Süddeutsche Zeitung

Fluggastrechte bei Überbuchung:Skandal bei US-Airline - was Passagiere jetzt wissen müssen

Der Flug von United Airlines ist überbucht, aber niemand will freiwillig zurückbleiben. Da greift die Airline gewaltsam durch. Inzwischen hat sich der Chef des Unternehmens entschuldigt. Doch welche Rechte haben Betroffene?

Von Jens Flottau, Frankfurt, Vivien Timmler und Felicitas Wilke

Es sind brutale Videoaufnahmen aus dem Innenraum eines Flugzeugs, die in den sozialen Netzwerken für Empörung sorgen. Sie zeigen, wie drei Flughafen-Polizisten einen 69-jährigen Mann aus dem Sitz zerren. Sein Kopf prallt gegen die Armlehne, einer der Polizisten schleift ihn aus der Maschine, mit verrutschter Brille, blutend. Die Beamten hatten den Mann zuvor gebeten, auf seinen Flug zu verzichten. Die United-Airlines-Maschine von Chicago nach Louisville war überbucht, zusätzlich sollten vier weitere Crew-Mitglieder mitfliegen. United Airlines suchte daher nach vier Freiwilligen, die gegen Geld auf ihren Flug verzichten würden. Als sich niemand meldete, kam es zu den Ausschreitungen.

Millionen Menschen haben die Mitschnitte des Vorfalls mittlerweile gesehen und geteilt. Viele kritisieren das Vorgehen der US-Fluggesellschaft und des Sicherheitspersonals, ein Polizist wurde vorübergehend suspendiert. United-Chef Oscar Munoz entschuldigte sich zwar öffentlich, nahm aber gleichzeitig seine Crew in Schutz. Die Besatzung hätte nach den Vorschriften gehandelt. Das wirft nicht nur bei den betroffenen Passagieren Fragen auf.

Warum musste gerade dieser Mann das Flugzeug verlassen?

Die vier Passagiere, die auf ihren Flug verzichten sollten, wurden der Airline zufolge per Zufallsprinzip ausgewählt. Es hätte also jeden der Anwesenden treffen können. "Die Fluggesellschaften gehen hierbei jedoch nicht einheitlich vor", sagt eine Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Man könne nicht pauschal sagen, nach welchen Kriterien die Fluggesellschaften die Passagiere auswählen. Manche Airlines bevorzugen die pünktlichen Fluggäste oder Vielflieger, andere wenden das Zufallsprinzip an.

Warum werden Flüge überhaupt überbucht?

Fluggesellschaften bieten in der Regel umbuchbare und stornierbare Tickets an. Es besteht also immer die Gefahr, dass Flüge mit leeren Sitzen starten, wenn Passagiere sich in letzter Minute anders entscheiden.

Um zu vermeiden, dass mehr Passagiere auftauchen, als Sitze zur Verfügung stehen, erstellen Algorithmen für jeden Flug Prognosen. Nach ihnen wird entschieden, wie stark überbucht wird. Die Passagiere verhalten sich je nach Strecke unterschiedlich: Zu einem Ferienflug nach Palma de Mallorca tauchen in der Regel alle Fluggäste auf, Überbuchen ist nicht ratsam. Bei einem Flug von München nach Hamburg, den vor allem Geschäftsreisende nutzen, werden hingegen meistens nicht alle erscheinen. Der Schaden ist zudem begrenzt, denn normalerweise gibt es eine Stunde später den nächsten Flug. Eine Garantie, in der nächsten Maschine mitfliegen zu dürfen, gibt es aber nicht.

Kommt es häufiger vor, dass die Situation so eskaliert wie in Chicago?

Die Ereignisse vor dem United-Flug 3411 sind beispiellos. Normalerweise versuchen die Fluggesellschaften, Freiwillige zu finden. Sie locken diese oft mit Geld und Upgrades in die Business oder First Class. Erst wenn das nicht klappt, droht Ärger, allerdings in der Regel schon draußen am Gate und nicht erst im Flugzeug, wo die Situation kaum mehr zu lösen ist.

Ist es Zufall, dass dies ausgerechnet bei United passiert ist?

