Süddeutsche Zeitung

Flughafen Berlin-Brandenburg:Schön und schnell

Der neue Flughafen Berlin-Brandenburg wurde vom gleichen Architektenteam entworfen wie Berlin-Tegel. Ein Glücksfall, vor allem für Passagiere. Denn nicht auf allen Airports dieser Welt ist es selbstverständlich, dass Wege direkt zum Ziel führen, und das auch noch schnell. Und manche Besucher werden nur der Architektur wegen kommen.

Gottfried Knapp

Es mag purer Zufall sein, dass die Pläne für einen neuen Londoner Großflughafen auf einer Insel in der Themse-Mündung gerade in diesen Wochen wieder publiziert werden, da in Berlin ein neuer, international konkurrenzfähiger Großflughafen auf seine Eröffnung wartet. Wer je das Pech hatte, im Chaos des verbauten Londoner Flughafens Heathrow aus einem europäischen Flugzeug in ein mehrere Etagen und Flur-Kilometer entferntes außereuropäisches Flugzeug umsteigen zu müssen, der wird hinter dieser Erwähnung der Londoner Flughafenpläne höhere Absichten vermuten.

Denn Heathrow gilt bei Vielfliegern als die albtraumhafte Endstufe jenes überholten Flughafentyps, der von einem kleinen Kern aus ohne Generalplan über Jahrzehnte hinweg improvisatorisch weitergebaut worden ist, den Benutzern also extreme Schikanen zumutet.

Der neue Flughafen Berlin Brandenburg aber kann schon vor seiner Eröffnung als ein funktional perfektes Beispiel jenes heute weltweit üblichen neueren Typs von Terminal gefeiert werden, in dem die für Fluggäste relevanten Funktionen nicht über verschiedene Terminals und Zentren verteilt, sondern in schöner Logik im Zentralgebäude übereinandergepackt sind. Auch Englands National-Architekt Norman Foster stellt sich für die Themse-Insel einen Mega-Terminal dieses Typs vor.

Baulich unbelasteter Ort

Dass in Berlin ein Architektenteam, das mit seinen Flughafen-Entwürfen entscheidend an der Entwicklung dieses Terminaltyps mitgewirkt hat, nach mehr als 40 Jahren zum zweiten Mal einen Zivilflughafen an einem baulich unbelasteten Ort errichten durfte, kann man durchaus als Glücksfall empfinden. Als die Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner (GMP) 1965 nach dem Gewinn des Wettbewerbs den ersten Bauabschnitt des Flughafens Tegel - das innen auf allen Seiten individuell anfahrbare Sechseck des Terminals A - errichteten, konnten sie das Ideal der kurzen Wege zwischen Zubringerverkehr und Flugabfertigung Neid erregend perfekt verwirklichen. In ihren Entwürfen für Terminals in Stuttgart und Hamburg haben sie dann die Passagier-Bewegungen, die von den öffentlichen Verkehrsmitteln über den Check-in bis zu den Gates führen, in einer einzigen logischen Vor- und Aufwärtsbewegung zusammengefasst.

Im neuen Großflughafen im Süden Berlins, wo nicht mehr bestehende Nachbarbauten integriert werden mussten, der Individualverkehr fast wie in Tegel bis ins Herz der Anlage, der Schienenverkehr aber im Tunnel unter dem Terminal hindurch geführt werden konnte, haben die Verfasser des Entwurfs - Meinhard von Gerkan, Hubert Nienhoff, Hajo Paap - das lineare Führungssystem der von GMP konzipierten Vorgängerbauten aufs Schönste perfektioniert.

Warum die Positionierung des Berliner Großflughafens auf dem Reservegelände des alten (Ost-)Berliner Flughafens Schönefeld im Süden der Stadt verkehrstechnisch sinnvoll war, zeigt schon ein kurzer Blick auf Stadtplan und Landkarte. Der neue "Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt" liegt direkt am Schönefelder Autobahnkreuz, ist also von der A 10, dem Berliner Autobahnring, und von der nach Dresden führenden A 13 aus bestens zu erreichen.

Aber auch für den regionalen wie internationalen Schienenverkehr liegt der Flughafen außerordentlich günstig. Die Bahn musste nur ein 8,6 Kilometer langes Verbindungsstück von der Ringlinie, die alle nach Berlin führenden Bahnstrecken miteinander verbindet und dabei auch den alten Flughafen Schönefeld streift, zum neuen Terminal legen, um eine schnelle Schienenverbindung zur Innenstadt herzustellen.

So wird vom Eröffnungstag an der neue "Flughafen-Express" vom Berliner Hauptbahnhof aus über den Potsdamer Platz und das Südkreuz ohne weiteren Halt bis zum neuen Flughafen durchfahren. Und die beiden S-Bahnlinien 9 und 45, die bislang in Schönefeld endeten, fahren dann bis zum neuen Flughafen weiter. Wenn dann der Abzweiger auch im Osten des Flughafens bis zum nächsten Bahnanschluss verlängert ist, können nicht nur Regionalbahnen, sondern auch Fernzüge, die zwischen den Niederlanden und Polen oder zwischen Dänemark und Tschechien unterwegs sind, direkt unter dem Terminal halten.

