Flugreise:Stellt euch nicht so an!

A passenger rolls a suitcase in Barcelona's El Prat airport

Wohin so eilig? Wer als Erster an Bord ist, wartet am längsten auf alle anderen.

(Foto: Reuters)

Beim Boarding drängeln, Gepäckfach vollstopfen, Armlehne verteidigen: Auf Flugreisen sind die Ersten manchmal die Letzten.

Von Katja Schnitzler

Zehn Minuten vor dem offiziellen Boarding bauen die ersten Reisenden ihre Rollkoffer vor den Torwächtern der Airline auf. Im Hintergrund drücken sich weitere Handgepäck-Träger herum, nur nicht zu weit vom Gate entfernen. Sie wollen schließlich ganz vorne sein beim Wettrennen in den Urlaub.

Es ist absurd. Das Flugzeug wird nur dann ohne trödelnde Passagiere abheben, wenn diese nach dem letzten, allerletzten und wirklich allerallerletzen Aufruf nicht erschienen sind. Was also soll das sinnlose Eifern, nicht nur am Kopf der Schlange zu stehen, sondern am besten schon auf den Zehenspitzen des Bodenpersonals?

Wer dieses Drängeln entspannt von den Sitzplätzen mit Blick aufs Gate beobachtet, ist zugegebenermaßen durchaus schadenfroh, wenn der Erste in der Reihe ein Wenigflieger ist. Dieser hat noch nicht mitbekommen, dass die Regel "Wer zuerst kommt, steigt auch zuerst ein" schon lange nicht mehr gilt. Stattdessen: Geld (Business Class) schlägt Meilen (Geschäftsreisen-Sammler) schlägt Familien mit kleinen Kinder (völlig gerechtfertigt, und die Kleinen halten eh keine nervenzerrende Sekunde Warterei länger durch) schlägt Economy (der Rest).

Natürlich gibt es Billigst-Airlines, bei denen es noch immer keine fest zugewiesenen Plätze gibt und sich ein frühes Einsteigen wirklich lohnen würde - wären die besten Sitze nicht schon zuvor für einen Aufpreis verscherbelt worden. Aber sonst? Was bringt das hektische Drängeln, das ewige Anstehen, wenn man doch gemütlich abwarten könnte? Später in ihrem Economy-Sitzchen werden dieselben Leute über Platznot klagen, die zuvor in der Warteschlange so dicht auf den Vordermann aufrückten, dass dieser ihre Schnappatmung im Nacken spürte.

Besonders angespannt drängt nach vorne, wer die Handgepäck-Maße der Fluggesellschaft bis zum letzten Millimeter ausgereizt hat; wer noch eine Tüte und eine ebenso vollgestopfte Jacke mitschleppt, um damit allein ein Gepäckfach zu belegen, das für zwei gedacht war. Der Sitznachbar darf seine Tasche in den Stauraum fünf Reihen weiter hinten quetschen.

Jetzt könnte die Hektik eigentlich langsam nachlassen. Alles ist verräumt, alle sitzen und ob es nun schneller zum Reiseziel geht, kann keiner der Passagiere beeinflussen.

Aber nein. Wessen Ellenbogen zuerst auf der Armlehne war, drückt und schiebt den des Nachbarn weg. Wer nicht als Erster von knapp 200 Hungrigen seine Bordmahlzeit erhält, erbebt vor Ungeduld. Zähneknirschen in den Reihen. Und wer schnell, schnell aufgegessen hat, kippt als Erster seine Rückenlehne in Liegeposition - weil er es kann, nicht weil er zur Ruhe kommen will. Dass hinter ihm noch das Tablett ausgeklappt ist, die Mahlzeit erst halb gegessen: Tja, wohl zu langsam, was?!

Damit der Ruhigste da nicht die Gelassenheit verliert, hilft es, sich das Schauspiel als absurdes Theater vorzustellen. Dessen Höhepunkt steht noch bevor: die Minuten nach der Landung.

Der Anblick würde wehtun, wäre er nicht so lustig

Kaum haben die Räder den Boden berührt, hört man schon beim Abbiegen von der Landebahn die ersten Sicherheitsverschlüsse klicken. "Noch nie, wirklich nie", hat mal ein Pilot in dieser Situation durchgesagt, "hat es ein Passagier geschafft, vor meinem Flugzeug am Gate zu sein." Nun, scheinen sich nicht wenige zu denken, wir versuchen es trotzdem.

Sie ignorieren das Wüten der Flugbegleiter, öffnen die Gepäckfächer, zerren Taschen, Tüten, Jacken heraus, die sie dann auf ihren Plätzen türmen. Deshalb müssen sie jetzt stehen.

So blockieren sie aber die Fensterreihe, die ebenfalls so früh wie möglich aufspringt. Man könnte ja nach den Koffern am Gepäckband ankommen und würde damit das langweilige Warten darauf verpassen. Was für eine unerträgliche Vorstellung!

Also erheben sich auch die Fenstergucker, wobei "erheben" für diesen Anblick ein zu erhabenes Wort ist. Weil unter den Gepäckfächern nur Kinder aufrecht stehen können, verharren die Aufspringer in gekrümmter Haltung, ihre Schläfe an die Luftdüsen gepresst. Schon der Anblick könnte wehtun, wäre er nicht so lustig.

Fünf Minuten stehen sie so, zehn Minuten. Es dauert, bis ein Flugzeug die Parkposition erreicht hat. Nach 18 Minuten werden die Türen geöffnet. Nach 25 Minuten sammeln die Gangplatzbesetzer ihr Übergepäck ein. Nach einer guten halben Stunde kriecht der Fensterplatzsteher ächzend aus der Reihe und schiebt seinen Kopf mit den Händen in Mittelposition.

Nach 33 Minuten erhebt sich der Beobachter vergnügt und schlendert mit den verbliebenen zehn Passagieren von Bord. Nicht ohne einen wissenden Blick mit dem Flugpersonal gewechselt zu haben.

Die Letzten werden die Ersten sein - und viel früher so tiefenentspannt, dass ihr Urlaub wirklich erholsam ist. Das können ihnen nicht mal die Hektiker auf dem Rückflug nehmen.

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