United ist seit vielen Jahren berüchtigt für schlechten Service und ungehobelten Umgang mit Kunden. Der Country-Sänger Dave Carroll landete 2009 einen Internethit mit über 16 Millionen Klicks, in dem er sich über die Airline ausließ. United-Gepäckarbeiter hatten vor einem Flug seine Gitarre zerbrochen, seine Beschwerden wurden jedoch abgewiesen. Also schrieb er einen Song und veröffentlichte ihn bei Youtube. Der Imageschaden für United war immens.

Tausende Beschwerden verprellter Kunden werden außerdem auf der Website www.untied.com gesammelt. Langjährige United-Beobachter glauben, die Ursache für die Probleme läge in einer über Jahrzehnte gewachsenen Unternehmenskultur, in der die Kundenwünsche kaum eine Rolle spielen. Der heutige United-Chef Oscar Munoz hat Besserung gelobt und ein Programm zum Kundenservice gestartet. Flug 3411 führt die Initiative jedoch ad absurdum.

Hat jetzt auch die Lufthansa als United-Airlines-Partner ein Problem?

Für Lufthansa sind die Serviceprobleme bei United ein ständiges Ärgernis hinter den Kulissen. United ist nicht nur Partner in der Star Alliance, sondern auch Teil eines Joint Ventures, in dem die Transatlantikstrecken gemeinsam betrieben werden. Tausende Lufthansa-Kunden sitzen jeden Tag in einem United-Flugzeug, das auch unter Lufthansa-Flugnummer fliegt.

In der Star Alliance sind Mindeststandards beim Service definiert, doch dabei geht es eher um Fragen wie Lounge-Zugang und Vielfliegerprogramme. Sanktionen gegen das größte Mitglied der Allianz durchzusetzen ist kaum vorstellbar.

Welche Rechte hat der Passagier?

Müssen Passagiere auf einer Kurzstrecke länger als zwei Stunden warten, haben sie zum Beispiel Anspruch auf Getränke und eine Mahlzeit, gegebenenfalls auch auf ein Hotelzimmer.

Warten sie länger als fünf Stunden auf die nächste Maschine, können sie wählen, ob sie sich sobald wie möglich mit dem nächsten Flieger zum Zielort bringen lassen oder den Flugpreis zurückfordern möchten. Darüber hinaus müssen die Fluggesellschaften den Passagieren eine Ausgleichszahlung überweisen. Wie hoch diese ausfällt, hängt davon ab, ob es sich um eine Kurz- oder Langstrecke handelt und wie lange die Fluggäste auf die neue Maschine warten mussten.

Die Regelungen zu den Leistungen und Entschädigungen sind in der Fluggastrechte-Verordnung festgelegt und gelten in dieser Form nur bei Flügen, die in der EU starten oder enden.

An wen wende ich mich nach so einem Vorfall?

"Ich rate den Kunden, sich am Schalter nicht abwimmeln zu lassen und auf den Leistungen zu bestehen", sagt Gabriele Zeugner von der Verbraucherzentrale Bremen. Um ihre finanzielle Entschädigung zu erhalten, sollten sich die Passagiere nach der Reise aber in jedem Fall schriftlich an die Airline wenden. Lehnt diese den Antrag ab, kann die Schlichtungsstelle Öffentlicher Personenverkehr oftmals helfen.

Welche Folgen hat der Vorfall für United Airlines?

Das Image der Fluggesellschaft hat unter dem Vorfall bereits stark gelitten. Einige Nutzer in sozialen Netzwerken rufen dazu auf, United zu boykottieren. Erst vor wenigen Wochen gab es ähnlich viel Aufregung, als die Airline zwei Mädchen nicht mitfliegen lassen wollte, weil diese Leggings trugen. Auch die Anleger reagierten am Dienstag prompt: Die Aktie der Dachgesellschaft United Continental Holdings verlor zwischenzeitlich mehr als drei Prozent.

Immerhin hat sich das Unternehmen am Dienstagabend in einer Erklärung entschuldigt. United übernehme die volle Verantwortung für den Vorfall, erklärte Vorstandschef Oscar Munoz. Er versprach, so etwas werde nicht wieder passieren. "Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun". Es sei ein wirklich schreckliches Ereignis gewesen, so Munoz.

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SZ vom 12.04.2017/ihe
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