Schnellere Abfertigung

Die Fluggäste, die auf den langen ICE- oder S-Bahnsteigen ankommen, bewegen sich über Rolltreppen zunächst hinauf in das Untergeschoss der Airport City, dann über das Ankunftsgeschoss des Terminals, in dessen großzügig dimensionierter Halle die Gepäckausgabebänder laufen, geradlinig weiter hinauf in die hohe, weite, lichterfüllte Haupthalle.

Dort, auf der Abfahrtsebene, werden sie gemeinsam mit den per Pkw angereisten Fluggästen hinaufgeleitet in die beiden übereinandergestaffelten Abfertigungsgeschosse, die ihrerseits sich in den querliegenden, 715 Meter langen zweigeschossigen Hauptpier öffnen. Über diesen Pier erreichen die Fluggäste die 16 ebenfalls doppelgeschossigen gläsernen Fluggastbrücken, in denen sanft geneigte Rampen nach Bedarf hinunter oder hinauf zu den angedockten Flugzeugen führen.

Mit Hilfe dieses in Minutenschnelle adaptierbaren zweigeschossigen Ein- und Aussteige-Systems sollen die Zeitspannen verkürzt werden, die sich auf älteren Flughäfen bei der räumlichen Trennung von Schengen- und Non-Schengen-Flügen ergeben. An den Brücken des Berliner Hauptpiers können also sehr viel mehr Flüge abgefertigt werden, als bei einer schlichten Trennung von Ankunfts- und Abflugebene möglich wäre.

Beim Wettbewerb für den neuen Berliner Flughafen haben GMP mit einer räumlich besonders klaren Lösung überzeugt. Da die südliche Landebahn des alten Flughafens als nördliche Landebahn des neuen Terminals übernommen werden sollte, ließen sie die zweite Start- und Landebahn weiter südlich parallel verlegen und postierten sämtliche Bauten im Streifen zwischen diesen beiden Pisten. Um aber in diesem langgezogenen Streifen die übliche unrhythmische Aneinanderreihung unterschiedlich dimensionierter und gestalteter Bauten zu verhindern, zogen sie eine Mittelachse ein, an der entlang sich die Verkehrsströme bewegen.

Beidseits dieser Trasse sollen sich die nachwachsenden Bauten in schöner Symmetrie dem vorgegebenen Raster einfügen. Die seitlich anschließenden, bislang errichteten Verwaltungs- und Wartungsbauten der "Service City" und der "Cargo City" ergehen sich jedenfalls allesamt in dem von GMP entwickelten klaren kubischen System. Und da sich die beauftragten Architekten auch im Material und in den Farben an die Vorgaben gehalten haben, konnten sich diese Quartiere entlang der Zufahrtsstraße zu einprägsamen Ensembles verdichten. Vom Architekturschrott, der so viele Weltflughäfen umgibt, unterscheidet sich dieser Bereich also wohltuend.

Die große Zubringerachse mündet am Ende in das gigantische U, das von der zentral gelegenen Terminalhalle, dem vorgelagerten Hauptpier und den beiden im rechten Winkel abgeknickten langen seitlichen Nebenpieren gebildet wird. Innerhalb dieses von den Pieren geformten Quadrats umkreisen die Fahrspuren der Zubringerstraße das kleinere, dem Terminal vorgelagerte Quadrat der künftigen "Airport City", eines gärtnerisch luxuriös ausgestatten Quartiers mit Geschäften, Restaurants und Hotels, dessen Mittelachse über den Gleisen des unterirdischen Bahnhofs liegt und am Terminal direkt auf das Hauptportal der Ankunftsebene zuführt.

Schwebendes Terminal-Dach

Beim Terminal selber haben sich die Architekten großzügig zusammenfassender Gesten bedient. Der in Stufen aufgebaute Abfertigungsbereich wird von einem einzigen, fast schwerelos hoch über den Glaswänden schwebenden Dach überspannt. Da dieses Dach in beiden Richtungen von breiten Glasstreifen durchzogen ist, strömt viel Tageslicht von der kassettierten Decke herunter auf die Abfertigungsebenen.

Den schönsten Eindruck von der Weite dieser Halle hat man wohl, wenn man als Besucher mit dem Lift ins oberste Stockwerk hinauffährt, auf Brücken die Passkontrollstellen und die Warte- und Einkaufshallen überquert und auf die riesige Besucherterrasse über dem Hauptpier hinaustritt: Blickt man dort in Achsrichtung weiter, hat man unverbaute märkische Landschaft vor sich; exakt in Längsrichtung der Terrasse aber ist der Berliner Fernsehturm über dem Horizont zu erkennen.

Beim Weg zurück in die Halle und beim Blick hinunter über die Stufen des Bauwerks wird dann noch einmal die symmetrische Komposition des Terminals zum Erlebnis. Vom Eingangsbereich der zentralen Glashalle aus bewegen sich hohe Kolonnaden beidseits hinüber zu den Nebenpieren; und auch an den Innenseiten dieser Piere ziehen sich Kolonnaden entlang, sodass beidseits der hohen Mittelhalle Höfe von teils fast kreuzgangartiger Geschlossenheit entstehen. Es könnte also passieren, dass sich unter die 30 Millionen Fluggäste, die man hier pro Jahr abfertigen will, immer wieder Besucher mischen, die nur der Architektur wegen kommen.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2012/dd
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