Süddeutsche Zeitung

Fotograf George Steinmetz:Über den Dingen

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Nichts bleibt, wie es war: George Steinmetz dokumentiert mit seinen Luftaufnahmen, wie sich die Erdoberfläche wandelt - und wie der Mensch auch in vermeintlich unberührte Natur eingreift.

Von Stefan Fischer

Einen fliegenden Gartenstuhl nennt der Fotograf George Steinmetz die Konstruktion aus Gleitschirm und Rucksackmotor, mit der er seit beinahe einem Vierteljahrhundert über den Dingen schwebt - und sich so einen Überblick verschafft über die Oberflächengestalt und den Zustand der Erde. Seitdem kleine Drohnen erschwinglich sind, mag diese Perspektive, aus der der US-Amerikaner fotografiert, gewöhnlicher geworden sein - er hat sich spezialisiert auf Luftaufnahmen aus geringer Höhe. Doch Steinmetz hat einen immensen Vorsprung, was den Umfang und die Vielfalt seines Archivs anbelangt.

Er bezeichnet sich selbst als rastlosen Menschen, und er ist offenkundig recht furchtlos. Steinmetz hat in besonders lebensfeindlichen Wüsten fotografiert - in der Rub al-Chali etwa, der Namib und der Antarktis -, und er hat immer wieder fehlende Genehmigungen ignoriert und sich das eine oder andere Mal hinweggesetzt über die Interessen Mächtiger, die lieber im Verborgenen lassen wollen, was Steinmetz dokumentiert.

Im Mailänder Stadtzentrum filtern seit 2014 die zwei begrünten Zwillingstürme des italienischen Architekten Stefano Boeri Kohlenstoff-Dioxid aus der Luft. Zum "Bosco Verticale", deutsch "Senkrechter Wald", hatte den Architekten Italo Calvinos Roman "Der Baron auf den Bäumen" inspiriert.

In der algerischen Sahara liegt die Stadt Beni Isguen. Kein Fremder oder Andersgläubiger darf hier die Nacht bei den strenggläubigen Mozabiten verbringen. Ein Stadtrundgang ist nur mit einem Führer möglich.

Glaziologen färbten das Schmelzwasser auf dem grönlänischen Inlandseis rot, um zu sehen, wohin 45 Milliarden Liter eines großen Schmelzwassersees innerhalb von zwei Stunden verschwanden. Dahinter stecken kilometerlange Spalten, sogenannte Gletschermühlen, die das Wasser selbst öffnet.

Nur äußerst spärlich regnet es in den Wintermonaten der Oasenstadt Timimou. Aus dem nahelegenen Zentralatlas wird durch unterirdische Kanäle Quellwasser in kleine Parzellen gepumpt. Die 35 000 Bewohner können sich so selbst versorgen.

In Andalusien regnet es kaum, das Grundwasser ist knapp. Ausgerechnet hier, im sogenannten Plastikmeer der Region Almería, wird Gemüse und Obst für ganz Europa angebaut. Hauptabnehmer der 2,8 Millionen Tonnen ist Deutschland.

Ein Fischerdorf an der Küste nahe Nouakchott, Mauretanien. Die Bevölkerung Mauretaniens bestand zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit zu 90% aus Nomaden. Nach einer schweren Dürre zogen ungefähr 30% der Bevölkerung in die Hauptstadt.

Das mosaikartige Muster wird von Salzproduktionsbecken erzeugt, die von Dorfbewohnern in der Sahara in Niger gepflegt werden. Salzlake aus flachen Brunnen wird mit salzigem Ton gemischt, um Aufschlämmungen zu erzeugen, die je nach Mischung aus Schlamm, Algen und Salz unterschiedliche Farben ergeben.

Wobei er sich nicht als Umweltschützer sieht oder als investigativer Fotoreporter. Seine Neugier hat ihn angetrieben, seine Begeisterung für die Vielgestaltigkeit der Erde. "Aber nach vierzig Jahren, in denen ich alle sieben Kontinente kreuz und quer bereist und in fast hundert Ländern fotografiert habe, fange ich an, die Dinge anders zu sehen", schreibt Steinmetz im Nachwort seines Fotobandes "Human Planet". Es geht in dem Buch darum, so der Untertitel, zu zeigen, "Wie der Mensch die Erde formt". Und das ist nicht immer zum Vorteil der übrigen Bewohner des Planeten.

Der Wissenschaftsjournalist Andrew Revkin, der die Texte beisteuert, macht eingangs eine große Diskussion auf: Er argumentiert, dass aktuell ein neues Erdzeitalter beginne, das Holozän abgelöst werde vom Anthropozän, in dem der Mensch zum zentralen Einflussfaktor auf die wesentlichen Prozesse auf der Erde wird.

Im ersten Teil des Buches zeigt George Steinmetz die Dynamik geologischer und biologischer Prozesse auf der Erde, die relativ unabhängig vom menschlichen Wirken ablaufen: Eindrucksvoll sind beispielsweise Aufnahmen von Dünenstrukturen in Sandwüsten, von erstarrten Lavaströmen und Auswaschungen im Gestein. Doch schon hier zeigen sich mitunter Einflüsse des Klimawandels und damit menschlichen Handelns. Weitaus offensichtlicher wird dies im zweiten Kapitel: Steinmetz präsentiert nach wie vor überwiegend das Schöne auf Erden. Er zeigt jedoch keine Natur-, sondern Kulturlandschaften - die Rapsfelder zwischen den Kalksteinkegeln in Luoping, China. Die kreisrunden Anbauflächen in der saudi-arabischen Wüste. Die Mandelbaumpflanzungen in Kalifornien. All das hat Auswirkungen auf die Lebensbedingungen und die Beschaffenheit der Erdoberfläche.

Die sichtbaren und dauerhaften Veränderungen sind kein Phänomen der Moderne - man denke an Stonehenge, die chinesische Mauer oder die Felskirchen in Äthiopien. Dies alles waren jedoch singuläre Projekte, mit sehr geringen Auswirkungen. Das hat sich mittlerweile geändert. Rodungen, das Absenken des Grundwasserspiegels, das Aufschütten von Land und das Aufstauen großer Wassermengen haben sehr viel weitreichendere Folgen für die Gestalt der Erde. Und für die Existenzbedingungen auf ihr.

Veränderung ist für George Steinmetz nicht per se nachteilig, das hat er mit seinem ersten Kapitel klargestellt. Sie findet ohnehin statt. Sie ist aber genauso wenig grundsätzlich segensreich. Was dem Fotografen ein Trost ist: Egal wie kalt oder heiß, feucht oder trocken es an einem Ort ist, ob der pH-Wert bei null oder zwölf liegt - stets können sich Lebensformen mit den Gegebenheiten arrangieren. Wie anpassungsfähig der Mensch ist, muss er erst noch belegen.

George Steinmetz: Human Planet. Wie der Mensch die Erde formt. Texte von Andrew Revkin. Aus dem Amerikanischen von Karin Maack. Knesebeck Verlag, München 2020. 256 Seiten, 45 Euro.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2020
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