kollegen das Apfelwein-Kontor, ein Fachgeschäft für die gehobeneren Apfelweinprodukte. Sortenreiner Wein, gewonnen nur aus Boskop etwa, versehen mit anmutigen Etiketten einer Frankfurter Zeichnerin, die ansonsten Wimmelbilder malt. "Apfelwein kann anders sein und war auch früher anders. Es gibt den Spruch, der Wein schmecke erst nach dem dritten Glas. Wir und andere wollen zeigen, dass schon das erste Glas sehr fein sein kann", sagt der 46-Jährige.

Ja, stimmt. Wer ein gebrochenes Verhältnis zum Apfelwein, also einmal ein essigstichiges Getränk erwischt hat, womöglich in fataler Kombination mit einer Sauerkraut-Portion, kann sich mit Rühls Produkten aussöhnen. Leicht, wenig Alkohol, spritzig. Solche Qualität hat ihren Preis. Acht, zwölf oder mehr Euro kann die Flasche schon kosten. Kein Wunder, diese Weine machten mehr Arbeit, die Früchte würden handgepflückt, sagt Rühl. Für die Anhänger der Puristen-Schule seien diese Preise zu hoch. In Frankfurt müsse der Schoppen preiswert sein.

Allein mit dem Laden könnten Rühl und seine Kollegen kein Geschäft machen. Sie bieten Degustationen an. Das laufe gut, besonders dann, wenn die Gäste keine Vorurteile hätten in Sachen Apfelwein. Ist er ein Fanatiker? Nein, sagt Rühl, er nicht, andere aus der Szene seien es schon. Da gebe es Winzer, die seien besessen davon, das Allerbeste aus den Äpfeln herauszuholen. Er selbst beschreibt sich eher handwerklich, mit dem englischen Ausdruck Cider-Maker. Apfelweinmacher heißt das.

Frank Winkler darf man hingegen zu den Fanatikern zählen. Der 62-Jährige hat jahrelang als Marketing- und Kommunikationsberater gearbeitet, zusammen mit seiner Frau ein Landhotel im Odenwald geführt und ist nun Pächter des Lorsbacher Thals, einer der großen Wirtschaften in Sachsenhausen. Er sagt: "Apfelwein ist nicht mein Hobby, es ist meine Leidenschaft." Etwa 200 unterschiedliche Produkte aus aller Welt hat er im Keller liegen. Seine Frau schmunzelt gelegentlich über seine Passion und sagt: "Am Anfang hattest du die Sache noch im Griff." Winkler ist ein Spätberufener. Vor ein paar Jahren stellte ein Freund beim Essen zum Dessert eine Flasche auf den Tisch, einen Holzapfel-Süßwein der schwäbischen Obstweinmanufaktur Jörg Geiger. Winkler war hingerissen. So begann die Leidenschaft. Inzwischen lässt er die Gäste teilhaben, serviert dazu traditionelle Frankfurter Speisen in feinerer Form. Karg-puristisch geht es bei ihm nicht zu. Auf den Holzbänken liegen Kissen, das Personal wird zu Freundlichkeit angehalten. Bier gibt es auch. 50 Hektoliter werden jedes Jahr ausgeschenkt. "Als Gastronom wär' man doch ein schlechter Kaufmann, auf die Wünsche der Gäste nicht einzugehen und auf diese Umsätze zu verzichten", sagt er. Seine Klientel sind Einheimische und Besucher, die den eher herben Ton in anderen Wirtschaften befremdlich finden.

Auch Winkler attestiert dem Apfelwein ein Imageproblem. Die Präsentation der großen Hersteller sei noch immer etwas altbacken. "Die Großen sind noch im Gestern - die Jungen sind auf dem Weg ins Übermorgen", sagt er. Nicht jedem Zeitgeist müsse man hinterherlaufen, aber schon ein frisches Design wirke Wunder. Von Marketing versteht der Mann etwas.

Wie steht es um das Zusammenleben zwischen den Apfelwein-Trinkern der unterschiedlichen Schulen einerseits und den Hordentrinkern aus den Bierbars? Winkler sagt, an manchen Sommer-Wochenenden sei es nicht sehr lustig. Dann wird in den Sträßchen gegrölt, getorkelt und gespien. Aber ansonsten funktioniere das alles ganz gut. Für Dramatik gebe es keinen Grund. Rühl würde es sich im Viertel manchmal beschaulicher wünschen. Aber im Moment habe jede Welt ihren Platz, die der Klein-Ballermann-Szene und die der Apfelwein-Fans auch. Er erinnert daran, dass Sachsenhausen auch in früheren Jahrzehnten ein ziemlich aufregendes Ausgehviertel war. Das Viertel der in Frankfurt stationierten US-Soldaten. In deren Bars ging es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hoch her. Die Militärpolizei rückte ziemlich regelmäßig an. Die Apfelwein-Kultur in Alt-Sachsenhausen hat es überlebt.

Interessantes rund um den Apfelwein

Kneipen: Zu den 3 Steubern, Dreieichstraße 28, Tel.: 069/62 22 29, keine Website; Daheim im Lorsbacher Thal, Große Rittergasse 49, Tel.: 069/61 64 59, www.lorsbacher-thal.de; Geschäft: Apfelweinkontor, Wallstraße 13, Tel.: 069/90 75 61 00, www.apfelweinkontor.de

Führungen: Durch das Apfelweinviertel Alt-Sachsenhausen bietet z. B. Frankfurter Stadt-Events Führungen an, www.frankfurter-stadtevents.de; Apfelwein-Bahn: www.ebbelwei-express.de

Allgemeine Auskünfte: www.frankfurt-tourismus.de

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