Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Liebe Passagiere, der Service wird nun eingestellt

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Urlauber betrachten sich gerne als Individualreisende. Deshalb überlassen ihnen Fluglinien künftig die Sorge um ihr eigenes Wohlergehen.

Glosse von Stefan Fischer

Irgendwann ist es im Tourismus zu einem grotesken Missverständnis gekommen. Wann genau, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Konsequenzen jedenfalls treten ungeschminkt zutage.

Der Ursprung des Problems: Urlauber wollen nicht als Herdentiere gelten. Noch lieber ist dem Touristen, wenn er gar nicht erst als solcher erkannt wird. Und wenn die Tarnung als vermeintlicher Einheimischer doch einmal auffliegt, will der Gast zumindest als Individualreisender wahrgenommen werden.

Nun denn: Der Kunde ist König. Immer mehr Fluggesellschaften ziehen inzwischen ihre Schlüsse aus dem Drang der Passagiere nach größtmöglicher Individualität und signalisieren ihren Fluggästen: Dann kümmert euch doch gerne selbst. Wer jetzt unkt, das liege vor allem an Personalengpässen bei den Fluglinien und nicht an einer dort endlich richtig verstandenen Serviceorientierung: tststs!

Noch nicht befriedigend gelöst ist das Problem mit den Getränken und der Sicherheitskontrolle

British Airways streicht im Sommer jeden 20. Flug - sollen die Leute selbst schauen, wie sie ans Ziel gelangen. Machen sie ja so gerne. Easyjet wiederum schraubt jeweils eine Sitzreihe aus etlichen Maschinen - dann genügen formal drei statt vier Flugbegleiter und die Passagiere müssen sich nicht mehr so viel bemuttern lassen. Die britische Tui Airways ermuntert ihre Fluggäste konsequenterweise gleich dazu, Speisen und Getränke fortan selbst mit an Bord zu bringen. Dann hat jede und jeder ganz individuell das dabei, was ihr und ihm schmeckt. Genug ist's auch für alle.

Man sollte nur unbedingt aufessen an Bord, will man nicht riskieren, dass einem bei Ankunft der Proviant abgenommen wird, weil er am Zielort nicht als Lebensmittel (an)erkannt wird - Reisenden, die gegrillte Rohrratten oder getrocknete Frösche gegen den kleinen Hunger dabei hatten, ist dies zuletzt an deutschen Flughäfen widerfahren. Auch das Problem mit den Getränken und der Sicherheitskontrolle ist noch nicht befriedigend gelöst. Darf man flüssige Wegzehrung erst am Gate kaufen zu den dort üblichen überteuerten Preisen, wird es gewiss einen kollektiven Aufschrei der Individuen geben.

Da hilft nur ziviler Ungehorsam, wie er zum Beispiel in Berlin gerne praktiziert wird. Dort grillt inzwischen jeder für kleines Geld auf dem Tempelhofer Feld wann und wo und mit so vielen Bierkisten, wie er will. Blöderweise, und das ist dann auch wieder sehr berlinerisch, ist dort nur der Flugbetrieb komplett eingestellt worden.

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