Fotoprojekt "Panorama Streetline":Mit den Augen spazieren

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Betreutes Flanieren durch Hongkong, Mexiko oder München: Das Projekt "Panorama Streetline" lenkt den Blick auf Straßen in aller Welt.

Von Irene Helmes

Straßen sind meist eher Weg als Ziel. Für Einheimische sowieso, und auch viele Touristen neigen dazu, beim Städtetrip von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten zu eilen. Dabei sind Straßen selbst genaues Hinsehen wert: Im Fotoprojekt "Panorama Streetline" kommen die Details ihrer Architektur zur Geltung.

Denn in Straßen, findet Fotograf Jörg Dietrich, zeige sich der Charakter einer Stadt, oder zumindest ein Aspekt davon. Er hat vor Jahren begonnen, mit der Darstellung von Straßenzügen zu experimentieren. Mittlerweile sucht er nicht mehr in erster Linie nach Sehenswürdigkeiten, sondern nach interessanten Blickachsen. Die Aufnahmen von ihm und seinen Kollegen werden im Nachhinein zusammengesetzt. So entstehen streng lineare Perspektiven, die in der Realität oft durch die Enge der Umgebung, durch Winkel und Biegungen unmöglich wären - und gerade deshalb das Wesentliche einer Straße hervorheben. Für Dietrich ist das jedes Mal "wie eine kleine Neuentdeckung".

Das kleine, aber feine Seebad Deauville in der Normandie etwa legte sich vor mehr als 100 Jahren eine Reihe von palastartigen Fachwerkhäusern zu - die hier sichtbare Rue du Casino sei fast noch "ein zurückhaltendes Beispiel", findet Dietrich. Wie bei allen Panoramen fällt auf den ersten Blick zunächst das Muster der Straße ins Auge. Auf den zweiten Blick offenbaren sich die Details. Hier beherbergen die nostalgischen Gebäude eine Luxus-Boutique neben der anderen. Kunden sind wohlhabende Sommergäste aus Paris.

Besonders spannend wird das Projekt durch das Nebeneinanderstellen von Straßen aus unterschiedlichsten Bautraditionen.

Die meisten Aufnahmen sind in Europa entstanden, Dietrich hat selbst und in Kooperation mit Kollegen aber auch schon auf den anderen Kontinenten fotografiert. Die Vielfalt der Metropole Hongkong etwa deutet sich durch den Kontrast zwischen der Ki Lung Street und der Tung Shing Lei Road an.

In der Tung Shing Lei Road baute in den 1920er und 30er Jahren ein Geschäftsmann die gleichförmigen Doppelhäuser für seine acht Söhne und dessen Familien. Ganz links, etwas kleiner: das traditionelle Haus für die Ahnen.

Im Gegensatz dazu: Der Block in der Ki Lung Street entstand 1963 im damals typischen Stil. Mittlerweile sind nur noch wenige Gebäude dieser Art geblieben, die meisten wurden durch die futuristischen Hochhäuser Hongkongs ersetzt.

Solche Straßen-Geschichten finden sich bei "Panorama Streetline" begleitend zu den Aufnahmen - getreu Dietrichs Ziel, Geschichte und Architektur im Zusammenhang zu zeigen.

In Mexiko spielt sich auf der Plaza San Francisco das bunte Leben in bunten Häuschen ab. In Huejotzingo nordwestlich der Millionenstadt Puebla reihen sich ein Lokal, ein Fotostudio und ein Videospiel-Laden aneinander.

In der aktuellen polnischen Kulturhauptstadt Breslau bringt das Panorama eine Seite des Großen Rings in der Altstadt zur Geltung. Der riesige Marktplatz wurde zwar im Zweiten Weltkrieg ebenso wie weite Teile der Stadt fast ganz zerstört, später aber restauriert - meist nach Plänen aus den Jahren um 1800.

Auch Deutschland bietet reichlich interessante Ansichten. Die Kröpeliner Straße in Rostock zeigt mit ihren typischen Giebelhäusern unübersehbare Ähnlichkeiten mit dem benachbarten Polen.

Und die Münchner Baumeister des 19. Jahrhunderts wären sicherlich begeistert, wie ihre durchdachte Komposition in der prächtigen Ludwigstraße in Szene gesetzt wird. Ausgerechnet hier in München wurde Dietrich zwar zum bisher einzigen Mal ein Teil seiner Ausrüstung gestohlen. So blieben an diesem Tag ohne Weitwinkelobjektiv nicht viele Motive übrig - doch die Ludwigstraße war breit genug, um auch so fotografiert zu werden.

Weitere Straßenzüge finden sich auf der Website des Projekts, das noch weiter wachsen soll. Dietrich hat derzeit in seinem Archiv mehr als 1000 unfertige Stadtansichten - ganz zu schweigen von all den Entdeckungsreisen, die erst noch unternommen werden könnten in die Straßen der Welt.

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