Süddeutsche Zeitung

Reisebuch:Legendäre Etappen

Col d'Izoard, Mont Ventoux, Timmelsjoch: Michael Blann fotografiert spektakuläre Strecken des Radsports. Seine Helden sind nicht die Fahrer, sondern die Berge.

Rezension von Stefan Fischer

Eine Saison lang fuhr Michael Blann für eine australische Profimannschaft, doch mit einer Karriere im Radsport klappte es letztlich nicht für ihn. Der Fotograf und Designer ist jedoch kein Außenstehender, er hat sich die Begeisterung für diesen Sport erhalten, und vermutlich hat ihm seine eigene Geschichte geholfen, Kontakte in die Szene zu knüpfen. Jedenfalls tragen eine Reihe ehemaliger Radprofis Texte bei zu seinem Buch "Am Berg" über legendäre europäische Radsport-Etappen, das nun in einer überarbeiteten, deutlich erweiterten Fassung neu erscheint.

Es sind überwiegend keine Heldengeschichten, die da erzählt werden, auch nicht von den Tour-de-France-Siegern Greg LeMond, Stephen Roche und Bernard Thévenet, sondern oftmals kluge Betrachtungen über die gewaltige Körperlichkeit der Berge, wie es an einer Stelle heißt, und was es bedeutet, diese Landschaft nur mit der eigenen Körperkraft zu durchmessen. Paul Sherwen ist dafür ein gutes Beispiel, der kein Siegfahrer war für die großen Rundfahrten und eine Meisterschaft darin entwickelt hat, auf schwierigen Bergetappen immer noch gerade so im Zeitlimit zu bleiben. Und auch Pedro Horrillo, der beim Giro d'Italia einen fatalen Sturz überlebte.

Es geht in den Texten und in den Bildern Blanns darum, die "symbiotische Beziehung", so Michael Blann in seinem Vorwort, zwischen den Radfahrern und den Bergen zu veranschaulichen. Man könne nicht über den Radsport sprechen, ohne auch über Berge zu reden, befindet die Journalistin Susanna Osborne in ihrem Beitrag.

Auf den Fotos spielen die Radrennen eine eher nebensächliche Rolle. Michael Blann wählt einen entschieden anderen Weg als die Sportfotografie, die nah herangeht an die Protagonisten. Der Brite zeigt stattdessen in der Regel Totalen. Selbst wenn man einmal den ganzen Rennzirkus sieht aus Fahrern, Begleitfahrzeugen und den Fans, so wirken auch diese vielen Personen und Autos in der Masse nicht anders als auf der Mehrheit der Bilder, auf denen nur ein paar wenige oder auch mal nur ein Radfahrer zu sehen sind: Sie sehen aus wie Spielfiguren auf einem riesigen Spielfeld.

Aber sie sind präsent, weshalb Michael Blanns Bildband eben nicht bloß eine Sammlung von Gebirgslandschaften zeigt. Sondern jene Ausschnitte aus den Alpen, Pyrenäen sowie dem Tramuntana-Gebirge und dem Teide-Massiv, die der Mensch mit Straßen erschlossen hat - Pässe zumeist, Verbindungen in spektakulärem Gelände. Von Blann nicht als Meisterwerke der Ingenieurskunst inszeniert, sondern aus einer überwiegend demütigen Perspektive gezeigt. Neben der landschaftlichen Schönheit enthüllen etliche Fotografien auch einen gewissen Grad an Verlorenheit. Erhaben sind die Berge, nicht die Sportler.

Michael Blann: Am Berg. Legendäre Etappen im Radsport. Aus dem Englischen von Gundula Müller-Wallraf. Knesebeck Verlag, München 2020. 256 Seiten, 35 Euro

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Quelle:
SZ vom 10.09.2020/edi
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